Und der Rudi war kaum heim, so schlich er mit einer Flaschen Wein, und einer Blatten von allem Guten, das sie hatten, von seiner Braut und den Hochzeitgästen fort, trug alles unter seinem Rock, wie verborgen, zu dem alten Feind seines Lebens. Der gute Mann konnte nicht anders, als er mußte denken, der arme Tropf sehe izt alle Freuden dieses Tags, höre alle ihre Lustbarkeit, und ihm sey kein froher Augenblick mehr beschehrt auf dieser Erde. -- Bewahr doch -- sagte er, da er dieses dachte, der liebe Gott einen jeden Christenmenschen vor ei- nem bösen Leben! -- und gieng dann fort. Der Vogt war in einem erbärmlichen Zustand. -- Das Abfaulen und Abdorren des Menschen, an dem nichts mehr Mensch ist, ist entsezlich; schon lange lebte in ihm nichts mehr, als was im Hund und im Fuchs und im Wolf auch lebt; wenn er schon wollte, er hatte für kein Gutes kein Leben mehr in seinen Sinnen; und konnte, was menschlich ist, so wenig mehr in sich behalten, als ein durchlöcher- tes Geschirr Wasser, das man darein schüttet. Der arme Tropf schrieb es dem Teufel zu; als ob es mehr brauche, als ein Leben wie das seine, einen
Menschen
§. 50. Hummels Tod.
Und der Rudi war kaum heim, ſo ſchlich er mit einer Flaſchen Wein, und einer Blatten von allem Guten, das ſie hatten, von ſeiner Braut und den Hochzeitgaͤſten fort, trug alles unter ſeinem Rock, wie verborgen, zu dem alten Feind ſeines Lebens. Der gute Mann konnte nicht anders, als er mußte denken, der arme Tropf ſehe izt alle Freuden dieſes Tags, hoͤre alle ihre Luſtbarkeit, und ihm ſey kein froher Augenblick mehr beſchehrt auf dieſer Erde. — Bewahr doch — ſagte er, da er dieſes dachte, der liebe Gott einen jeden Chriſtenmenſchen vor ei- nem boͤſen Leben! — und gieng dann fort. Der Vogt war in einem erbaͤrmlichen Zuſtand. — Das Abfaulen und Abdorren des Menſchen, an dem nichts mehr Menſch iſt, iſt entſezlich; ſchon lange lebte in ihm nichts mehr, als was im Hund und im Fuchs und im Wolf auch lebt; wenn er ſchon wollte, er hatte fuͤr kein Gutes kein Leben mehr in ſeinen Sinnen; und konnte, was menſchlich iſt, ſo wenig mehr in ſich behalten, als ein durchloͤcher- tes Geſchirr Waſſer, das man darein ſchuͤttet. Der arme Tropf ſchrieb es dem Teufel zu; als ob es mehr brauche, als ein Leben wie das ſeine, einen
Menſchen
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§. 50.
Hummels Tod.
Und der Rudi war kaum heim, ſo ſchlich er mit
einer Flaſchen Wein, und einer Blatten von allem
Guten, das ſie hatten, von ſeiner Braut und den
Hochzeitgaͤſten fort, trug alles unter ſeinem Rock,
wie verborgen, zu dem alten Feind ſeines Lebens.
Der gute Mann konnte nicht anders, als er mußte
denken, der arme Tropf ſehe izt alle Freuden dieſes
Tags, hoͤre alle ihre Luſtbarkeit, und ihm ſey kein
froher Augenblick mehr beſchehrt auf dieſer Erde.
— Bewahr doch — ſagte er, da er dieſes dachte,
der liebe Gott einen jeden Chriſtenmenſchen vor ei-
nem boͤſen Leben! — und gieng dann fort. Der
Vogt war in einem erbaͤrmlichen Zuſtand. — Das
Abfaulen und Abdorren des Menſchen, an dem
nichts mehr Menſch iſt, iſt entſezlich; ſchon lange
lebte in ihm nichts mehr, als was im Hund und
im Fuchs und im Wolf auch lebt; wenn er ſchon
wollte, er hatte fuͤr kein Gutes kein Leben mehr in
ſeinen Sinnen; und konnte, was menſchlich iſt, ſo
wenig mehr in ſich behalten, als ein durchloͤcher-
tes Geſchirr Waſſer, das man darein ſchuͤttet. Der
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/258>, abgerufen am 30.12.2024.
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