Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

mehr haben könne, da können noch oft die besten,
und die so zu gut sind, zu Hause Schälke zu wer-
den, und die Ihrigen mit ihrer Langeweile zu
plagen, dahin, daß sie Anlas suchen, wo es lustig
geht, und unter gewissen Umständen finden sie die-
ses, wenn sie das Dorf hinauf- und hinabgehen
nirgends als im Wirthshaus und bey Schelmen. --



§. 44.
Volksphilosophie über den Geschlechts-
trieb.

Sie behaupteten, es komme hierin gänzlich auf
die Erziehung der Töchtern an, so bald sie erzogen
werden, als ob sie nichts in der Welt werden müß-
ten als schöne Jnngfern, so springen sie in dieser
Absicht mit offnen Flügeln und Schaarenweis ih-
rem Elend entgegen, wie Hüner, denen man Ha-
ber streue, ihrem Fraß, und da sey es dann gleich
viel, wenn man die halben Glukthiere den andern
vor den Augen bey ihren Fekken (Flügeln) weg-
nimmt, würgt, und an den Boden wirft; die
andern fressen neben den todten Schwestern fort;
und wann man ihnen am Morgen wieder Gluk --
Gluk -- ruft, so kommen sie wieder, lassen sich
wieder fangen, würgen, und an Boden werfen
-- so gehe es immer, und es sey unmöglich den

mehr haben koͤnne, da koͤnnen noch oft die beſten,
und die ſo zu gut ſind, zu Hauſe Schaͤlke zu wer-
den, und die Ihrigen mit ihrer Langeweile zu
plagen, dahin, daß ſie Anlas ſuchen, wo es luſtig
geht, und unter gewiſſen Umſtaͤnden finden ſie die-
ſes, wenn ſie das Dorf hinauf- und hinabgehen
nirgends als im Wirthshaus und bey Schelmen. —



§. 44.
Volksphiloſophie uͤber den Geſchlechts-
trieb.

Sie behaupteten, es komme hierin gaͤnzlich auf
die Erziehung der Toͤchtern an, ſo bald ſie erzogen
werden, als ob ſie nichts in der Welt werden muͤß-
ten als ſchoͤne Jnngfern, ſo ſpringen ſie in dieſer
Abſicht mit offnen Fluͤgeln und Schaarenweis ih-
rem Elend entgegen, wie Huͤner, denen man Ha-
ber ſtreue, ihrem Fraß, und da ſey es dann gleich
viel, wenn man die halben Glukthiere den andern
vor den Augen bey ihren Fekken (Fluͤgeln) weg-
nimmt, wuͤrgt, und an den Boden wirft; die
andern freſſen neben den todten Schweſtern fort;
und wann man ihnen am Morgen wieder Gluk —
Gluk — ruft, ſo kommen ſie wieder, laſſen ſich
wieder fangen, wuͤrgen, und an Boden werfen
— ſo gehe es immer, und es ſey unmoͤglich den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0203" n="185"/>
mehr haben ko&#x0364;nne, da ko&#x0364;nnen noch oft die be&#x017F;ten,<lb/>
und die &#x017F;o zu gut &#x017F;ind, zu Hau&#x017F;e Scha&#x0364;lke zu wer-<lb/>
den, und die Ihrigen mit ihrer Langeweile zu<lb/>
plagen, dahin, daß &#x017F;ie Anlas &#x017F;uchen, wo es lu&#x017F;tig<lb/>
geht, und unter gewi&#x017F;&#x017F;en Um&#x017F;ta&#x0364;nden finden &#x017F;ie die-<lb/>
&#x017F;es, wenn &#x017F;ie das Dorf hinauf- und hinabgehen<lb/>
nirgends als im Wirthshaus und bey Schelmen. &#x2014;</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">§. 44.<lb/>
Volksphilo&#x017F;ophie u&#x0364;ber den Ge&#x017F;chlechts-<lb/>
trieb.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">S</hi>ie behaupteten, es komme hierin ga&#x0364;nzlich auf<lb/>
die Erziehung der To&#x0364;chtern an, &#x017F;o bald &#x017F;ie erzogen<lb/>
werden, als ob &#x017F;ie nichts in der Welt werden mu&#x0364;ß-<lb/>
ten als &#x017F;cho&#x0364;ne Jnngfern, &#x017F;o &#x017F;pringen &#x017F;ie in die&#x017F;er<lb/>
Ab&#x017F;icht mit offnen Flu&#x0364;geln und Schaarenweis ih-<lb/>
rem Elend entgegen, wie Hu&#x0364;ner, denen man Ha-<lb/>
ber &#x017F;treue, ihrem Fraß, und da &#x017F;ey es dann gleich<lb/>
viel, wenn man die halben Glukthiere den andern<lb/>
vor den Augen bey ihren Fekken (Flu&#x0364;geln) weg-<lb/>
nimmt, wu&#x0364;rgt, und an den Boden wirft; die<lb/>
andern fre&#x017F;&#x017F;en neben den todten Schwe&#x017F;tern fort;<lb/>
und wann man ihnen am Morgen wieder Gluk &#x2014;<lb/>
Gluk &#x2014; ruft, &#x017F;o kommen &#x017F;ie wieder, la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich<lb/>
wieder fangen, wu&#x0364;rgen, und an Boden werfen<lb/>
&#x2014; &#x017F;o gehe es immer, und es &#x017F;ey unmo&#x0364;glich den<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[185/0203] mehr haben koͤnne, da koͤnnen noch oft die beſten, und die ſo zu gut ſind, zu Hauſe Schaͤlke zu wer- den, und die Ihrigen mit ihrer Langeweile zu plagen, dahin, daß ſie Anlas ſuchen, wo es luſtig geht, und unter gewiſſen Umſtaͤnden finden ſie die- ſes, wenn ſie das Dorf hinauf- und hinabgehen nirgends als im Wirthshaus und bey Schelmen. — §. 44. Volksphiloſophie uͤber den Geſchlechts- trieb. Sie behaupteten, es komme hierin gaͤnzlich auf die Erziehung der Toͤchtern an, ſo bald ſie erzogen werden, als ob ſie nichts in der Welt werden muͤß- ten als ſchoͤne Jnngfern, ſo ſpringen ſie in dieſer Abſicht mit offnen Fluͤgeln und Schaarenweis ih- rem Elend entgegen, wie Huͤner, denen man Ha- ber ſtreue, ihrem Fraß, und da ſey es dann gleich viel, wenn man die halben Glukthiere den andern vor den Augen bey ihren Fekken (Fluͤgeln) weg- nimmt, wuͤrgt, und an den Boden wirft; die andern freſſen neben den todten Schweſtern fort; und wann man ihnen am Morgen wieder Gluk — Gluk — ruft, ſo kommen ſie wieder, laſſen ſich wieder fangen, wuͤrgen, und an Boden werfen — ſo gehe es immer, und es ſey unmoͤglich den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/203
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/203>, abgerufen am 21.11.2024.