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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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Sylvia erwartete selber so etwas. So lang
er da war, machte er allemal, wenn sie ihm zu Ge-
sicht kam, Augen, die ihr durch Leib und Seel gien-
gen; sie konnte es sich nicht verhehlen, es war der
Blick des Manns, der es in seiner Hand hatte,
sie zu erdrücken, und beynahe darnach gelüstete.



§. 38.
Leidensgeschichte eines herzguten Men-
schen, der aber das Handwerk, das er
treiben sollte, nicht gut gelernet hatte.

Indessen nuzte Helidor diese Tage, Ihr Durch-
laucht wegen der Bonnaler Arbeit, so viel an ihm
stund, erkalten zu machen.

Der gute Herzog war seit einiger mehr als je
in der Gewalt des Manns, der die besten Empfin-
dungen seines Herzens in ihm zu Staub rieb, wie
man eine dürre Wurzel in dem Mörsel zu Staub
reibt -- und er liebte den Mann, der seine Freude
daran hatte, ihm alle Augenblicke den Todtenge-
ruch vor die Nase zu halten, der in ihm lag, und
täglich vor ihm zu lachen, bis er das Menschenge-
schlecht aus dem Sinn schlug.

Armes dahingegebenes Geschlecht der Menschen!
Wenn deine Fürsten dahin kommen, solche deines

Sylvia erwartete ſelber ſo etwas. So lang
er da war, machte er allemal, wenn ſie ihm zu Ge-
ſicht kam, Augen, die ihr durch Leib und Seel gien-
gen; ſie konnte es ſich nicht verhehlen, es war der
Blick des Manns, der es in ſeiner Hand hatte,
ſie zu erdruͤcken, und beynahe darnach geluͤſtete.



§. 38.
Leidensgeſchichte eines herzguten Men-
ſchen, der aber das Handwerk, das er
treiben ſollte, nicht gut gelernet hatte.

Indeſſen nuzte Helidor dieſe Tage, Ihr Durch-
laucht wegen der Bonnaler Arbeit, ſo viel an ihm
ſtund, erkalten zu machen.

Der gute Herzog war ſeit einiger mehr als je
in der Gewalt des Manns, der die beſten Empfin-
dungen ſeines Herzens in ihm zu Staub rieb, wie
man eine duͤrre Wurzel in dem Moͤrſel zu Staub
reibt — und er liebte den Mann, der ſeine Freude
daran hatte, ihm alle Augenblicke den Todtenge-
ruch vor die Naſe zu halten, der in ihm lag, und
taͤglich vor ihm zu lachen, bis er das Menſchenge-
ſchlecht aus dem Sinn ſchlug.

Armes dahingegebenes Geſchlecht der Menſchen!
Wenn deine Fuͤrſten dahin kommen, ſolche deines

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[150/0168] Sylvia erwartete ſelber ſo etwas. So lang er da war, machte er allemal, wenn ſie ihm zu Ge- ſicht kam, Augen, die ihr durch Leib und Seel gien- gen; ſie konnte es ſich nicht verhehlen, es war der Blick des Manns, der es in ſeiner Hand hatte, ſie zu erdruͤcken, und beynahe darnach geluͤſtete. §. 38. Leidensgeſchichte eines herzguten Men- ſchen, der aber das Handwerk, das er treiben ſollte, nicht gut gelernet hatte. Indeſſen nuzte Helidor dieſe Tage, Ihr Durch- laucht wegen der Bonnaler Arbeit, ſo viel an ihm ſtund, erkalten zu machen. Der gute Herzog war ſeit einiger mehr als je in der Gewalt des Manns, der die beſten Empfin- dungen ſeines Herzens in ihm zu Staub rieb, wie man eine duͤrre Wurzel in dem Moͤrſel zu Staub reibt — und er liebte den Mann, der ſeine Freude daran hatte, ihm alle Augenblicke den Todtenge- ruch vor die Naſe zu halten, der in ihm lag, und taͤglich vor ihm zu lachen, bis er das Menſchenge- ſchlecht aus dem Sinn ſchlug. Armes dahingegebenes Geſchlecht der Menſchen! Wenn deine Fuͤrſten dahin kommen, ſolche deines

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/168>, abgerufen am 21.11.2024.