§. 35. Eine Dienstmagd begehrt Abscheid und Rekommendationsbriefe von der gnä- digen Herrschaft.
Der Leibarzt zuckte die Achsel -- so bald er den Kranken sah -- machte dann seine Feldapotheken auf; und Gerüche aller Art füllten die Stube. --
Fürchterliche Silber- und Goldzangen und Na- deln, und Messer, Schwämme und Binden, Stü- cke von Schlangen, zerriebene Mücken, Gift, Me- tallen, und halbe Metallen, chymische Geheimnisse, und natürliche Pulver, Salben und Pflaster, lagen sichtbar und unsichtbar in dieser Kiste. Er nahm heraus, wog, mischete, rieb, stoßte, ließ warm machen und wieder kalt werden, strich Pflaster und Salben, und innert einer Stunde hatte Arner aller- hand davon an seinem Leib, und nicht weniger da- von selber darinn. --
Dann ließ er ihn eine Weile allein, und nüzte diesen Augenblick, Sylvien, die er schonen wollte, zu sagen, was er gehört. -- Sie stellte sich ganz gleichgültig, machte die kranke launige Dame, und that, so lang er vom Herzog redete, wie wenn ihr
§. 35. Eine Dienſtmagd begehrt Abſcheid und Rekommendationsbriefe von der gnaͤ- digen Herrſchaft.
Der Leibarzt zuckte die Achſel — ſo bald er den Kranken ſah — machte dann ſeine Feldapotheken auf; und Geruͤche aller Art fuͤllten die Stube. —
Fuͤrchterliche Silber- und Goldzangen und Na- deln, und Meſſer, Schwaͤmme und Binden, Stuͤ- cke von Schlangen, zerriebene Muͤcken, Gift, Me- tallen, und halbe Metallen, chymiſche Geheimniſſe, und natuͤrliche Pulver, Salben und Pflaſter, lagen ſichtbar und unſichtbar in dieſer Kiſte. Er nahm heraus, wog, miſchete, rieb, ſtoßte, ließ warm machen und wieder kalt werden, ſtrich Pflaſter und Salben, und innert einer Stunde hatte Arner aller- hand davon an ſeinem Leib, und nicht weniger da- von ſelber darinn. —
Dann ließ er ihn eine Weile allein, und nuͤzte dieſen Augenblick, Sylvien, die er ſchonen wollte, zu ſagen, was er gehoͤrt. — Sie ſtellte ſich ganz gleichguͤltig, machte die kranke launige Dame, und that, ſo lang er vom Herzog redete, wie wenn ihr
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§. 35.
Eine Dienſtmagd begehrt Abſcheid und
Rekommendationsbriefe von der gnaͤ-
digen Herrſchaft.
Der Leibarzt zuckte die Achſel — ſo bald er den
Kranken ſah — machte dann ſeine Feldapotheken
auf; und Geruͤche aller Art fuͤllten die Stube. —
Fuͤrchterliche Silber- und Goldzangen und Na-
deln, und Meſſer, Schwaͤmme und Binden, Stuͤ-
cke von Schlangen, zerriebene Muͤcken, Gift, Me-
tallen, und halbe Metallen, chymiſche Geheimniſſe,
und natuͤrliche Pulver, Salben und Pflaſter, lagen
ſichtbar und unſichtbar in dieſer Kiſte. Er nahm
heraus, wog, miſchete, rieb, ſtoßte, ließ warm
machen und wieder kalt werden, ſtrich Pflaſter und
Salben, und innert einer Stunde hatte Arner aller-
hand davon an ſeinem Leib, und nicht weniger da-
von ſelber darinn. —
Dann ließ er ihn eine Weile allein, und nuͤzte
dieſen Augenblick, Sylvien, die er ſchonen wollte,
zu ſagen, was er gehoͤrt. — Sie ſtellte ſich ganz
gleichguͤltig, machte die kranke launige Dame, und
that, ſo lang er vom Herzog redete, wie wenn ihr
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/154>, abgerufen am 03.12.2024.
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