Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Warum auch das nicht, sagte der Heirlj;
ihr habt ja auch Hände und Augen wie ich;
und dann sezte er hinzu, ich hab zuerst auch
geglaubt, ich könne es fast nicht lehrnen, aber
da ist es mir einsmals gekommen, ich hab fast
nicht gewußt wie: aber ihr müßt mit den Au-
gen dazu sperbern wie wenn ihr Sommervögel
fangen wolltet.

Dieses Spiel, und was er dazu sagte,
machte die Kinder muthiger und eifriger ob
ihrer Arbeit.

Ob sie wollten oder nicht, sie mußten spin-
nen lehrnen: Gertrud liesse sich keine Mühe
dauren; sie verglich ihr Garn alle Tag vor
ihren Augen; zeigte ihnen den Unterschied vom
Morgen-Garn und vom Abend-Garn, und
vom gestrigen und vom vorgestrigen; wenn
nur ein Faden darinn schlechter war, nahm
sie ihn über den Finger und hielt ihn ihnen vor
Augen.

§. 11.
Eine Art Wiedergeburth.

So viel thut sie an den Kindern; aber sie
thut an derselbigen Vater nicht minder;
Tag für Tag kommt sie ihm in's Haus, und
wo sie im Stall, im Tenn oder sonst etwas nicht

Warum auch das nicht, ſagte der Heirlj;
ihr habt ja auch Haͤnde und Augen wie ich;
und dann ſezte er hinzu, ich hab zuerſt auch
geglaubt, ich koͤnne es faſt nicht lehrnen, aber
da iſt es mir einsmals gekommen, ich hab faſt
nicht gewußt wie: aber ihr muͤßt mit den Au-
gen dazu ſperbern wie wenn ihr Sommervoͤgel
fangen wolltet.

Dieſes Spiel, und was er dazu ſagte,
machte die Kinder muthiger und eifriger ob
ihrer Arbeit.

Ob ſie wollten oder nicht, ſie mußten ſpin-
nen lehrnen: Gertrud lieſſe ſich keine Muͤhe
dauren; ſie verglich ihr Garn alle Tag vor
ihren Augen; zeigte ihnen den Unterſchied vom
Morgen-Garn und vom Abend-Garn, und
vom geſtrigen und vom vorgeſtrigen; wenn
nur ein Faden darinn ſchlechter war, nahm
ſie ihn uͤber den Finger und hielt ihn ihnen vor
Augen.

§. 11.
Eine Art Wiedergeburth.

So viel thut ſie an den Kindern; aber ſie
thut an derſelbigen Vater nicht minder;
Tag fuͤr Tag kommt ſie ihm in’s Haus, und
wo ſie im Stall, im Tenn oder ſonſt etwas nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0066" n="44"/>
        <p>Warum auch das nicht, &#x017F;agte der Heirlj;<lb/>
ihr habt ja auch Ha&#x0364;nde und Augen wie ich;<lb/>
und dann &#x017F;ezte er hinzu, ich hab zuer&#x017F;t auch<lb/>
geglaubt, ich ko&#x0364;nne es fa&#x017F;t nicht lehrnen, aber<lb/>
da i&#x017F;t es mir einsmals gekommen, ich hab fa&#x017F;t<lb/>
nicht gewußt wie: aber ihr mu&#x0364;ßt mit den Au-<lb/>
gen dazu &#x017F;perbern wie wenn ihr Sommervo&#x0364;gel<lb/>
fangen wolltet.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;es Spiel, und was er dazu &#x017F;agte,<lb/>
machte die Kinder muthiger und eifriger ob<lb/>
ihrer Arbeit.</p><lb/>
        <p>Ob &#x017F;ie wollten oder nicht, &#x017F;ie mußten &#x017F;pin-<lb/>
nen lehrnen: Gertrud lie&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich keine Mu&#x0364;he<lb/>
dauren; &#x017F;ie verglich ihr Garn alle Tag vor<lb/>
ihren Augen; zeigte ihnen den Unter&#x017F;chied vom<lb/>
Morgen-Garn und vom Abend-Garn, und<lb/>
vom ge&#x017F;trigen und vom vorge&#x017F;trigen; wenn<lb/>
nur ein Faden darinn &#x017F;chlechter war, nahm<lb/>
&#x017F;ie ihn u&#x0364;ber den Finger und hielt ihn ihnen vor<lb/>
Augen.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head>§. 11.<lb/>
Eine Art Wiedergeburth.</head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">S</hi>o viel thut &#x017F;ie an den Kindern; aber &#x017F;ie<lb/>
thut an der&#x017F;elbigen Vater nicht minder;<lb/>
Tag fu&#x0364;r Tag kommt &#x017F;ie ihm in&#x2019;s Haus, und<lb/>
wo &#x017F;ie im Stall, im Tenn oder &#x017F;on&#x017F;t etwas nicht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0066] Warum auch das nicht, ſagte der Heirlj; ihr habt ja auch Haͤnde und Augen wie ich; und dann ſezte er hinzu, ich hab zuerſt auch geglaubt, ich koͤnne es faſt nicht lehrnen, aber da iſt es mir einsmals gekommen, ich hab faſt nicht gewußt wie: aber ihr muͤßt mit den Au- gen dazu ſperbern wie wenn ihr Sommervoͤgel fangen wolltet. Dieſes Spiel, und was er dazu ſagte, machte die Kinder muthiger und eifriger ob ihrer Arbeit. Ob ſie wollten oder nicht, ſie mußten ſpin- nen lehrnen: Gertrud lieſſe ſich keine Muͤhe dauren; ſie verglich ihr Garn alle Tag vor ihren Augen; zeigte ihnen den Unterſchied vom Morgen-Garn und vom Abend-Garn, und vom geſtrigen und vom vorgeſtrigen; wenn nur ein Faden darinn ſchlechter war, nahm ſie ihn uͤber den Finger und hielt ihn ihnen vor Augen. §. 11. Eine Art Wiedergeburth. So viel thut ſie an den Kindern; aber ſie thut an derſelbigen Vater nicht minder; Tag fuͤr Tag kommt ſie ihm in’s Haus, und wo ſie im Stall, im Tenn oder ſonſt etwas nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/66
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/66>, abgerufen am 21.11.2024.