das ganze Dorf sein wäre, ich wollte ihn nicht. -- Aber es muß ja keiner von beyden seyn.
Sie entschlummerte erst gegen Morgen, und da träumte ihr noch von ihm, sie ließ ei- nen Schrey, wie wenn man sie mörden wollte, und erwekte das Kind, das neben ihr schlief, mit ihrem Schreyen.
§. 35. Die Mitternacht-Stunde eines Vaters und eines Sohns.
Es war überall kein gute Schlaf-Nacht, der Rudi konnte es eben so wenig als sie, und die Leuthe, die am Morgen unter die Lin- de mußten, konnten es alle auch nicht; -- am wenigsten der Junker.
Das Volk das nicht schlafen könnte, lag ihm auf dem Herzen. Er dachte den Ursachen ihres Verderbens im Ernst nach, und unter- drükte den grossen Gedanken, daß die Regierung seines Großvaters die Ursache von dem Unglük dieser verheerten Menschen sey, und daß über- haupt das pflichtlose Leben der oberkeitlichen Personen, und des herrschaftlichen Stands die Hauptursach der Lebensverheerung seye, die in den niedern Ständen herrsche. Die-
das ganze Dorf ſein waͤre, ich wollte ihn nicht. — Aber es muß ja keiner von beyden ſeyn.
Sie entſchlummerte erſt gegen Morgen, und da traͤumte ihr noch von ihm, ſie ließ ei- nen Schrey, wie wenn man ſie moͤrden wollte, und erwekte das Kind, das neben ihr ſchlief, mit ihrem Schreyen.
§. 35. Die Mitternacht-Stunde eines Vaters und eines Sohns.
Es war uͤberall kein gute Schlaf-Nacht, der Rudi konnte es eben ſo wenig als ſie, und die Leuthe, die am Morgen unter die Lin- de mußten, konnten es alle auch nicht; — am wenigſten der Junker.
Das Volk das nicht ſchlafen koͤnnte, lag ihm auf dem Herzen. Er dachte den Urſachen ihres Verderbens im Ernſt nach, und unter- druͤkte den groſſen Gedanken, daß die Regierung ſeines Großvaters die Urſache von dem Ungluͤk dieſer verheerten Menſchen ſey, und daß uͤber- haupt das pflichtloſe Leben der oberkeitlichen Perſonen, und des herrſchaftlichen Stands die Haupturſach der Lebensverheerung ſeye, die in den niedern Staͤnden herrſche. Die-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0184"n="162"/>
das ganze Dorf ſein waͤre, ich wollte ihn<lb/>
nicht. — Aber es muß ja keiner von beyden<lb/>ſeyn.</p><lb/><p>Sie entſchlummerte erſt gegen Morgen,<lb/>
und da traͤumte ihr noch von ihm, ſie ließ ei-<lb/>
nen Schrey, wie wenn man ſie moͤrden wollte,<lb/>
und erwekte das Kind, das neben ihr ſchlief,<lb/>
mit ihrem Schreyen.</p></div><lb/><divn="1"><head>§. 35.<lb/>
Die Mitternacht-Stunde eines Vaters<lb/>
und eines Sohns.</head><lb/><p><hirendition="#in">E</hi>s war uͤberall kein gute Schlaf-Nacht,<lb/>
der Rudi konnte es eben ſo wenig als ſie,<lb/>
und die Leuthe, die am Morgen unter die Lin-<lb/>
de mußten, konnten es alle auch nicht; —<lb/>
am wenigſten der Junker.</p><lb/><p>Das Volk das nicht ſchlafen koͤnnte, lag<lb/>
ihm auf dem Herzen. Er dachte den Urſachen<lb/>
ihres Verderbens im Ernſt nach, und unter-<lb/>
druͤkte den groſſen Gedanken, daß die Regierung<lb/>ſeines Großvaters die Urſache von dem Ungluͤk<lb/>
dieſer verheerten Menſchen ſey, und daß uͤber-<lb/>
haupt das pflichtloſe Leben der oberkeitlichen<lb/>
Perſonen, und des herrſchaftlichen Stands<lb/>
die Haupturſach der <choice><sic>Lebensverheernng</sic><corr>Lebensverheerung</corr></choice>ſeye,<lb/>
die in den niedern Staͤnden herrſche. Die-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[162/0184]
das ganze Dorf ſein waͤre, ich wollte ihn
nicht. — Aber es muß ja keiner von beyden
ſeyn.
Sie entſchlummerte erſt gegen Morgen,
und da traͤumte ihr noch von ihm, ſie ließ ei-
nen Schrey, wie wenn man ſie moͤrden wollte,
und erwekte das Kind, das neben ihr ſchlief,
mit ihrem Schreyen.
§. 35.
Die Mitternacht-Stunde eines Vaters
und eines Sohns.
Es war uͤberall kein gute Schlaf-Nacht,
der Rudi konnte es eben ſo wenig als ſie,
und die Leuthe, die am Morgen unter die Lin-
de mußten, konnten es alle auch nicht; —
am wenigſten der Junker.
Das Volk das nicht ſchlafen koͤnnte, lag
ihm auf dem Herzen. Er dachte den Urſachen
ihres Verderbens im Ernſt nach, und unter-
druͤkte den groſſen Gedanken, daß die Regierung
ſeines Großvaters die Urſache von dem Ungluͤk
dieſer verheerten Menſchen ſey, und daß uͤber-
haupt das pflichtloſe Leben der oberkeitlichen
Perſonen, und des herrſchaftlichen Stands
die Haupturſach der Lebensverheerung ſeye,
die in den niedern Staͤnden herrſche. Die-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/184>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.