§. 16. Zieht den Hut ab, Kinder! es folgt ein Sterbbett.
Der Hübelrudi saß eben bey seinen vier Kin- dern. Vor drey Monaten war ihm seine Frau ge- storben, und jezt lag seine Mutter sterbend auf ei- nem Strohsack, und sagte zu Rudi;
Suche mir doch Nachmittag etwas Laub in meine Decke, ich friere.
O Mutter! so bald das Feuer im Ofen ver- loschen seyn wird, will ich gehen.
Die Mutter. Hast du auch noch Holz, Rudi? Ich denke wohl, nein; du kannst nicht in den Wald von mir und den Kindern weg. O Rudi! ach, ich bin dir zur Last --
Rudi. O Mutter, Mutter! sag doch das nicht, du bist mir nicht zur Last. Mein Gott! mein Gott! Könnte ich dir nur auch, was du nö- thig hast, geben. -- Du dürstest, du hungerst, und klagst nicht. Das geht mir ans Herz, Mutter!
Die Mutter. Gräme dich nicht, Rudi! Mei- ne Schmerzen sind, Gott Lob! nicht groß; und Gott wird bald helfen, und mein Segen wird dir loh- nen, was du mir thust.
Rudj.
§. 16. Zieht den Hut ab, Kinder! es folgt ein Sterbbett.
Der Huͤbelrudi ſaß eben bey ſeinen vier Kin- dern. Vor drey Monaten war ihm ſeine Frau ge- ſtorben, und jezt lag ſeine Mutter ſterbend auf ei- nem Strohſack, und ſagte zu Rudi;
Suche mir doch Nachmittag etwas Laub in meine Decke, ich friere.
O Mutter! ſo bald das Feuer im Ofen ver- loſchen ſeyn wird, will ich gehen.
Die Mutter. Haſt du auch noch Holz, Rudi? Ich denke wohl, nein; du kannſt nicht in den Wald von mir und den Kindern weg. O Rudi! ach, ich bin dir zur Laſt —
Rudi. O Mutter, Mutter! ſag doch das nicht, du biſt mir nicht zur Laſt. Mein Gott! mein Gott! Koͤnnte ich dir nur auch, was du noͤ- thig haſt, geben. — Du duͤrſteſt, du hungerſt, und klagſt nicht. Das geht mir ans Herz, Mutter!
Die Mutter. Graͤme dich nicht, Rudi! Mei- ne Schmerzen ſind, Gott Lob! nicht groß; und Gott wird bald helfen, und mein Segen wird dir loh- nen, was du mir thuſt.
Rudj.
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§. 16.
Zieht den Hut ab, Kinder! es folgt ein
Sterbbett.
Der Huͤbelrudi ſaß eben bey ſeinen vier Kin-
dern. Vor drey Monaten war ihm ſeine Frau ge-
ſtorben, und jezt lag ſeine Mutter ſterbend auf ei-
nem Strohſack, und ſagte zu Rudi;
Suche mir doch Nachmittag etwas Laub in
meine Decke, ich friere.
O Mutter! ſo bald das Feuer im Ofen ver-
loſchen ſeyn wird, will ich gehen.
Die Mutter. Haſt du auch noch Holz, Rudi?
Ich denke wohl, nein; du kannſt nicht in den
Wald von mir und den Kindern weg. O Rudi!
ach, ich bin dir zur Laſt —
Rudi. O Mutter, Mutter! ſag doch das
nicht, du biſt mir nicht zur Laſt. Mein Gott!
mein Gott! Koͤnnte ich dir nur auch, was du noͤ-
thig haſt, geben. — Du duͤrſteſt, du hungerſt, und
klagſt nicht. Das geht mir ans Herz, Mutter!
Die Mutter. Graͤme dich nicht, Rudi! Mei-
ne Schmerzen ſind, Gott Lob! nicht groß; und Gott
wird bald helfen, und mein Segen wird dir loh-
nen, was du mir thuſt.
Rudj.
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/116>, abgerufen am 21.11.2024.
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