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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Arteneinheit des Menschengeschlechtes.
Borneo's zur ewigen Schmach eines Mannes errichtet würden, der
sich einer schamlosen Lüge oder eines Wortbruches schuldig ge-
macht habe 1).

Ein scheinbar ganz sinnloser Brauch ist es endlich, dass der
Mann, wenn ihm ein Kind geboren wird, sich auf das Lager streckt
und wie eine Wöchnerin gebärdet. Diodor kennt eine solche Sitte
in Corsika, Strabo beschreibt sie unter den spanischen Basken 2)
und bei ihnen hat sie sich unter der Bezeichnung couvade noch
bis auf die Gegenwart erhalten 3). Marco Polo schreibt diese Ge-
wohnheit der Bevölkerung von Zardandam oder den "Leuten mit
den goldenen Zähnen" zu, die wir nach Pauthier's Erläuterungen
westlich vom chinesischen Yünnan am obern Mekong suchen
müssen 4), und nicht allzuweit entfernt davon, nämlich auf Borneo
darf noch jetzt bei den Dayaken der Vater des Neugebornen acht
Tage lang nur Reis essen, muss sich hüten in die Sonne zu gehen
und vier Tage lang auf jedes Bad verzichten 5). In Südamerika,
östlich von den Cordilleren, ist die Sitte des väterlichen Wochen-
bettes von Martius bei den Mundrucus und Manaos am Amazonen-
strom beobachtet worden, sie erstreckt sich auch auf die Cariben 6)
und auf die Macuschi Guayanas, bei denen sie der jüngere Schom-
burgk vorfand 7), sowie auf die Jivaro am Napo nach James Orton 8).
Damit ist übrigens noch nicht die Aufzählung aller Völker erschöpft,
die sich dieser Sitte anbequemten 9), doch wollen wir nur hinzu-
fügen, dass sie am Beginn des vorigen Jahrhunderts von dem
Missionär Zucchelli auch bei Negern in Cassange angetroffen wurde 10).
Flüchtige Reisende haben nicht versäumt diesen Gebrauch als eine

1) Life in the Far East. London 1862. tom. I. p. 76.
2) Geogr. lib. III, cap. 4, Tauchn. ed. I, 265.
3) Lubbock, Prehistoric Times. p. 580.
4) Marco Polo, lib. II, cap. 41 oder cap. CXIX.
5) Spenser St. John l. c. I, 160.
6) Spix und Martius, Reise in Brasilien Bd. 3, S. 1339 und Martius,
Ethnographie S. 392, S. 588.
7) Reisen, Bd. 2. S. 314.
8) The Andes and the Amazon. London 1870. p. 172.
9) Seitdem das Obige gedruckt wurde (Ausland 1867. S. 1108) hat
Dr. Ploss eine Abhandlung "über das Männerkindbett" im 10. Jahresbericht
des Leipziger Vereins für Erdkunde. Leipzig 1871. S. 33--48 mit einem
noch grössern Reichthum an Belegstücken drucken lassen.
10) Antonio Zucchelli, Missione di Congo. Venezia 1712. VII, 15 p. 118.

Arteneinheit des Menschengeschlechtes.
Borneo’s zur ewigen Schmach eines Mannes errichtet würden, der
sich einer schamlosen Lüge oder eines Wortbruches schuldig ge-
macht habe 1).

Ein scheinbar ganz sinnloser Brauch ist es endlich, dass der
Mann, wenn ihm ein Kind geboren wird, sich auf das Lager streckt
und wie eine Wöchnerin gebärdet. Diodor kennt eine solche Sitte
in Corsika, Strabo beschreibt sie unter den spanischen Basken 2)
und bei ihnen hat sie sich unter der Bezeichnung couvade noch
bis auf die Gegenwart erhalten 3). Marco Polo schreibt diese Ge-
wohnheit der Bevölkerung von Zardandam oder den „Leuten mit
den goldenen Zähnen“ zu, die wir nach Pauthier’s Erläuterungen
westlich vom chinesischen Yünnan am obern Mekong suchen
müssen 4), und nicht allzuweit entfernt davon, nämlich auf Borneo
darf noch jetzt bei den Dayaken der Vater des Neugebornen acht
Tage lang nur Reis essen, muss sich hüten in die Sonne zu gehen
und vier Tage lang auf jedes Bad verzichten 5). In Südamerika,
östlich von den Cordilleren, ist die Sitte des väterlichen Wochen-
bettes von Martius bei den Mundrucus und Manaos am Amazonen-
strom beobachtet worden, sie erstreckt sich auch auf die Cariben 6)
und auf die Macuschi Guayanas, bei denen sie der jüngere Schom-
burgk vorfand 7), sowie auf die Jivaro am Napó nach James Orton 8).
Damit ist übrigens noch nicht die Aufzählung aller Völker erschöpft,
die sich dieser Sitte anbequemten 9), doch wollen wir nur hinzu-
fügen, dass sie am Beginn des vorigen Jahrhunderts von dem
Missionär Zucchelli auch bei Negern in Cassange angetroffen wurde 10).
Flüchtige Reisende haben nicht versäumt diesen Gebrauch als eine

1) Life in the Far East. London 1862. tom. I. p. 76.
2) Geogr. lib. III, cap. 4, Tauchn. ed. I, 265.
3) Lubbock, Prehistoric Times. p. 580.
4) Marco Polo, lib. II, cap. 41 oder cap. CXIX.
5) Spenser St. John l. c. I, 160.
6) Spix und Martius, Reise in Brasilien Bd. 3, S. 1339 und Martius,
Ethnographie S. 392, S. 588.
7) Reisen, Bd. 2. S. 314.
8) The Andes and the Amazon. London 1870. p. 172.
9) Seitdem das Obige gedruckt wurde (Ausland 1867. S. 1108) hat
Dr. Ploss eine Abhandlung „über das Männerkindbett“ im 10. Jahresbericht
des Leipziger Vereins für Erdkunde. Leipzig 1871. S. 33—48 mit einem
noch grössern Reichthum an Belegstücken drucken lassen.
10) Antonio Zucchelli, Missione di Congo. Venezia 1712. VII, 15 p. 118.
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[26/0044] Arteneinheit des Menschengeschlechtes. Borneo’s zur ewigen Schmach eines Mannes errichtet würden, der sich einer schamlosen Lüge oder eines Wortbruches schuldig ge- macht habe 1). Ein scheinbar ganz sinnloser Brauch ist es endlich, dass der Mann, wenn ihm ein Kind geboren wird, sich auf das Lager streckt und wie eine Wöchnerin gebärdet. Diodor kennt eine solche Sitte in Corsika, Strabo beschreibt sie unter den spanischen Basken 2) und bei ihnen hat sie sich unter der Bezeichnung couvade noch bis auf die Gegenwart erhalten 3). Marco Polo schreibt diese Ge- wohnheit der Bevölkerung von Zardandam oder den „Leuten mit den goldenen Zähnen“ zu, die wir nach Pauthier’s Erläuterungen westlich vom chinesischen Yünnan am obern Mekong suchen müssen 4), und nicht allzuweit entfernt davon, nämlich auf Borneo darf noch jetzt bei den Dayaken der Vater des Neugebornen acht Tage lang nur Reis essen, muss sich hüten in die Sonne zu gehen und vier Tage lang auf jedes Bad verzichten 5). In Südamerika, östlich von den Cordilleren, ist die Sitte des väterlichen Wochen- bettes von Martius bei den Mundrucus und Manaos am Amazonen- strom beobachtet worden, sie erstreckt sich auch auf die Cariben 6) und auf die Macuschi Guayanas, bei denen sie der jüngere Schom- burgk vorfand 7), sowie auf die Jivaro am Napó nach James Orton 8). Damit ist übrigens noch nicht die Aufzählung aller Völker erschöpft, die sich dieser Sitte anbequemten 9), doch wollen wir nur hinzu- fügen, dass sie am Beginn des vorigen Jahrhunderts von dem Missionär Zucchelli auch bei Negern in Cassange angetroffen wurde 10). Flüchtige Reisende haben nicht versäumt diesen Gebrauch als eine 1) Life in the Far East. London 1862. tom. I. p. 76. 2) Geogr. lib. III, cap. 4, Tauchn. ed. I, 265. 3) Lubbock, Prehistoric Times. p. 580. 4) Marco Polo, lib. II, cap. 41 oder cap. CXIX. 5) Spenser St. John l. c. I, 160. 6) Spix und Martius, Reise in Brasilien Bd. 3, S. 1339 und Martius, Ethnographie S. 392, S. 588. 7) Reisen, Bd. 2. S. 314. 8) The Andes and the Amazon. London 1870. p. 172. 9) Seitdem das Obige gedruckt wurde (Ausland 1867. S. 1108) hat Dr. Ploss eine Abhandlung „über das Männerkindbett“ im 10. Jahresbericht des Leipziger Vereins für Erdkunde. Leipzig 1871. S. 33—48 mit einem noch grössern Reichthum an Belegstücken drucken lassen. 10) Antonio Zucchelli, Missione di Congo. Venezia 1712. VII, 15 p. 118.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/44>, abgerufen am 26.04.2024.