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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.
und von Elba aus die Nähe Corsicas die Etrusker viel zeitiger als
die Römer hinausgezogen in das Mittelmeer. Oesterreich bemannt
seine Kriegsflotte noch jetzt mit den trefflichen Matrosen, die ihm
die inselreichen Küsten Dalmatiens liefern, und Genuas ehemalige
Grösse beruht nicht bloss auf der Geräumigkeit seines natürlichen
Hafens, sondern auch auf dem Umstand, dass bei klarem Wetter
von der Riviera aus Corsica sichtbar ist, das erste Ziel einer län-
geren Seefahrt für ligurische Fischerbarken. Die britischen Inseln
haben in früheren Jahrhunderten nach und nach Bevölkerungen
an sich gezogen, die sich an Seetüchtigkeit überboten. Vor den
Normannen, Dänen und Sachsen haben sich schon die Kelten in
atlantische Fernen gewagt, denn wir wissen, dass die ersten Nor-
mannen, die auf Island landeten, dort irische Alterthümer aus der
christlichen Zeit vorfanden, die eine vorausgehende Besiedlung
durch fromme keltische Einsiedler bezeugten.

Werden daher irgendwo durch die Senkung von Ländermassen
grosse Stücke von Festlanden abgetrennt, so entstehen aus den
Bruchstücken Inselgesellschaften auf seichten Meeren1). In der
alten Welt begegnet uns diese Erscheinung zwischen Südasien und
Australien, die ehemals fest verbunden waren, bis sich ihr Zu-
sammenhang in die Sunda-, Banda- und Molukkeninseln auflöste.
Von dort aus hat eine Menschenrace von ungewöhnlicher See-
tüchtigkeit, die Malayen die Oceane durchschwärmt auf mehr als
eine halbe Aequatorlänge, sie hat sich im stillen Meer gegen
Norden bis zu der Havai- oder Sandwichgruppe, gegen Osten bis
zu der Osterinsel, gegen Süden bis Neu-Seeland, im indischen
Ocean aber bis nach Madagascar ausgebreitet. Da wo sich durch
Annäherung Asiens und Europas das Mittelmeerbecken zu den
Dardanellen verengt, ist als Rest eines ehemaligen Zusammen-
hangs beider Welttheile die griechische Inselwelt übrig geblieben,
die nach den Phöniciern das seekundigste Volk des Alterthums
ausbildete, das mit der Zeit seine Töchterstädte und Handelsplätze
über beide Becken des Mittelmeeres, im Pontus bis zur Mündung
des Don, auf dem Wege durch das rothe Meer bis nach Ostindien
ausdehnte. Im Kleinen finden wir eine solche Inselauflösung noch
zwischen dem norddeutschen und dem skandinavischen Festlande,
wo die Dänen erwuchsen, denen ein Mischungstheil am britischen

1) Peschel, Neue Probleme der vergleichenden Erdkunde. S. 24.

Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.
und von Elba aus die Nähe Corsicas die Etrusker viel zeitiger als
die Römer hinausgezogen in das Mittelmeer. Oesterreich bemannt
seine Kriegsflotte noch jetzt mit den trefflichen Matrosen, die ihm
die inselreichen Küsten Dalmatiens liefern, und Genuas ehemalige
Grösse beruht nicht bloss auf der Geräumigkeit seines natürlichen
Hafens, sondern auch auf dem Umstand, dass bei klarem Wetter
von der Riviera aus Corsica sichtbar ist, das erste Ziel einer län-
geren Seefahrt für ligurische Fischerbarken. Die britischen Inseln
haben in früheren Jahrhunderten nach und nach Bevölkerungen
an sich gezogen, die sich an Seetüchtigkeit überboten. Vor den
Normannen, Dänen und Sachsen haben sich schon die Kelten in
atlantische Fernen gewagt, denn wir wissen, dass die ersten Nor-
mannen, die auf Island landeten, dort irische Alterthümer aus der
christlichen Zeit vorfanden, die eine vorausgehende Besiedlung
durch fromme keltische Einsiedler bezeugten.

Werden daher irgendwo durch die Senkung von Ländermassen
grosse Stücke von Festlanden abgetrennt, so entstehen aus den
Bruchstücken Inselgesellschaften auf seichten Meeren1). In der
alten Welt begegnet uns diese Erscheinung zwischen Südasien und
Australien, die ehemals fest verbunden waren, bis sich ihr Zu-
sammenhang in die Sunda-, Banda- und Molukkeninseln auflöste.
Von dort aus hat eine Menschenrace von ungewöhnlicher See-
tüchtigkeit, die Malayen die Oceane durchschwärmt auf mehr als
eine halbe Aequatorlänge, sie hat sich im stillen Meer gegen
Norden bis zu der Havai- oder Sandwichgruppe, gegen Osten bis
zu der Osterinsel, gegen Süden bis Neu-Seeland, im indischen
Ocean aber bis nach Madagascar ausgebreitet. Da wo sich durch
Annäherung Asiens und Europas das Mittelmeerbecken zu den
Dardanellen verengt, ist als Rest eines ehemaligen Zusammen-
hangs beider Welttheile die griechische Inselwelt übrig geblieben,
die nach den Phöniciern das seekundigste Volk des Alterthums
ausbildete, das mit der Zeit seine Töchterstädte und Handelsplätze
über beide Becken des Mittelmeeres, im Pontus bis zur Mündung
des Don, auf dem Wege durch das rothe Meer bis nach Ostindien
ausdehnte. Im Kleinen finden wir eine solche Inselauflösung noch
zwischen dem norddeutschen und dem skandinavischen Festlande,
wo die Dänen erwuchsen, denen ein Mischungstheil am britischen

1) Peschel, Neue Probleme der vergleichenden Erdkunde. S. 24.
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[212/0230] Fahrzeuge und Seetüchtigkeit. und von Elba aus die Nähe Corsicas die Etrusker viel zeitiger als die Römer hinausgezogen in das Mittelmeer. Oesterreich bemannt seine Kriegsflotte noch jetzt mit den trefflichen Matrosen, die ihm die inselreichen Küsten Dalmatiens liefern, und Genuas ehemalige Grösse beruht nicht bloss auf der Geräumigkeit seines natürlichen Hafens, sondern auch auf dem Umstand, dass bei klarem Wetter von der Riviera aus Corsica sichtbar ist, das erste Ziel einer län- geren Seefahrt für ligurische Fischerbarken. Die britischen Inseln haben in früheren Jahrhunderten nach und nach Bevölkerungen an sich gezogen, die sich an Seetüchtigkeit überboten. Vor den Normannen, Dänen und Sachsen haben sich schon die Kelten in atlantische Fernen gewagt, denn wir wissen, dass die ersten Nor- mannen, die auf Island landeten, dort irische Alterthümer aus der christlichen Zeit vorfanden, die eine vorausgehende Besiedlung durch fromme keltische Einsiedler bezeugten. Werden daher irgendwo durch die Senkung von Ländermassen grosse Stücke von Festlanden abgetrennt, so entstehen aus den Bruchstücken Inselgesellschaften auf seichten Meeren 1). In der alten Welt begegnet uns diese Erscheinung zwischen Südasien und Australien, die ehemals fest verbunden waren, bis sich ihr Zu- sammenhang in die Sunda-, Banda- und Molukkeninseln auflöste. Von dort aus hat eine Menschenrace von ungewöhnlicher See- tüchtigkeit, die Malayen die Oceane durchschwärmt auf mehr als eine halbe Aequatorlänge, sie hat sich im stillen Meer gegen Norden bis zu der Havai- oder Sandwichgruppe, gegen Osten bis zu der Osterinsel, gegen Süden bis Neu-Seeland, im indischen Ocean aber bis nach Madagascar ausgebreitet. Da wo sich durch Annäherung Asiens und Europas das Mittelmeerbecken zu den Dardanellen verengt, ist als Rest eines ehemaligen Zusammen- hangs beider Welttheile die griechische Inselwelt übrig geblieben, die nach den Phöniciern das seekundigste Volk des Alterthums ausbildete, das mit der Zeit seine Töchterstädte und Handelsplätze über beide Becken des Mittelmeeres, im Pontus bis zur Mündung des Don, auf dem Wege durch das rothe Meer bis nach Ostindien ausdehnte. Im Kleinen finden wir eine solche Inselauflösung noch zwischen dem norddeutschen und dem skandinavischen Festlande, wo die Dänen erwuchsen, denen ein Mischungstheil am britischen 1) Peschel, Neue Probleme der vergleichenden Erdkunde. S. 24.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/230>, abgerufen am 26.04.2024.