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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Bekleidung und Obdach.
ohne Zweifel einem hohen Alterthume an. Aus Innerasien hat es
sich mit dem Passatwinde und innerhalb der Passatzone über die
Sahara bis zu dem Waldgebiete Mittelafrikas verbreitet, aber unter-
wegs in ein luftiges Zelt aus gewebten Stoffen verwandelt und ist
im arabischen Baustyl mit seinen Kuppeln und dünnen Säulen-
schäften, welche letztere die Zeltstangen vertreten, architectonisch
geworden.

Im tropischen Hochwalde Amerikas schützt die wandernden
Jäger gegen den Regen ein schräges Dach aus Palmwedeln oder
ruderartigen Blättern, die schuppenartig über einander gelegt
werden. Wenn Völkerschaften sich endlich festsetzen, begnügen
sie sich zunächst mit einem viereckigen oder runden Unterbau
aus Stangen, die mit Flechtwerk oder Rindenstücken verbunden
werden. Ein giebel- oder kegelförmiges Dach, das mit Blättern,
Grasbüscheln oder Binsengarben bedeckt wird, vollendet die ein-
fache Hütte. Oft wohnen dann ganze Horden in einem einzigen
klosterartigen Bau, innerhalb welchem für jede Familie eine Zelle
abgetheilt wird. Zwei solcher Gebäude zusammen für 150 Per-
sonen beschreibt Dumont d'Urville bei den Arfaki Neu-Guineas,
und ähnliche kommen ebendaselbst am Utanatefluss vor 1). Spenser
St. John traf auf Borneo ein Gebäude der Dayaken von 534 Fuss
Länge 2). Solche Zellenanreihungen sind auch bei den Ostjaken ge-
bräuchlich 3), aber die geräumigsten Holzbauten dieser Art werden
im Nordwesten Amerikas von den Haidah auf den Königin-Char-
lotte-Inseln und den Colquilth auf Vancouver bewohnt, die Platz
für 2--300, ja am Nutka Sund sogar für 800 Köpfe bieten 4).
Nicht so stark bevölkert aber immerhin für etliche Familien aus-
reichend sind die Rindenhütten der Indianer im Osten der heu-
tigen Union, die Charlevoix beschreibt 5). Selbst in Südamerika
fehlen solche Gemeindehäuser nicht. Wallace traf sie am Uaupes
(Rio Negro) bei dem Stamme gleichen Namens bis zu 115' Länge
und 75' Breite 6).

Die Verwendung von knetbarer Erde zur Verdichtung der

1) Otto Finsch, Neu-Guinea. S. 60.
2) Life in the Far East. tom. I. p. 7.
3) Pallas, l. c. p. 58.
4) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. S. 332.
5) Nouvelle France. tom. III. p. 334.
6) v. Martius, Ethnographie. Bd. 1. S. 597.

Bekleidung und Obdach.
ohne Zweifel einem hohen Alterthume an. Aus Innerasien hat es
sich mit dem Passatwinde und innerhalb der Passatzone über die
Sahara bis zu dem Waldgebiete Mittelafrikas verbreitet, aber unter-
wegs in ein luftiges Zelt aus gewebten Stoffen verwandelt und ist
im arabischen Baustyl mit seinen Kuppeln und dünnen Säulen-
schäften, welche letztere die Zeltstangen vertreten, architectonisch
geworden.

Im tropischen Hochwalde Amerikas schützt die wandernden
Jäger gegen den Regen ein schräges Dach aus Palmwedeln oder
ruderartigen Blättern, die schuppenartig über einander gelegt
werden. Wenn Völkerschaften sich endlich festsetzen, begnügen
sie sich zunächst mit einem viereckigen oder runden Unterbau
aus Stangen, die mit Flechtwerk oder Rindenstücken verbunden
werden. Ein giebel- oder kegelförmiges Dach, das mit Blättern,
Grasbüscheln oder Binsengarben bedeckt wird, vollendet die ein-
fache Hütte. Oft wohnen dann ganze Horden in einem einzigen
klosterartigen Bau, innerhalb welchem für jede Familie eine Zelle
abgetheilt wird. Zwei solcher Gebäude zusammen für 150 Per-
sonen beschreibt Dumont d’Urville bei den Arfaki Neu-Guineas,
und ähnliche kommen ebendaselbst am Utanatefluss vor 1). Spenser
St. John traf auf Borneo ein Gebäude der Dayaken von 534 Fuss
Länge 2). Solche Zellenanreihungen sind auch bei den Ostjaken ge-
bräuchlich 3), aber die geräumigsten Holzbauten dieser Art werden
im Nordwesten Amerikas von den Haidah auf den Königin-Char-
lotte-Inseln und den Colquilth auf Vancouver bewohnt, die Platz
für 2—300, ja am Nutka Sund sogar für 800 Köpfe bieten 4).
Nicht so stark bevölkert aber immerhin für etliche Familien aus-
reichend sind die Rindenhütten der Indianer im Osten der heu-
tigen Union, die Charlevoix beschreibt 5). Selbst in Südamerika
fehlen solche Gemeindehäuser nicht. Wallace traf sie am Uaupés
(Rio Negro) bei dem Stamme gleichen Namens bis zu 115′ Länge
und 75′ Breite 6).

Die Verwendung von knetbarer Erde zur Verdichtung der

1) Otto Finsch, Neu-Guinea. S. 60.
2) Life in the Far East. tom. I. p. 7.
3) Pallas, l. c. p. 58.
4) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. S. 332.
5) Nouvelle France. tom. III. p. 334.
6) v. Martius, Ethnographie. Bd. 1. S. 597.
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[186/0204] Bekleidung und Obdach. ohne Zweifel einem hohen Alterthume an. Aus Innerasien hat es sich mit dem Passatwinde und innerhalb der Passatzone über die Sahara bis zu dem Waldgebiete Mittelafrikas verbreitet, aber unter- wegs in ein luftiges Zelt aus gewebten Stoffen verwandelt und ist im arabischen Baustyl mit seinen Kuppeln und dünnen Säulen- schäften, welche letztere die Zeltstangen vertreten, architectonisch geworden. Im tropischen Hochwalde Amerikas schützt die wandernden Jäger gegen den Regen ein schräges Dach aus Palmwedeln oder ruderartigen Blättern, die schuppenartig über einander gelegt werden. Wenn Völkerschaften sich endlich festsetzen, begnügen sie sich zunächst mit einem viereckigen oder runden Unterbau aus Stangen, die mit Flechtwerk oder Rindenstücken verbunden werden. Ein giebel- oder kegelförmiges Dach, das mit Blättern, Grasbüscheln oder Binsengarben bedeckt wird, vollendet die ein- fache Hütte. Oft wohnen dann ganze Horden in einem einzigen klosterartigen Bau, innerhalb welchem für jede Familie eine Zelle abgetheilt wird. Zwei solcher Gebäude zusammen für 150 Per- sonen beschreibt Dumont d’Urville bei den Arfaki Neu-Guineas, und ähnliche kommen ebendaselbst am Utanatefluss vor 1). Spenser St. John traf auf Borneo ein Gebäude der Dayaken von 534 Fuss Länge 2). Solche Zellenanreihungen sind auch bei den Ostjaken ge- bräuchlich 3), aber die geräumigsten Holzbauten dieser Art werden im Nordwesten Amerikas von den Haidah auf den Königin-Char- lotte-Inseln und den Colquilth auf Vancouver bewohnt, die Platz für 2—300, ja am Nutka Sund sogar für 800 Köpfe bieten 4). Nicht so stark bevölkert aber immerhin für etliche Familien aus- reichend sind die Rindenhütten der Indianer im Osten der heu- tigen Union, die Charlevoix beschreibt 5). Selbst in Südamerika fehlen solche Gemeindehäuser nicht. Wallace traf sie am Uaupés (Rio Negro) bei dem Stamme gleichen Namens bis zu 115′ Länge und 75′ Breite 6). Die Verwendung von knetbarer Erde zur Verdichtung der 1) Otto Finsch, Neu-Guinea. S. 60. 2) Life in the Far East. tom. I. p. 7. 3) Pallas, l. c. p. 58. 4) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. S. 332. 5) Nouvelle France. tom. III. p. 334. 6) v. Martius, Ethnographie. Bd. 1. S. 597.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/204>, abgerufen am 27.04.2024.