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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Der Bau der menschlichen Sprache.
die Vorsatzsylben Ba-, Ma-, Le- und Se- nach sich ziehen. Da, wo
sich diese Präfixen in Vollständigkeit erhalten haben, finden wir
deren 16, vielleicht 18, von denen die meisten entweder nur eine
Mehrheit oder nur die Einheit anzeigen. Nur zwei von diesen Vor-
satzsylben unterscheiden unzweideutig natürliche Unterschiede,
nämlich Mu und Ba, beide werden für Personen, die eine für die
Einheit, die andre für die Mehrheit gesetzt und vielleicht bedeutete
ehemals Mu Person und Ba Leute 1). Jedes Hauptwort und ebenso
jeder Thätigkeitsausdruck, um nicht zu sagen jedes Zeitwort ist mit
einer vorgesetzten Sylbe versehen, so dass ein Präfix ein so uner-
lässlicher Bestandtheil eines Wortes in diesen Sprachen ist, wie ein
Suffix in den ältern Zweigen der arischen Sprachenfamilie2). Dass
die Vorsatzsylben ehemals selbstständige Worte waren, dürfen wir
vertrauensvoll aussprechen, aber ihre Bedeutung ist aus dem Be-
wusstsein der jetzigen Geschlechter entschwunden und die Sprach-
gliederung ist hier bereits so weit gediehen, dass Lautgruppen aus-
schliesslich nur zu grammatischen Leistungen verwendet werden.
Der Gebrauch der Präfixe erfordert unter anderm, dass das Eigen-
schaftswort die nämliche Vorsatzsylbe wie das Hauptwort em-
pfängt. Wäre das Lateinische eine präfigirende Sprache, so würde
es statt vin-um bon-um heissen müssen um-vin um-bon. Im Zulu
bedeutet tyi Stein und bi hässlich, i ist der unbestimmte Artikel
und li das unerlässliche stellvertretende Präfix. Daher entsteht
i-li-tyi i-li-bi ein hässlicher Stein. Ja sogar der Genitiv wird durch das
Präfix des Nominativs ausgedrückt, so heisst im Zulu i-si-tya s-o-m-
fazi
die Schüssel der Frau und u-ku-dhla kw-o-m-fazi die Nahrung
der Frau. S-o-m-fazi und kw-o-m-fazi sind die Genitive von u-m-fazi
Frau, die mit dem Hauptwort im Präfix zusammenklingen 3).
Uebrigens verwenden die südafrikanischen Sprachen auch Suffixe zu
vielgliedrigen Wortbildungen 4).

1) W. H. Bleek, Comparative Grammar of South African Languages.
London 1869. S. 95.
2) Whitney, Study of language. London 1867. p. 345. In der Suto-
sprache sagt man ba-ntu (Menschen), ba-otle (alle), ba-molemo (gute), ba-le fatse
(der Welt), ba-ratoa (die Geliebten), was so viel bedeutet, wie: in der Welt
werden alle guten Menschen geliebt. Casalis, Les Bassoutos. Paris 1859.
p. 339.
3) Bleek im Journ. of the Anthrop. Institute. London 1872. tom. I.
p. LXXI.
4) Aus bona, sehen wird isi-bono, Gegenstand des Sehens, isi-boniso'

Der Bau der menschlichen Sprache.
die Vorsatzsylben Ba-, Ma-, Le- und Se- nach sich ziehen. Da, wo
sich diese Präfixen in Vollständigkeit erhalten haben, finden wir
deren 16, vielleicht 18, von denen die meisten entweder nur eine
Mehrheit oder nur die Einheit anzeigen. Nur zwei von diesen Vor-
satzsylben unterscheiden unzweideutig natürliche Unterschiede,
nämlich Mu und Ba, beide werden für Personen, die eine für die
Einheit, die andre für die Mehrheit gesetzt und vielleicht bedeutete
ehemals Mu Person und Ba Leute 1). Jedes Hauptwort und ebenso
jeder Thätigkeitsausdruck, um nicht zu sagen jedes Zeitwort ist mit
einer vorgesetzten Sylbe versehen, so dass ein Präfix ein so uner-
lässlicher Bestandtheil eines Wortes in diesen Sprachen ist, wie ein
Suffix in den ältern Zweigen der arischen Sprachenfamilie2). Dass
die Vorsatzsylben ehemals selbstständige Worte waren, dürfen wir
vertrauensvoll aussprechen, aber ihre Bedeutung ist aus dem Be-
wusstsein der jetzigen Geschlechter entschwunden und die Sprach-
gliederung ist hier bereits so weit gediehen, dass Lautgruppen aus-
schliesslich nur zu grammatischen Leistungen verwendet werden.
Der Gebrauch der Präfixe erfordert unter anderm, dass das Eigen-
schaftswort die nämliche Vorsatzsylbe wie das Hauptwort em-
pfängt. Wäre das Lateinische eine präfigirende Sprache, so würde
es statt vin-um bon-um heissen müssen um-vin um-bon. Im Zulu
bedeutet tyi Stein und bi hässlich, i ist der unbestimmte Artikel
und li das unerlässliche stellvertretende Präfix. Daher entsteht
i-li-tyi i-li-bi ein hässlicher Stein. Ja sogar der Genitiv wird durch das
Präfix des Nominativs ausgedrückt, so heisst im Zulu i-si-tya s-o-m-
fazi
die Schüssel der Frau und u-ku-dhla kw-o-m-fazi die Nahrung
der Frau. S-o-m-fazi und kw-o-m-fazi sind die Genitive von u-m-fazi
Frau, die mit dem Hauptwort im Präfix zusammenklingen 3).
Uebrigens verwenden die südafrikanischen Sprachen auch Suffixe zu
vielgliedrigen Wortbildungen 4).

1) W. H. Bleek, Comparative Grammar of South African Languages.
London 1869. S. 95.
2) Whitney, Study of language. London 1867. p. 345. In der Suto-
sprache sagt man ba-ntu (Menschen), ba-otle (alle), ba-molemo (gute), ba-le fatse
(der Welt), ba-ratoa (die Geliebten), was so viel bedeutet, wie: in der Welt
werden alle guten Menschen geliebt. Casalis, Les Bassoutos. Paris 1859.
p. 339.
3) Bleek im Journ. of the Anthrop. Institute. London 1872. tom. I.
p. LXXI.
4) Aus bona, sehen wird isi-bono, Gegenstand des Sehens, isi-boniso
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[126/0144] Der Bau der menschlichen Sprache. die Vorsatzsylben Ba-, Ma-, Le- und Se- nach sich ziehen. Da, wo sich diese Präfixen in Vollständigkeit erhalten haben, finden wir deren 16, vielleicht 18, von denen die meisten entweder nur eine Mehrheit oder nur die Einheit anzeigen. Nur zwei von diesen Vor- satzsylben unterscheiden unzweideutig natürliche Unterschiede, nämlich Mu und Ba, beide werden für Personen, die eine für die Einheit, die andre für die Mehrheit gesetzt und vielleicht bedeutete ehemals Mu Person und Ba Leute 1). Jedes Hauptwort und ebenso jeder Thätigkeitsausdruck, um nicht zu sagen jedes Zeitwort ist mit einer vorgesetzten Sylbe versehen, so dass ein Präfix ein so uner- lässlicher Bestandtheil eines Wortes in diesen Sprachen ist, wie ein Suffix in den ältern Zweigen der arischen Sprachenfamilie 2). Dass die Vorsatzsylben ehemals selbstständige Worte waren, dürfen wir vertrauensvoll aussprechen, aber ihre Bedeutung ist aus dem Be- wusstsein der jetzigen Geschlechter entschwunden und die Sprach- gliederung ist hier bereits so weit gediehen, dass Lautgruppen aus- schliesslich nur zu grammatischen Leistungen verwendet werden. Der Gebrauch der Präfixe erfordert unter anderm, dass das Eigen- schaftswort die nämliche Vorsatzsylbe wie das Hauptwort em- pfängt. Wäre das Lateinische eine präfigirende Sprache, so würde es statt vin-um bon-um heissen müssen um-vin um-bon. Im Zulu bedeutet tyi Stein und bi hässlich, i ist der unbestimmte Artikel und li das unerlässliche stellvertretende Präfix. Daher entsteht i-li-tyi i-li-bi ein hässlicher Stein. Ja sogar der Genitiv wird durch das Präfix des Nominativs ausgedrückt, so heisst im Zulu i-si-tya s-o-m- fazi die Schüssel der Frau und u-ku-dhla kw-o-m-fazi die Nahrung der Frau. S-o-m-fazi und kw-o-m-fazi sind die Genitive von u-m-fazi Frau, die mit dem Hauptwort im Präfix zusammenklingen 3). Uebrigens verwenden die südafrikanischen Sprachen auch Suffixe zu vielgliedrigen Wortbildungen 4). 1) W. H. Bleek, Comparative Grammar of South African Languages. London 1869. S. 95. 2) Whitney, Study of language. London 1867. p. 345. In der Suto- sprache sagt man ba-ntu (Menschen), ba-otle (alle), ba-molemo (gute), ba-le fatse (der Welt), ba-ratoa (die Geliebten), was so viel bedeutet, wie: in der Welt werden alle guten Menschen geliebt. Casalis, Les Bassoutos. Paris 1859. p. 339. 3) Bleek im Journ. of the Anthrop. Institute. London 1872. tom. I. p. LXXI. 4) Aus bona, sehen wird isi-bono, Gegenstand des Sehens, isi-boniso’

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/144>, abgerufen am 26.04.2024.