Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Grössenverhältnisse des Beckens und der Gliedmassen.
die zugewanderten Schotten, Iren, Engländer und Deutschen über-
ragen, so kann kein Zweifel vorhanden sein, dass die Nachkommen
der ausgewanderten Europäer innerhalb kurzer Zeit in den Ver-
einigten Staaten merklich an Leibeshöhe zugenommen haben. Dass
dem Ortswechsel diese Wirkung zugemessen werden darf, wird uns
dadurch glaubhafter, dass die Ureinwohner ebenfalls durch Körper-
grösse sich auszeichnen und auch bei ihnen erst mit dem 30. Le-
bensjahre der Stillstand des Wachsthums eintritt, wenigstens waren
die Irokesen, deren mehr als 500 gemessen wurden, im Mittel noch
ein wenig grösser wie die Unionsamerikaner in den gleichen Werbe-
bezirken 1). Dass bessere und reichliche Nahrung die Körpergrösse
befördert, bezeugen uns die durchgehends stattlicheren Gestalten
der polynesischen Häuptlinge auf den Südseeinseln 2). In gleicher
Weise zeigten sechs Männer einer Häuptlingsfamilie unter Kafirn
ein Mittel von 1830 Mm., oder 110 Mm. mehr, als sonst bei süd-
afrikanischen Bantunegern angetroffen wurden 3). Die auffallende
Kleinheit der Buschmänner am Südrande der Kalahari kann eben-
falls der schlechten Ernährung beigemessen werden, weil Chapman
im Norden bei grösserem Reichthum an Wild ihren Körperwuchs
stattlicher fand und die ihnen leiblich verschwisterten Koi-koin oder
Hottentotten vielleicht nur, weil sie Hirten und nicht Jäger sind
wie die Buschleute, diese an Höhe des Wuchses übertreffen. Doch
erklärt die Ernährung und die Beschaffenheit des Wohnorts durch-
aus nicht alle Unterschiede, sonst könnten nicht wiederum die
Kafirn die Hottentotten überragen, während doch beide in den-
selben Erdräumen auf gleiche Art sich ernähren. Gustav Fritsch 4)
bestimmte nämlich folgende Mittel:

MännerKörpergrösse.
Mm.
55Bantuneger1718
10Koi-koin1604
6Buschmänner1444

Bis zu einem gewissen Betrage darf also die Verschiedenheit der
Leibeshöhe der Abstammung zugeschrieben und in diesem Sinne
kann die Körpergrösse als Merkmal bei der Völkerbeschreibung

1) Gould, Investigations. p. 151--152.
2) Darwin, Abstammung des Menschen. I. 99.
3) Gustav Fritsch, Eingeborne Südafrikas. S. 17.
4) Eingeborne Südafrika's. S. 17. S. 277. S. 397.
6*

Die Grössenverhältnisse des Beckens und der Gliedmassen.
die zugewanderten Schotten, Iren, Engländer und Deutschen über-
ragen, so kann kein Zweifel vorhanden sein, dass die Nachkommen
der ausgewanderten Europäer innerhalb kurzer Zeit in den Ver-
einigten Staaten merklich an Leibeshöhe zugenommen haben. Dass
dem Ortswechsel diese Wirkung zugemessen werden darf, wird uns
dadurch glaubhafter, dass die Ureinwohner ebenfalls durch Körper-
grösse sich auszeichnen und auch bei ihnen erst mit dem 30. Le-
bensjahre der Stillstand des Wachsthums eintritt, wenigstens waren
die Irokesen, deren mehr als 500 gemessen wurden, im Mittel noch
ein wenig grösser wie die Unionsamerikaner in den gleichen Werbe-
bezirken 1). Dass bessere und reichliche Nahrung die Körpergrösse
befördert, bezeugen uns die durchgehends stattlicheren Gestalten
der polynesischen Häuptlinge auf den Südseeinseln 2). In gleicher
Weise zeigten sechs Männer einer Häuptlingsfamilie unter Kafirn
ein Mittel von 1830 Mm., oder 110 Mm. mehr, als sonst bei süd-
afrikanischen Bantunegern angetroffen wurden 3). Die auffallende
Kleinheit der Buschmänner am Südrande der Kalahari kann eben-
falls der schlechten Ernährung beigemessen werden, weil Chapman
im Norden bei grösserem Reichthum an Wild ihren Körperwuchs
stattlicher fand und die ihnen leiblich verschwisterten Koi-koin oder
Hottentotten vielleicht nur, weil sie Hirten und nicht Jäger sind
wie die Buschleute, diese an Höhe des Wuchses übertreffen. Doch
erklärt die Ernährung und die Beschaffenheit des Wohnorts durch-
aus nicht alle Unterschiede, sonst könnten nicht wiederum die
Kafirn die Hottentotten überragen, während doch beide in den-
selben Erdräumen auf gleiche Art sich ernähren. Gustav Fritsch 4)
bestimmte nämlich folgende Mittel:

MännerKörpergrösse.
Mm.
55Bantuneger1718
10Koi-koin1604
6Buschmänner1444

Bis zu einem gewissen Betrage darf also die Verschiedenheit der
Leibeshöhe der Abstammung zugeschrieben und in diesem Sinne
kann die Körpergrösse als Merkmal bei der Völkerbeschreibung

1) Gould, Investigations. p. 151—152.
2) Darwin, Abstammung des Menschen. I. 99.
3) Gustav Fritsch, Eingeborne Südafrikas. S. 17.
4) Eingeborne Südafrika’s. S. 17. S. 277. S. 397.
6*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0101" n="83"/><fw place="top" type="header">Die Grössenverhältnisse des Beckens und der Gliedmassen.</fw><lb/>
die zugewanderten Schotten, Iren, Engländer und Deutschen über-<lb/>
ragen, so kann kein Zweifel vorhanden sein, dass die Nachkommen<lb/>
der ausgewanderten Europäer innerhalb kurzer Zeit in den Ver-<lb/>
einigten Staaten merklich an Leibeshöhe zugenommen haben. Dass<lb/>
dem Ortswechsel diese Wirkung zugemessen werden darf, wird uns<lb/>
dadurch glaubhafter, dass die Ureinwohner ebenfalls durch Körper-<lb/>
grösse sich auszeichnen und auch bei ihnen erst mit dem 30. Le-<lb/>
bensjahre der Stillstand des Wachsthums eintritt, wenigstens waren<lb/>
die Irokesen, deren mehr als 500 gemessen wurden, im Mittel noch<lb/>
ein wenig grösser wie die Unionsamerikaner in den gleichen Werbe-<lb/>
bezirken <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Gould</hi>, Investigations. p. 151&#x2014;152.</note>. Dass bessere und reichliche Nahrung die Körpergrösse<lb/>
befördert, bezeugen uns die durchgehends stattlicheren Gestalten<lb/>
der polynesischen Häuptlinge auf den Südseeinseln <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#g">Darwin</hi>, Abstammung des Menschen. I. 99.</note>. In gleicher<lb/>
Weise zeigten sechs Männer einer Häuptlingsfamilie unter Kafirn<lb/>
ein Mittel von 1830 Mm., oder 110 Mm. mehr, als sonst bei süd-<lb/>
afrikanischen Bantunegern angetroffen wurden <note place="foot" n="3)"><hi rendition="#g">Gustav Fritsch</hi>, Eingeborne Südafrikas. S. 17.</note>. Die auffallende<lb/>
Kleinheit der Buschmänner am Südrande der Kalahari kann eben-<lb/>
falls der schlechten Ernährung beigemessen werden, weil Chapman<lb/>
im Norden bei grösserem Reichthum an Wild ihren Körperwuchs<lb/>
stattlicher fand und die ihnen leiblich verschwisterten Koi-koin oder<lb/>
Hottentotten vielleicht nur, weil sie Hirten und nicht Jäger sind<lb/>
wie die Buschleute, diese an Höhe des Wuchses übertreffen. Doch<lb/>
erklärt die Ernährung und die Beschaffenheit des Wohnorts durch-<lb/>
aus nicht alle Unterschiede, sonst könnten nicht wiederum die<lb/>
Kafirn die Hottentotten überragen, während doch beide in den-<lb/>
selben Erdräumen auf gleiche Art sich ernähren. Gustav Fritsch <note place="foot" n="4)">Eingeborne Südafrika&#x2019;s. S. 17. S. 277. S. 397.</note><lb/>
bestimmte nämlich folgende Mittel:</p><lb/>
          <table>
            <row>
              <cell>Männer</cell>
              <cell/>
              <cell>Körpergrösse.<lb/>
Mm.</cell>
            </row><lb/>
            <row>
              <cell>55</cell>
              <cell>Bantuneger</cell>
              <cell>1718</cell>
            </row><lb/>
            <row>
              <cell>10</cell>
              <cell>Koi-koin</cell>
              <cell>1604</cell>
            </row><lb/>
            <row>
              <cell>6</cell>
              <cell>Buschmänner</cell>
              <cell>1444</cell>
            </row><lb/>
          </table>
          <p>Bis zu einem gewissen Betrage darf also die Verschiedenheit der<lb/>
Leibeshöhe der Abstammung zugeschrieben und in diesem Sinne<lb/>
kann die Körpergrösse als Merkmal bei der Völkerbeschreibung<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">6*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0101] Die Grössenverhältnisse des Beckens und der Gliedmassen. die zugewanderten Schotten, Iren, Engländer und Deutschen über- ragen, so kann kein Zweifel vorhanden sein, dass die Nachkommen der ausgewanderten Europäer innerhalb kurzer Zeit in den Ver- einigten Staaten merklich an Leibeshöhe zugenommen haben. Dass dem Ortswechsel diese Wirkung zugemessen werden darf, wird uns dadurch glaubhafter, dass die Ureinwohner ebenfalls durch Körper- grösse sich auszeichnen und auch bei ihnen erst mit dem 30. Le- bensjahre der Stillstand des Wachsthums eintritt, wenigstens waren die Irokesen, deren mehr als 500 gemessen wurden, im Mittel noch ein wenig grösser wie die Unionsamerikaner in den gleichen Werbe- bezirken 1). Dass bessere und reichliche Nahrung die Körpergrösse befördert, bezeugen uns die durchgehends stattlicheren Gestalten der polynesischen Häuptlinge auf den Südseeinseln 2). In gleicher Weise zeigten sechs Männer einer Häuptlingsfamilie unter Kafirn ein Mittel von 1830 Mm., oder 110 Mm. mehr, als sonst bei süd- afrikanischen Bantunegern angetroffen wurden 3). Die auffallende Kleinheit der Buschmänner am Südrande der Kalahari kann eben- falls der schlechten Ernährung beigemessen werden, weil Chapman im Norden bei grösserem Reichthum an Wild ihren Körperwuchs stattlicher fand und die ihnen leiblich verschwisterten Koi-koin oder Hottentotten vielleicht nur, weil sie Hirten und nicht Jäger sind wie die Buschleute, diese an Höhe des Wuchses übertreffen. Doch erklärt die Ernährung und die Beschaffenheit des Wohnorts durch- aus nicht alle Unterschiede, sonst könnten nicht wiederum die Kafirn die Hottentotten überragen, während doch beide in den- selben Erdräumen auf gleiche Art sich ernähren. Gustav Fritsch 4) bestimmte nämlich folgende Mittel: Männer Körpergrösse. Mm. 55 Bantuneger 1718 10 Koi-koin 1604 6 Buschmänner 1444 Bis zu einem gewissen Betrage darf also die Verschiedenheit der Leibeshöhe der Abstammung zugeschrieben und in diesem Sinne kann die Körpergrösse als Merkmal bei der Völkerbeschreibung 1) Gould, Investigations. p. 151—152. 2) Darwin, Abstammung des Menschen. I. 99. 3) Gustav Fritsch, Eingeborne Südafrikas. S. 17. 4) Eingeborne Südafrika’s. S. 17. S. 277. S. 397. 6*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/101
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/101>, abgerufen am 26.04.2024.