Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker.
6. Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker.
Es ist nicht leicht den Segen zu überschätzen, der sich an den Austausch der örtlichen Erzeugnisse knüpft. Mit den Waaren und ihren Verkäufern werden auch Kunstmuster, Erfindungen, Erkenntnisse, Sitten, Gewohnheiten, dichterische Schöpfungen ver- breitet und den Fussstapfen des Kaufmannes folgt gewöhnlich der Missionär. Doch soll von allen diesen Wahrheiten hier nicht weiter die Rede sein, sondern statt dessen gezeigt werden, in wie fern hochgeschätzte Erzeugnisse der Erdräume die Verbrei- tung von Völkern und Sprachen beherrscht haben. Zuvor wollen wir nur erinnern, dass der Handel schon zu den Zeiten vorhanden war, bis zu denen wir die ältesten Spuren unsers Geschlechtes zu verfolgen vermögen. Durch Tausch allein können die Bewohner der Höhlen des Perigord zur Renthierzeit in den Besitz von Berg- krystallen, atlantischen Muscheln und von Hörnern der polnischen Saigaantilope gelangt sein 1). Wenn in alten Gräbern östlich vom Mississippi Obsidianscherben hin und wieder angetroffen werden, so gelangten sie an den Fundort durch Tausch entweder aus Mexico oder vom Snake River, einem Nebengewässer des Colum- bia, westlich von den Felsengebirgen 2). Es wäre ganz irrig, woll- ten wir denken, dass der einzige Verkehr zwischen den sogenannten Rothhäuten der Union in blutigen Fehden bestanden hätte. Handelsfahrzeuge befuhren die grossen Ströme und Durchgangs- abgaben wurden von den Häuptlingen erhoben 3). In Südamerika bildete das Pfeilgift oder Curare dessen Zubereitung nur wenige Horden verstanden, einen kostbaren Handelsgegenstand unter den Amazonasindianern und die Anwohner des Napo mussten drei- monatliche Bootfahrten unternehmen, um es sich zu verschaffen 4). Selbst wo nicht zünftige Hausirer die Länder durchzogen, wurde von Horde zu Horde Ueberfluss gegen Ueberfluss ausgetauscht und es konnte dann die Kette dieses Verkehres einen ganzen
1) S. oben S. 40.
2)Carl Rau im Archiv für Anthropologie. Braunschweig 1871. Heft 1. S. 10.
3)Lafitau, Moeurs des sauvages ameriquains. Paris 1724. tom. II. p. 224.
4) v. Martius, Ethnographie. Bd. 1. S. 504. u. oben S. 193. n. 5.
Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker.
6. Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker.
Es ist nicht leicht den Segen zu überschätzen, der sich an den Austausch der örtlichen Erzeugnisse knüpft. Mit den Waaren und ihren Verkäufern werden auch Kunstmuster, Erfindungen, Erkenntnisse, Sitten, Gewohnheiten, dichterische Schöpfungen ver- breitet und den Fussstapfen des Kaufmannes folgt gewöhnlich der Missionär. Doch soll von allen diesen Wahrheiten hier nicht weiter die Rede sein, sondern statt dessen gezeigt werden, in wie fern hochgeschätzte Erzeugnisse der Erdräume die Verbrei- tung von Völkern und Sprachen beherrscht haben. Zuvor wollen wir nur erinnern, dass der Handel schon zu den Zeiten vorhanden war, bis zu denen wir die ältesten Spuren unsers Geschlechtes zu verfolgen vermögen. Durch Tausch allein können die Bewohner der Höhlen des Périgord zur Renthierzeit in den Besitz von Berg- krystallen, atlantischen Muscheln und von Hörnern der polnischen Saigaantilope gelangt sein 1). Wenn in alten Gräbern östlich vom Mississippi Obsidianscherben hin und wieder angetroffen werden, so gelangten sie an den Fundort durch Tausch entweder aus Mexico oder vom Snake River, einem Nebengewässer des Colum- bia, westlich von den Felsengebirgen 2). Es wäre ganz irrig, woll- ten wir denken, dass der einzige Verkehr zwischen den sogenannten Rothhäuten der Union in blutigen Fehden bestanden hätte. Handelsfahrzeuge befuhren die grossen Ströme und Durchgangs- abgaben wurden von den Häuptlingen erhoben 3). In Südamerika bildete das Pfeilgift oder Curaré dessen Zubereitung nur wenige Horden verstanden, einen kostbaren Handelsgegenstand unter den Amazonasindianern und die Anwohner des Napó mussten drei- monatliche Bootfahrten unternehmen, um es sich zu verschaffen 4). Selbst wo nicht zünftige Hausirer die Länder durchzogen, wurde von Horde zu Horde Ueberfluss gegen Ueberfluss ausgetauscht und es konnte dann die Kette dieses Verkehres einen ganzen
1) S. oben S. 40.
2)Carl Rau im Archiv für Anthropologie. Braunschweig 1871. Heft 1. S. 10.
3)Lafitau, Moeurs des sauvages amériquains. Paris 1724. tom. II. p. 224.
4) v. Martius, Ethnographie. Bd. 1. S. 504. u. oben S. 193. n. 5.
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Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker.
6. Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung
der Völker.
Es ist nicht leicht den Segen zu überschätzen, der sich an
den Austausch der örtlichen Erzeugnisse knüpft. Mit den Waaren
und ihren Verkäufern werden auch Kunstmuster, Erfindungen,
Erkenntnisse, Sitten, Gewohnheiten, dichterische Schöpfungen ver-
breitet und den Fussstapfen des Kaufmannes folgt gewöhnlich der
Missionär. Doch soll von allen diesen Wahrheiten hier nicht
weiter die Rede sein, sondern statt dessen gezeigt werden, in
wie fern hochgeschätzte Erzeugnisse der Erdräume die Verbrei-
tung von Völkern und Sprachen beherrscht haben. Zuvor wollen
wir nur erinnern, dass der Handel schon zu den Zeiten vorhanden
war, bis zu denen wir die ältesten Spuren unsers Geschlechtes zu
verfolgen vermögen. Durch Tausch allein können die Bewohner
der Höhlen des Périgord zur Renthierzeit in den Besitz von Berg-
krystallen, atlantischen Muscheln und von Hörnern der polnischen
Saigaantilope gelangt sein 1). Wenn in alten Gräbern östlich vom
Mississippi Obsidianscherben hin und wieder angetroffen werden,
so gelangten sie an den Fundort durch Tausch entweder aus
Mexico oder vom Snake River, einem Nebengewässer des Colum-
bia, westlich von den Felsengebirgen 2). Es wäre ganz irrig, woll-
ten wir denken, dass der einzige Verkehr zwischen den sogenannten
Rothhäuten der Union in blutigen Fehden bestanden hätte.
Handelsfahrzeuge befuhren die grossen Ströme und Durchgangs-
abgaben wurden von den Häuptlingen erhoben 3). In Südamerika
bildete das Pfeilgift oder Curaré dessen Zubereitung nur wenige
Horden verstanden, einen kostbaren Handelsgegenstand unter den
Amazonasindianern und die Anwohner des Napó mussten drei-
monatliche Bootfahrten unternehmen, um es sich zu verschaffen 4).
Selbst wo nicht zünftige Hausirer die Länder durchzogen, wurde
von Horde zu Horde Ueberfluss gegen Ueberfluss ausgetauscht
und es konnte dann die Kette dieses Verkehres einen ganzen
1) S. oben S. 40.
2) Carl Rau im Archiv für Anthropologie. Braunschweig 1871. Heft 1.
S. 10.
3) Lafitau, Moeurs des sauvages amériquains. Paris 1724. tom. II. p. 224.
4) v. Martius, Ethnographie. Bd. 1. S. 504. u. oben S. 193. n. 5.
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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/235>, abgerufen am 19.11.2024.
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