Heut' arbeit' ich im Hemd wie ein Hammerschmidt, so abscheulich lang und schwer ist der dreißigste Sek¬ tor. -- Da Gustav von Oefel erfuhr, daß ein klei¬ nes souper bei der Residentin so viel heiße wie bei uns das gröste: so theilte er in seinem Kopf, eh' ers zieren half, Personen und Rollen aus, und sich die längste: -- den einzigen Fehler begieng er allemal, daß wenn er endlich aufs Theater kam und agieren sollte, er nicht agierte. Eh er in eine große Gesell¬ schaft gieng, wust' er Wort für Wort, was er sagen wollte; gieng er wieder heraus, so wust' er (in der Kulisse) auch, was er hätte sagen sollen -- aber ge¬ sagt hatt' er darin weiter nichts. Es kam nicht von Menschenfurcht; denn es war ihm fast leichter, et¬ was Kühnes als etwas Witziges zu sagen: sondern davon kams, daß er das Gegentheil einer Frau war. Eine Frau lebt mehr außer als in sich, ihre fühlen¬ de Schneckenseele legt sich fast außen um ihre bunte Körper-Konchylie an, sie zieht ihre Fühlfäden und
Dreyßigſter oder XXIII. Trinitatis Sektor.
Souper und Viehglocken.
Heut' arbeit' ich im Hemd wie ein Hammerſchmidt, ſo abſcheulich lang und ſchwer iſt der dreißigſte Sek¬ tor. — Da Guſtav von Oefel erfuhr, daß ein klei¬ nes ſouper bei der Reſidentin ſo viel heiße wie bei uns das groͤſte: ſo theilte er in ſeinem Kopf, eh' ers zieren half, Perſonen und Rollen aus, und ſich die laͤngſte: — den einzigen Fehler begieng er allemal, daß wenn er endlich aufs Theater kam und agieren ſollte, er nicht agierte. Eh er in eine große Geſell¬ ſchaft gieng, wuſt' er Wort fuͤr Wort, was er ſagen wollte; gieng er wieder heraus, ſo wuſt' er (in der Kuliſſe) auch, was er haͤtte ſagen ſollen — aber ge¬ ſagt hatt' er darin weiter nichts. Es kam nicht von Menſchenfurcht; denn es war ihm faſt leichter, et¬ was Kuͤhnes als etwas Witziges zu ſagen: ſondern davon kams, daß er das Gegentheil einer Frau war. Eine Frau lebt mehr außer als in ſich, ihre fuͤhlen¬ de Schneckenſeele legt ſich faſt außen um ihre bunte Koͤrper-Konchylie an, ſie zieht ihre Fuͤhlfaͤden und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0065"n="55"/></div><divn="2"><head>Dreyßigſter oder XXIII. Trinitatis Sektor.<lb/></head><argument><prendition="#c"><hirendition="#aq">Souper</hi> und Viehglocken.</p></argument><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#in">H</hi>eut' arbeit' ich im Hemd wie ein Hammerſchmidt,<lb/>ſo abſcheulich lang und ſchwer iſt der dreißigſte Sek¬<lb/>
tor. — Da Guſtav von Oefel erfuhr, daß ein klei¬<lb/>
nes <hirendition="#aq">ſouper</hi> bei der Reſidentin ſo viel heiße wie bei<lb/>
uns das groͤſte: ſo theilte er in ſeinem Kopf, eh' ers<lb/>
zieren half, Perſonen und Rollen aus, und ſich die<lb/>
laͤngſte: — den einzigen Fehler begieng er allemal,<lb/>
daß wenn er endlich aufs Theater kam und agieren<lb/>ſollte, er nicht agierte. Eh er in eine große Geſell¬<lb/>ſchaft gieng, wuſt' er Wort fuͤr Wort, was er ſagen<lb/>
wollte; gieng er wieder heraus, ſo wuſt' er (in der<lb/>
Kuliſſe) auch, was er haͤtte ſagen ſollen — aber ge¬<lb/>ſagt hatt' er darin weiter nichts. Es kam nicht von<lb/>
Menſchenfurcht; denn es war ihm faſt leichter, et¬<lb/>
was Kuͤhnes als etwas Witziges zu ſagen: ſondern<lb/>
davon kams, daß er das Gegentheil einer Frau war.<lb/>
Eine Frau lebt mehr außer als in ſich, ihre fuͤhlen¬<lb/>
de Schneckenſeele legt ſich faſt <hirendition="#g">außen</hi> um ihre bunte<lb/>
Koͤrper-Konchylie an, ſie zieht ihre Fuͤhlfaͤden und<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[55/0065]
Dreyßigſter oder XXIII. Trinitatis Sektor.
Souper und Viehglocken.
Heut' arbeit' ich im Hemd wie ein Hammerſchmidt,
ſo abſcheulich lang und ſchwer iſt der dreißigſte Sek¬
tor. — Da Guſtav von Oefel erfuhr, daß ein klei¬
nes ſouper bei der Reſidentin ſo viel heiße wie bei
uns das groͤſte: ſo theilte er in ſeinem Kopf, eh' ers
zieren half, Perſonen und Rollen aus, und ſich die
laͤngſte: — den einzigen Fehler begieng er allemal,
daß wenn er endlich aufs Theater kam und agieren
ſollte, er nicht agierte. Eh er in eine große Geſell¬
ſchaft gieng, wuſt' er Wort fuͤr Wort, was er ſagen
wollte; gieng er wieder heraus, ſo wuſt' er (in der
Kuliſſe) auch, was er haͤtte ſagen ſollen — aber ge¬
ſagt hatt' er darin weiter nichts. Es kam nicht von
Menſchenfurcht; denn es war ihm faſt leichter, et¬
was Kuͤhnes als etwas Witziges zu ſagen: ſondern
davon kams, daß er das Gegentheil einer Frau war.
Eine Frau lebt mehr außer als in ſich, ihre fuͤhlen¬
de Schneckenſeele legt ſich faſt außen um ihre bunte
Koͤrper-Konchylie an, ſie zieht ihre Fuͤhlfaͤden und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/65>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.