Ich habe verständig und delikat zugleich gehan¬ delt, daß ich einen gewissen Aufsatz, den Beata im Winter machte und zu dem ich auf eine eben so ehrliche als feine Weise kam, vor Gustav so gut brachte wie vor meine Leser jetzt. Er ist an das Bild ihres wahren Bruders gerichtet und be¬ steht in Fragen. Der Schmerz liegt auf den weib¬ lichen Herzen, die geduldig unter ihm sich drücken lassen, mit größerer Last als auf den männlichen auf, die sich durch Schlagen und Pochen unter ihm wegarbeiten; wie den unbeweglichen Tan¬ nengipfel aller Schnee belastet, indeß auf den tie¬ fern Zweigen, die sich immer regen, keiner bleibt.
An das Bild meines Bruders.
"Warum blickst du mich so lächelnd an, du theures Bild? Warum bleibt dein Farben-Auge ewig trocken, da meines so voll Thränen vor dir steht? O wie wollt' ich dich lieben, wärest du traurig gemalt!
Ach Bruder! sehnest du dich nach keiner Schwe¬ ster, saget dirs dein Herz gar nicht, daß es in der öden Erde noch ein zweites giebt, das dich so un¬ aussprechlich liebt? -- Ach hätt' ich dich nur Ein¬
Ich habe verſtaͤndig und delikat zugleich gehan¬ delt, daß ich einen gewiſſen Aufſatz, den Beata im Winter machte und zu dem ich auf eine eben ſo ehrliche als feine Weiſe kam, vor Guſtav ſo gut brachte wie vor meine Leſer jetzt. Er iſt an das Bild ihres wahren Bruders gerichtet und be¬ ſteht in Fragen. Der Schmerz liegt auf den weib¬ lichen Herzen, die geduldig unter ihm ſich druͤcken laſſen, mit groͤßerer Laſt als auf den maͤnnlichen auf, die ſich durch Schlagen und Pochen unter ihm wegarbeiten; wie den unbeweglichen Tan¬ nengipfel aller Schnee belaſtet, indeß auf den tie¬ fern Zweigen, die ſich immer regen, keiner bleibt.
An das Bild meines Bruders.
„Warum blickſt du mich ſo laͤchelnd an, du theures Bild? Warum bleibt dein Farben-Auge ewig trocken, da meines ſo voll Thraͤnen vor dir ſteht? O wie wollt' ich dich lieben, waͤreſt du traurig gemalt!
Ach Bruder! ſehneſt du dich nach keiner Schwe¬ ſter, ſaget dirs dein Herz gar nicht, daß es in der oͤden Erde noch ein zweites giebt, das dich ſo un¬ ausſprechlich liebt? — Ach haͤtt' ich dich nur Ein¬
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Ich habe verſtaͤndig und delikat zugleich gehan¬
delt, daß ich einen gewiſſen Aufſatz, den Beata
im Winter machte und zu dem ich auf eine eben
ſo ehrliche als feine Weiſe kam, vor Guſtav ſo
gut brachte wie vor meine Leſer jetzt. Er iſt an
das Bild ihres wahren Bruders gerichtet und be¬
ſteht in Fragen. Der Schmerz liegt auf den weib¬
lichen Herzen, die geduldig unter ihm ſich druͤcken
laſſen, mit groͤßerer Laſt als auf den maͤnnlichen
auf, die ſich durch Schlagen und Pochen unter
ihm wegarbeiten; wie den unbeweglichen Tan¬
nengipfel aller Schnee belaſtet, indeß auf den tie¬
fern Zweigen, die ſich immer regen, keiner bleibt.
An das Bild meines Bruders.
„Warum blickſt du mich ſo laͤchelnd an, du
theures Bild? Warum bleibt dein Farben-Auge
ewig trocken, da meines ſo voll Thraͤnen vor dir
ſteht? O wie wollt' ich dich lieben, waͤreſt du
traurig gemalt!
Ach Bruder! ſehneſt du dich nach keiner Schwe¬
ſter, ſaget dirs dein Herz gar nicht, daß es in der
oͤden Erde noch ein zweites giebt, das dich ſo un¬
ausſprechlich liebt? — Ach haͤtt' ich dich nur Ein¬
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/303>, abgerufen am 21.12.2024.
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