Billet von Emanuel -- Flamins Aepfel-Kartons auf den Schultern -- Gang nach St. Lüne.
"Armer Bastian, -- sagt' ich, da ich das heutige "Felleisen aufmachte -- eh' ichs auf habe, weiß ich "schon voraus, daß du den ganzen Tag nach einer "solchen Nacht dich eingeschlossen, um dein verblute¬ "tes Angesicht gegen den Trauergarten zuzuwenden "-- daß du heute diese brennenden Gifttropfen lie¬ "ber hast als den Wundbalsam und daß du in den "Spiegel schauest, um mit der stillen schuldlosen Ge¬ "stalt, die er dir mit ihren Schmerzens-Schnitten "zeigt, in neue Thränen zu zerfließen. -- O wenn "der Mensch nichts mehr zu lieben hat, so umfasset "er das Grabmal seiner Liebe und der Schmerz wird "seine Geliebte. Vergebet einander den kurzen "Wahnsinn der Klage: denn unter allen Schwächen "des Menschen ist das die unschuldigste, wenn er, "anstatt gleich dem Zugvogel sich über den Winter "zu erheben und in heitere Zonen zu fliegen, gleich "andern Vögeln vor diesem Winter niedersinkt und "dumpf in seinem kalten Grame erstarrt."
20. Hundspoſttag.
Billet von Emanuel — Flamins Aepfel-Kartons auf den Schultern — Gang nach St. Lüne.
»Armer Baſtian, — ſagt' ich, da ich das heutige »Felleiſen aufmachte — eh' ichs auf habe, weiß ich »ſchon voraus, daß du den ganzen Tag nach einer »ſolchen Nacht dich eingeſchloſſen, um dein verblute¬ »tes Angeſicht gegen den Trauergarten zuzuwenden »— daß du heute dieſe brennenden Gifttropfen lie¬ »ber haſt als den Wundbalſam und daß du in den »Spiegel ſchaueſt, um mit der ſtillen ſchuldloſen Ge¬ »ſtalt, die er dir mit ihren Schmerzens-Schnitten »zeigt, in neue Thraͤnen zu zerfließen. — O wenn »der Menſch nichts mehr zu lieben hat, ſo umfaſſet »er das Grabmal ſeiner Liebe und der Schmerz wird »ſeine Geliebte. Vergebet einander den kurzen »Wahnſinn der Klage: denn unter allen Schwaͤchen »des Menſchen iſt das die unſchuldigſte, wenn er, »anſtatt gleich dem Zugvogel ſich uͤber den Winter »zu erheben und in heitere Zonen zu fliegen, gleich »andern Voͤgeln vor dieſem Winter niederſinkt und »dumpf in ſeinem kalten Grame erſtarrt.«
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20. Hundspoſttag.
Billet von Emanuel — Flamins Aepfel-Kartons auf den
Schultern — Gang nach St. Lüne.
»Armer Baſtian, — ſagt' ich, da ich das heutige
»Felleiſen aufmachte — eh' ichs auf habe, weiß ich
»ſchon voraus, daß du den ganzen Tag nach einer
»ſolchen Nacht dich eingeſchloſſen, um dein verblute¬
»tes Angeſicht gegen den Trauergarten zuzuwenden
»— daß du heute dieſe brennenden Gifttropfen lie¬
»ber haſt als den Wundbalſam und daß du in den
»Spiegel ſchaueſt, um mit der ſtillen ſchuldloſen Ge¬
»ſtalt, die er dir mit ihren Schmerzens-Schnitten
»zeigt, in neue Thraͤnen zu zerfließen. — O wenn
»der Menſch nichts mehr zu lieben hat, ſo umfaſſet
»er das Grabmal ſeiner Liebe und der Schmerz wird
»ſeine Geliebte. Vergebet einander den kurzen
»Wahnſinn der Klage: denn unter allen Schwaͤchen
»des Menſchen iſt das die unſchuldigſte, wenn er,
»anſtatt gleich dem Zugvogel ſich uͤber den Winter
»zu erheben und in heitere Zonen zu fliegen, gleich
»andern Voͤgeln vor dieſem Winter niederſinkt und
»dumpf in ſeinem kalten Grame erſtarrt.«
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/115>, abgerufen am 21.12.2024.
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