Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite
15. Hundsposttag.

Der Abschied. --


Ach heute geht er schon! Die bisherigen Rührun¬
gen und Gespräche hatten die zarte Hülle, die Ema¬
nuels schönen Geist wie eine Tulpe die Biene ver¬
schließet, zu sehr erschüttert: blaß und wankend stand
er auf; und der Blinde war am glücklichsten, der
weder diese Blässe noch das weiße Tuch erblickte,
das er zu Nachts statt vollzuweinen vollgeblutet
hatte. Er selber hatte noch das bleiche Abendroth
der gestrigen Freude auf dem Angesicht; aber eben
diese Gleichgültigkeit gegen seine auslöschenden Tage,
dieses schwächere sanftere Sprechen machte, daß
Viktor die Augen von ihm wegwenden mußte, so
oft sie lange an ihm gewesen waren. Emanuel sah
ruhig wie eine ewige Sonne, auf den Herbst seines
Körpers herab; ja je mehr Sand aus seiner Lebens-
Sanduhr herausgefallen war, desto heller sah er
durch das leere Glas hindurch. Gleichwohl war
ihm die Erde ein geliebter Ort, eine schöne Wiese
zu unsern ersten Kinderspielen und er hing dieser
Mutter unsers ersten Lebens noch mit der Liebe an,

15. Hundspoſttag.

Der Abſchied. —


Ach heute geht er ſchon! Die bisherigen Ruͤhrun¬
gen und Geſpraͤche hatten die zarte Huͤlle, die Ema¬
nuels ſchoͤnen Geiſt wie eine Tulpe die Biene ver¬
ſchließet, zu ſehr erſchuͤttert: blaß und wankend ſtand
er auf; und der Blinde war am gluͤcklichſten, der
weder dieſe Blaͤſſe noch das weiße Tuch erblickte,
das er zu Nachts ſtatt vollzuweinen vollgeblutet
hatte. Er ſelber hatte noch das bleiche Abendroth
der geſtrigen Freude auf dem Angeſicht; aber eben
dieſe Gleichguͤltigkeit gegen ſeine ausloͤſchenden Tage,
dieſes ſchwaͤchere ſanftere Sprechen machte, daß
Viktor die Augen von ihm wegwenden mußte, ſo
oft ſie lange an ihm geweſen waren. Emanuel ſah
ruhig wie eine ewige Sonne, auf den Herbſt ſeines
Koͤrpers herab; ja je mehr Sand aus ſeiner Lebens-
Sanduhr herausgefallen war, deſto heller ſah er
durch das leere Glas hindurch. Gleichwohl war
ihm die Erde ein geliebter Ort, eine ſchoͤne Wieſe
zu unſern erſten Kinderſpielen und er hing dieſer
Mutter unſers erſten Lebens noch mit der Liebe an,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0356" n="345"/>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#g">15. Hundspo&#x017F;ttag.</hi><lb/>
        </head>
        <argument>
          <p rendition="#c">Der Ab&#x017F;chied. &#x2014;</p>
        </argument><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p><hi rendition="#in">A</hi>ch heute geht er &#x017F;chon! Die bisherigen Ru&#x0364;hrun¬<lb/>
gen und Ge&#x017F;pra&#x0364;che hatten die zarte Hu&#x0364;lle, die Ema¬<lb/>
nuels &#x017F;cho&#x0364;nen Gei&#x017F;t wie eine Tulpe die Biene ver¬<lb/>
&#x017F;chließet, zu &#x017F;ehr er&#x017F;chu&#x0364;ttert: blaß und wankend &#x017F;tand<lb/>
er auf; und der Blinde war am glu&#x0364;cklich&#x017F;ten, der<lb/>
weder die&#x017F;e Bla&#x0364;&#x017F;&#x017F;e noch das weiße Tuch erblickte,<lb/>
das er zu Nachts &#x017F;tatt vollzuweinen vollgeblutet<lb/>
hatte. Er &#x017F;elber hatte noch das bleiche Abendroth<lb/>
der ge&#x017F;trigen Freude auf dem Ange&#x017F;icht; aber eben<lb/>
die&#x017F;e Gleichgu&#x0364;ltigkeit gegen &#x017F;eine auslo&#x0364;&#x017F;chenden Tage,<lb/>
die&#x017F;es &#x017F;chwa&#x0364;chere &#x017F;anftere Sprechen machte, daß<lb/>
Viktor die Augen von ihm wegwenden mußte, &#x017F;o<lb/>
oft &#x017F;ie lange an ihm gewe&#x017F;en waren. Emanuel &#x017F;ah<lb/>
ruhig wie eine ewige Sonne, auf den Herb&#x017F;t &#x017F;eines<lb/>
Ko&#x0364;rpers herab; ja je mehr Sand aus &#x017F;einer Lebens-<lb/>
Sanduhr herausgefallen war, de&#x017F;to heller &#x017F;ah er<lb/>
durch das leere Glas hindurch. Gleichwohl war<lb/>
ihm die Erde ein geliebter Ort, eine &#x017F;cho&#x0364;ne Wie&#x017F;e<lb/>
zu un&#x017F;ern er&#x017F;ten Kinder&#x017F;pielen und er hing die&#x017F;er<lb/>
Mutter un&#x017F;ers er&#x017F;ten Lebens noch mit der Liebe an,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[345/0356] 15. Hundspoſttag. Der Abſchied. — Ach heute geht er ſchon! Die bisherigen Ruͤhrun¬ gen und Geſpraͤche hatten die zarte Huͤlle, die Ema¬ nuels ſchoͤnen Geiſt wie eine Tulpe die Biene ver¬ ſchließet, zu ſehr erſchuͤttert: blaß und wankend ſtand er auf; und der Blinde war am gluͤcklichſten, der weder dieſe Blaͤſſe noch das weiße Tuch erblickte, das er zu Nachts ſtatt vollzuweinen vollgeblutet hatte. Er ſelber hatte noch das bleiche Abendroth der geſtrigen Freude auf dem Angeſicht; aber eben dieſe Gleichguͤltigkeit gegen ſeine ausloͤſchenden Tage, dieſes ſchwaͤchere ſanftere Sprechen machte, daß Viktor die Augen von ihm wegwenden mußte, ſo oft ſie lange an ihm geweſen waren. Emanuel ſah ruhig wie eine ewige Sonne, auf den Herbſt ſeines Koͤrpers herab; ja je mehr Sand aus ſeiner Lebens- Sanduhr herausgefallen war, deſto heller ſah er durch das leere Glas hindurch. Gleichwohl war ihm die Erde ein geliebter Ort, eine ſchoͤne Wieſe zu unſern erſten Kinderſpielen und er hing dieſer Mutter unſers erſten Lebens noch mit der Liebe an,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/356
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/356>, abgerufen am 21.12.2024.