Der Sommer des Jahres 1819 verging im fleißigen Kollegienbesuch, im Durchforschen der grosväterlichen Bibliothek und unter vielfachen musikalischen Genüssen im akustischen Saale des großen Gartens. Ich wohnte in der Brüderstraße, wo Luischen alle Morgen für den Kaffee sorgte, und der alte Friedrich die Stiefel niemals blank genug putzen konnte: denn er klagte mir oft seine Noth, daß eine so vorzügliche Glanzwichse, wie er sie früher für den seligen Herrn Nicolai angewendet, gar nicht mehr zu haben sei. Klein besuchte die Blumenstraße sehr häufig, und erfreute uns durch den Reichthum seiner Kompositionen und durch seinen unvergleichlichen Vortrag. Oft gingen wir zusammen in tiefer Dunkelheit zur Stadt. Die Blumenstraße, in welcher das holprige Pflaster und die spärliche Oellampenbeleuchtung nur bis an den Grünen Weg, nicht bis an unser Haus reichten, war so abgelegen und einsam, daß man nach Sonnenuntergang kaum einen Menschen zwischen den dunkeln Zäunen antraf. Der sternenklare Himmel glänzte über den stillen Gartenbäumen, und der Geruch der Boucheschen Hyacinthenbeete wallte durch die kaum bewegte Luft. Man konnte sich viele Meilen von Berlin entfernt wähnen. Je weiter wir aber fort-
Reise nach Dresden 1819.
Der Sommer des Jahres 1819 verging im fleißigen Kollegienbesuch, im Durchforschen der grosväterlichen Bibliothek und unter vielfachen musikalischen Genüssen im akustischen Saale des großen Gartens. Ich wohnte in der Brüderstraße, wo Luischen alle Morgen für den Kaffee sorgte, und der alte Friedrich die Stiefel niemals blank genug putzen konnte: denn er klagte mir oft seine Noth, daß eine so vorzügliche Glanzwichse, wie er sie früher für den seligen Herrn Nicolai angewendet, gar nicht mehr zu haben sei. Klein besuchte die Blumenstraße sehr häufig, und erfreute uns durch den Reichthum seiner Kompositionen und durch seinen unvergleichlichen Vortrag. Oft gingen wir zusammen in tiefer Dunkelheit zur Stadt. Die Blumenstraße, in welcher das holprige Pflaster und die spärliche Oellampenbeleuchtung nur bis an den Grünen Weg, nicht bis an unser Haus reichten, war so abgelegen und einsam, daß man nach Sonnenuntergang kaum einen Menschen zwischen den dunkeln Zäunen antraf. Der sternenklare Himmel glänzte über den stillen Gartenbäumen, und der Geruch der Bouchéschen Hyacinthenbeete wallte durch die kaum bewegte Luft. Man konnte sich viele Meilen von Berlin entfernt wähnen. Je weiter wir aber fort-
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Reise nach Dresden 1819.
Der Sommer des Jahres 1819 verging im fleißigen Kollegienbesuch, im Durchforschen der grosväterlichen Bibliothek und unter vielfachen musikalischen Genüssen im akustischen Saale des großen Gartens. Ich wohnte in der Brüderstraße, wo Luischen alle Morgen für den Kaffee sorgte, und der alte Friedrich die Stiefel niemals blank genug putzen konnte: denn er klagte mir oft seine Noth, daß eine so vorzügliche Glanzwichse, wie er sie früher für den seligen Herrn Nicolai angewendet, gar nicht mehr zu haben sei. Klein besuchte die Blumenstraße sehr häufig, und erfreute uns durch den Reichthum seiner Kompositionen und durch seinen unvergleichlichen Vortrag. Oft gingen wir zusammen in tiefer Dunkelheit zur Stadt. Die Blumenstraße, in welcher das holprige Pflaster und die spärliche Oellampenbeleuchtung nur bis an den Grünen Weg, nicht bis an unser Haus reichten, war so abgelegen und einsam, daß man nach Sonnenuntergang kaum einen Menschen zwischen den dunkeln Zäunen antraf. Der sternenklare Himmel glänzte über den stillen Gartenbäumen, und der Geruch der Bouchéschen Hyacinthenbeete wallte durch die kaum bewegte Luft. Man konnte sich viele Meilen von Berlin entfernt wähnen. Je weiter wir aber fort-
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Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription.
(2014-01-07T13:04:32Z)
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Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/291>, abgerufen am 22.02.2025.
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