Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895.§. 26. Du nimst also die Illusion an. Du hälst die Halluzination für wirklich gegeben. Und für Deine Sinne ist sie wirklich. Und Du gebrauchst dann die Merkmale dieser Welt, die Signale und Lichter Deines Geistes, die Siegel und Simbole Deiner Sprache, mit deren Anwendung Du schon mitten in der Illusion drinstekst, mit jener Reserve, die schon oben angedeutet ist, d. h.: Du kanst sie jeden Moment zurüknehmen und den Spuk auflösen. Unter dieser Reserve gesprochen ist dann aber unser Illusionismus Gehirn-Arbeit, wie unsere Sprache Zahn-, Lippen- und Kehlkopf-Arbeit. Alle diese Organe werden zwar halluzinatorisch a tempo mit meinem Denken geboren, sind von ihm unzertrenlich und sind zusammen ein Prozess; aber innerhalb des Illusionismus, und sobald ich ihn annehme, steht es mir nicht frei, den Schein zu zerstören, willkürlich zu ändern; so wenig der Halluzinant seine Gestalten in der Aussenwelt verschieben kann; nimt er die Halluzinazion an, kreirt er sie, muss er sie nehmen, wie er sie findet. Und so kann ich die scheinbare Kausal-Reihe die innerhalb des Illusionismus waltet, für mich den Getäuschten waltet, nicht aufheben, ohne die Täuschung aufzuheben. Ich will aber die Täuschung gelten lassen. §. 27. Dann aber ist Illusionismus meine Gehirn-Arbeit, Abbrökelung meines Gehirns, Gehirn-Verzehrung. Sobald wir nur den Hebel ansezen, und das Gehirn zu arbeiten begint, entsteht Illusion. Und die fundamentalste, grausigste und elementarste Illusion entsteht, wenn das Gehirn - für meine Illusion - sich selbst verzehrt, einschmilzt: in der Gehirn-Erweichung (Paralyse des Gehirns); wo das Organ innerhalb weniger Monate gerade in jenen Teilen, welche - nach unserer empirischen Auffassung - der Siz des (illusionistischen) Denkens sind, in der Rinde, hunderte von Gramm Substanz verliert und dabei den kolossalsten Grössenwahn, ein unter Aufhebung aller Raum- und Zeit-Grössen haschisch-artiges, §. 26. Du nimst also die Illusion an. Du hälst die Halluzination für wirklich gegeben. Und für Deine Sinne ist sie wirklich. Und Du gebrauchst dann die Merkmale dieser Welt, die Signale und Lichter Deines Geistes, die Siegel und Simbole Deiner Sprache, mit deren Anwendung Du schon mitten in der Illusion drinstekst, mit jener Reserve, die schon oben angedeutet ist, d. h.: Du kanst sie jeden Moment zurüknehmen und den Spuk auflösen. Unter dieser Reserve gesprochen ist dann aber unser Illusionismus Gehirn-Arbeit, wie unsere Sprache Zahn-, Lippen- und Kehlkopf-Arbeit. Alle diese Organe werden zwar halluzinatorisch a tempo mit meinem Denken geboren, sind von ihm unzertrenlich und sind zusammen ein Prozess; aber innerhalb des Illusionismus, und sobald ich ihn annehme, steht es mir nicht frei, den Schein zu zerstören, willkürlich zu ändern; so wenig der Halluzinant seine Gestalten in der Aussenwelt verschieben kann; nimt er die Halluzinazion an, kreïrt er sie, muss er sie nehmen, wie er sie findet. Und so kann ich die scheinbare Kausal-Reihe die innerhalb des Illusionismus waltet, für mich den Getäuschten waltet, nicht aufheben, ohne die Täuschung aufzuheben. Ich will aber die Täuschung gelten lassen. §. 27. Dann aber ist Illusionismus meine Gehirn-Arbeit, Abbrökelung meines Gehirns, Gehirn-Verzehrung. Sobald wir nur den Hebel ansezen, und das Gehirn zu arbeiten begint, entsteht Illusion. Und die fundamentalste, grausigste und elementarste Illusion entsteht, wenn das Gehirn – für meine Illusion – sich selbst verzehrt, einschmilzt: in der Gehirn-Erweichung (Paralyse des Gehirns); wo das Organ innerhalb weniger Monate gerade in jenen Teilen, welche – nach unserer empirischen Auffassung – der Siz des (illusionistischen) Denkens sind, in der Rinde, hunderte von Gramm Substanz verliert und dabei den kolossalsten Grössenwahn, ein unter Aufhebung aller Raum- und Zeit-Grössen haschisch-artiges, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p> <pb facs="#f0054" n="53"/> </p> </div> <div n="2"> <head>§. 26.</head><lb/> <p>Du nimst also die Illusion an. Du hälst die Halluzination für wirklich gegeben. Und für Deine Sinne ist sie wirklich. Und Du gebrauchst dann die Merkmale dieser Welt, die Signale und Lichter Deines Geistes, die Siegel und Simbole Deiner Sprache, mit deren Anwendung Du schon mitten in der Illusion drinstekst, mit jener Reserve, die schon oben angedeutet ist, d. h.: Du kanst sie jeden Moment zurüknehmen und den Spuk auflösen. Unter dieser Reserve gesprochen ist dann aber unser Illusionismus Gehirn-Arbeit, wie unsere Sprache Zahn-, Lippen- und Kehlkopf-Arbeit. Alle diese Organe werden zwar halluzinatorisch a tempo mit meinem Denken geboren, sind von ihm unzertrenlich und sind zusammen ein Prozess; aber <hi rendition="#g">innerhalb</hi> des Illusionismus, und sobald ich ihn annehme, steht es mir nicht frei, den Schein zu zerstören, willkürlich zu ändern; so wenig der Halluzinant seine Gestalten in der Aussenwelt verschieben kann; nimt er die Halluzinazion an, kreïrt er sie, muss er sie nehmen, wie er sie findet. Und so kann ich die <hi rendition="#g">scheinbare</hi> Kausal-Reihe die innerhalb des Illusionismus waltet, für mich den Getäuschten waltet, nicht aufheben, ohne die Täuschung aufzuheben. Ich will aber die Täuschung gelten lassen.</p> </div> <div n="2"> <head>§. 27.</head><lb/> <p>Dann aber ist Illusionismus meine Gehirn-Arbeit, Abbrökelung meines Gehirns, Gehirn-Verzehrung. Sobald wir nur den Hebel ansezen, und das Gehirn zu arbeiten begint, entsteht Illusion. Und die fundamentalste, grausigste und elementarste Illusion entsteht, wenn das Gehirn – für meine Illusion – sich selbst verzehrt, einschmilzt: in der Gehirn-Erweichung (Paralyse des Gehirns); wo das Organ innerhalb weniger Monate gerade in jenen Teilen, welche – nach unserer empirischen Auffassung – der Siz des (illusionistischen) Denkens sind, in der Rinde, hunderte von Gramm Substanz verliert und dabei den kolossalsten Grössenwahn, ein unter Aufhebung aller Raum- und Zeit-Grössen haschisch-artiges, </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [53/0054]
§. 26.
Du nimst also die Illusion an. Du hälst die Halluzination für wirklich gegeben. Und für Deine Sinne ist sie wirklich. Und Du gebrauchst dann die Merkmale dieser Welt, die Signale und Lichter Deines Geistes, die Siegel und Simbole Deiner Sprache, mit deren Anwendung Du schon mitten in der Illusion drinstekst, mit jener Reserve, die schon oben angedeutet ist, d. h.: Du kanst sie jeden Moment zurüknehmen und den Spuk auflösen. Unter dieser Reserve gesprochen ist dann aber unser Illusionismus Gehirn-Arbeit, wie unsere Sprache Zahn-, Lippen- und Kehlkopf-Arbeit. Alle diese Organe werden zwar halluzinatorisch a tempo mit meinem Denken geboren, sind von ihm unzertrenlich und sind zusammen ein Prozess; aber innerhalb des Illusionismus, und sobald ich ihn annehme, steht es mir nicht frei, den Schein zu zerstören, willkürlich zu ändern; so wenig der Halluzinant seine Gestalten in der Aussenwelt verschieben kann; nimt er die Halluzinazion an, kreïrt er sie, muss er sie nehmen, wie er sie findet. Und so kann ich die scheinbare Kausal-Reihe die innerhalb des Illusionismus waltet, für mich den Getäuschten waltet, nicht aufheben, ohne die Täuschung aufzuheben. Ich will aber die Täuschung gelten lassen.
§. 27.
Dann aber ist Illusionismus meine Gehirn-Arbeit, Abbrökelung meines Gehirns, Gehirn-Verzehrung. Sobald wir nur den Hebel ansezen, und das Gehirn zu arbeiten begint, entsteht Illusion. Und die fundamentalste, grausigste und elementarste Illusion entsteht, wenn das Gehirn – für meine Illusion – sich selbst verzehrt, einschmilzt: in der Gehirn-Erweichung (Paralyse des Gehirns); wo das Organ innerhalb weniger Monate gerade in jenen Teilen, welche – nach unserer empirischen Auffassung – der Siz des (illusionistischen) Denkens sind, in der Rinde, hunderte von Gramm Substanz verliert und dabei den kolossalsten Grössenwahn, ein unter Aufhebung aller Raum- und Zeit-Grössen haschisch-artiges,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2013-04-29T10:04:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-04-29T10:04:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2013-04-29T10:04:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |