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Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895.

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Die Schwierigkeit aller dieser Untersuchungen liegt in dem Umstand, dass es mir unmöglich ist über meine Psiche zu reflektiren, ohne sinliches Materjal zu benüzen. Wie die Halluzinazion aus unbekanter, dämonischer Tiefe sich hebt, in's Psichische sich hebt, hier die Wahrnehmung erzeugt und dann - bildlich gesprochen - durch Ohr, Auge etc. herausfährt, sich in die Aussenwelt projzirt, und diese Genese und Entwiklung immer einerlei Richtung hat, bildlich gesprochen, von hinten nach vorn - so ist es auch mit jeder Untersuchung, die ich, von meiner Psiche ausgehend, mit ihr selbst anstelle. Immer stürzt sie sich in's Sinliche, nach vorn - nie rükwärts - und meine Antwort fält also immer sinlich, bildlich aus; sie ist immer eine Projekzion in's Äussere. Wolte ich also die Frage, wie es komme, dass das Haschisch Molekül meine Psiche beeinflusse, wirklich beantworten, wie sie gestelt ist, so wäre dies eine rükwärtige Untersuchung, die ich nicht anstellen kann, die gar nicht in meiner Macht liegt; denn, ansetzend, stürzte sich mein psichischer Impuls in's Sinliche, in's Materjelle, in Sprache, in Aussenwelts-Projekzionen; Und da, wo ich wegzukommen suche, komme ich immer fester hin.

§. 19.

Deswegen stelt sich auch unsere vorliegende Teorie in sinlichem Gewande dar. Und so war es bei Kant, der mit seinen Anschauungs- und Denkformen, seinen "reinen" Verstandesbegriffen und apriorischen Kräften einen transzendenten Areopag sich vorstelte, der das ankommende sinliche Material ungeordneter "Affekzionen" ordnete und in seine Formen zwänge. So bei Descartes, einem unvergleichlichen Denker, ohne den wir heute nicht so weit wären, als wir sind, der für die "denkenden" und "ausgedehnten" Substanzen zwei Töpfe hatte, zwischen denen er sich, mit Recht, jede Kommunikazion verbat. Und so bei Spinoza, der mit geometrischem Materjal hantirte, und seine Flächen legte und schob. - Was wir verlangen, ist nicht Wissen -

Die Schwierigkeit aller dieser Untersuchungen liegt in dem Umstand, dass es mir unmöglich ist über meine Psiche zu reflektiren, ohne sinliches Materjal zu benüzen. Wie die Halluzinazion aus unbekanter, dämonischer Tiefe sich hebt, in’s Psichische sich hebt, hier die Wahrnehmung erzeugt und dann – bildlich gesprochen – durch Ohr, Auge etc. herausfährt, sich in die Aussenwelt projzirt, und diese Genese und Entwiklung immer einerlei Richtung hat, bildlich gesprochen, von hinten nach vorn – so ist es auch mit jeder Untersuchung, die ich, von meiner Psiche ausgehend, mit ihr selbst anstelle. Immer stürzt sie sich in’s Sinliche, nach vorn – nie rükwärts – und meine Antwort fält also immer sinlich, bildlich aus; sie ist immer eine Projekzion in’s Äussere. Wolte ich also die Frage, wie es komme, dass das Haschisch Molekül meine Psiche beeinflusse, wirklich beantworten, wie sie gestelt ist, so wäre dies eine rükwärtige Untersuchung, die ich nicht anstellen kann, die gar nicht in meiner Macht liegt; denn, ansetzend, stürzte sich mein psichischer Impuls in’s Sinliche, in’s Materjelle, in Sprache, in Aussenwelts-Projekzionen; Und da, wo ich wegzukommen suche, komme ich immer fester hin.

§. 19.

Deswegen stelt sich auch unsere vorliegende Teorie in sinlichem Gewande dar. Und so war es bei Kant, der mit seinen Anschauungs- und Denkformen, seinen „reinen“ Verstandesbegriffen und apriorischen Kräften einen transzendenten Areopag sich vorstelte, der das ankommende sinliche Material ungeordneter „Affekzionen“ ordnete und in seine Formen zwänge. So bei Descartes, einem unvergleichlichen Denker, ohne den wir heute nicht so weit wären, als wir sind, der für die „denkenden“ und „ausgedehnten“ Substanzen zwei Töpfe hatte, zwischen denen er sich, mit Recht, jede Kommunikazion verbat. Und so bei Spinoza, der mit geometrischem Materjal hantirte, und seine Flächen legte und schob. – Was wir verlangen, ist nicht Wissen –

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[42/0043] Die Schwierigkeit aller dieser Untersuchungen liegt in dem Umstand, dass es mir unmöglich ist über meine Psiche zu reflektiren, ohne sinliches Materjal zu benüzen. Wie die Halluzinazion aus unbekanter, dämonischer Tiefe sich hebt, in’s Psichische sich hebt, hier die Wahrnehmung erzeugt und dann – bildlich gesprochen – durch Ohr, Auge etc. herausfährt, sich in die Aussenwelt projzirt, und diese Genese und Entwiklung immer einerlei Richtung hat, bildlich gesprochen, von hinten nach vorn – so ist es auch mit jeder Untersuchung, die ich, von meiner Psiche ausgehend, mit ihr selbst anstelle. Immer stürzt sie sich in’s Sinliche, nach vorn – nie rükwärts – und meine Antwort fält also immer sinlich, bildlich aus; sie ist immer eine Projekzion in’s Äussere. Wolte ich also die Frage, wie es komme, dass das Haschisch Molekül meine Psiche beeinflusse, wirklich beantworten, wie sie gestelt ist, so wäre dies eine rükwärtige Untersuchung, die ich nicht anstellen kann, die gar nicht in meiner Macht liegt; denn, ansetzend, stürzte sich mein psichischer Impuls in’s Sinliche, in’s Materjelle, in Sprache, in Aussenwelts-Projekzionen; Und da, wo ich wegzukommen suche, komme ich immer fester hin. §. 19. Deswegen stelt sich auch unsere vorliegende Teorie in sinlichem Gewande dar. Und so war es bei Kant, der mit seinen Anschauungs- und Denkformen, seinen „reinen“ Verstandesbegriffen und apriorischen Kräften einen transzendenten Areopag sich vorstelte, der das ankommende sinliche Material ungeordneter „Affekzionen“ ordnete und in seine Formen zwänge. So bei Descartes, einem unvergleichlichen Denker, ohne den wir heute nicht so weit wären, als wir sind, der für die „denkenden“ und „ausgedehnten“ Substanzen zwei Töpfe hatte, zwischen denen er sich, mit Recht, jede Kommunikazion verbat. Und so bei Spinoza, der mit geometrischem Materjal hantirte, und seine Flächen legte und schob. – Was wir verlangen, ist nicht Wissen –

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Zitationshilfe: Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895/43>, abgerufen am 21.11.2024.