Der Chymismus ist der Schmeksinn der Natur, und folglich auch des Thiers, eine Behauptung, die allgemein angenom- men wird. Die Zunge ist nur thätig, wann sie feucht ist, wann die schmekba- ren Materien aufgelöst sind, wo überhaupt ein chymischer Process auf der Zunge vor- genommen werden kann. Was das Meer- wasser der Natur ist, das ist die Zunge dem Nervensystem. Die Salze sind die wahren Objecte des Geschmaks. Lekerheit, Geil- heit ist der geistige Charakter dieses Sin- nes, die Figur aber, nach der die Zunge entworfen ist, ist die Eiform, der potenzir- te Finger, oder Magen, (Lunge) etc.
Wir haben nun das Wesen aller Sinne, ihre Stelle und Bedeutung in der Welt und im Thiere erkannt, aber die einzelnen Eingeweide eines jeden Sinnes sind uns noch verborgen geblieben. Woher kömmt es, dass wir sieben specifisch verschiedne Farben durch das Aug auffassen, woher die qualitativ verschiedenen Töne verschie- dener Instrumente, die vielartigen Gerüche
und
VI. Sinn. Chymismus — Magen — Zunge.
Der Chymismus iſt der Schmekſinn der Natur, und folglich auch des Thiers, eine Behauptung, die allgemein angenom- men wird. Die Zunge iſt nur thätig, wann sie feucht iſt, wann die schmekba- ren Materien aufgelöſt sind, wo überhaupt ein chymiſcher Proceſs auf der Zunge vor- genommen werden kann. Was das Meer- waſſer der Natur iſt, das iſt die Zunge dem Nervenſyſtem. Die Salze sind die wahren Objecte des Geſchmaks. Lekerheit, Geil- heit iſt der geiſtige Charakter dieſes Sin- nes, die Figur aber, nach der die Zunge entworfen iſt, iſt die Eiform, der potenzir- te Finger, oder Magen, (Lunge) etc.
Wir haben nun das Weſen aller Sinne, ihre Stelle und Bedeutung in der Welt und im Thiere erkannt, aber die einzelnen Eingeweide eines jeden Sinnes sind uns noch verborgen geblieben. Woher kömmt es, daſs wir sieben specifiſch verſchiedne Farben durch das Aug auffaſſen, woher die qualitativ verſchiedenen Töne verſchie- dener Inſtrumente, die vielartigen Gerüche
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VI. Sinn.
Chymismus — Magen — Zunge.
Der Chymismus iſt der Schmekſinn
der Natur, und folglich auch des Thiers,
eine Behauptung, die allgemein angenom-
men wird. Die Zunge iſt nur thätig,
wann sie feucht iſt, wann die schmekba-
ren Materien aufgelöſt sind, wo überhaupt
ein chymiſcher Proceſs auf der Zunge vor-
genommen werden kann. Was das Meer-
waſſer der Natur iſt, das iſt die Zunge dem
Nervenſyſtem. Die Salze sind die wahren
Objecte des Geſchmaks. Lekerheit, Geil-
heit iſt der geiſtige Charakter dieſes Sin-
nes, die Figur aber, nach der die Zunge
entworfen iſt, iſt die Eiform, der potenzir-
te Finger, oder Magen, (Lunge) etc.
Wir haben nun das Weſen aller Sinne,
ihre Stelle und Bedeutung in der Welt
und im Thiere erkannt, aber die einzelnen
Eingeweide eines jeden Sinnes sind uns
noch verborgen geblieben. Woher kömmt
es, daſs wir sieben specifiſch verſchiedne
Farben durch das Aug auffaſſen, woher
die qualitativ verſchiedenen Töne verſchie-
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Oken, Lorenz: Abriß des Systems der Biologie. Göttingen, 1805, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/oken_biologie_1805/139>, abgerufen am 21.02.2025.
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