Allgemeine Zeitung, Nr. 159, 7. Juni 1860.den. Diese Wege find, der hügeligen Beschaffenheit des Bodens gemäß, er- Gegen Koth und Dorngestrüpp ankämpfend verfolgte ich meinen Weg, Nach diesem lebendigen Bilde tönt uns melancholisch Glockengeläute ent- Ich flüchte wieder ins Freie aus dem engen düstern Haus. Im Hinter- Wofür soll ich zahlen, Mann? ... Der Schwarze mit dem flammenden Herzen murmelte etwas von here- Ven der Laterankirche aus führt eine schöne, mit Bäumen bepflanzte Gott zum Gruß, guter Mönch, wir find alle Brüder! Der Wege gibt Sinnend folgt mein Auge dem Silberhaarigen, wie er den Fußpfad ein- Zu kurzer Rast trat ich in die Kirche. Der Weg war weit, und man zieht Noch einen Rückblick vor dem Scheiden auf die hübschen Klostergebände. Deutschland. Freiburg, 31 Mai. Gestern tagte dahier die erste Wanderver- *) Die geschlechtliche Liederlichkeit der Franzosen, mit ihren gleichnamigen Folgen,
ist eine allgemeine Klage in Rom; wie sie es noch überall war wohin diese "Civilisateurs" gekommen sind. den. Dieſe Wege find, der hügeligen Beſchaffenheit des Bodens gemäß, er- Gegen Koth und Dorngeſtrüpp ankämpfend verfolgte ich meinen Weg, Nach dieſem lebendigen Bilde tönt uns melancholiſch Glockengeläute ent- Ich flüchte wieder ins Freie aus dem engen düſtern Haus. Im Hinter- Wofür ſoll ich zahlen, Mann? ... Der Schwarze mit dem flammenden Herzen murmelte etwas von here- Ven der Laterankirche aus führt eine ſchöne, mit Bäumen bepflanzte Gott zum Gruß, guter Mönch, wir find alle Brüder! Der Wege gibt Sinnend folgt mein Auge dem Silberhaarigen, wie er den Fußpfad ein- Zu kurzer Raſt trat ich in die Kirche. Der Weg war weit, und man zieht Noch einen Rückblick vor dem Scheiden auf die hübſchen Kloſtergebände. Deutſchland. Freiburg, 31 Mai. Geſtern tagte dahier die erſte Wanderver- *) Die geſchlechtliche Liederlichkeit der Franzoſen, mit ihren gleichnamigen Folgen,
iſt eine allgemeine Klage in Rom; wie ſie es noch überall war wohin dieſe „Civiliſateurs“ gekommen ſind. <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jVarious" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0019" n="2663"/> den. Dieſe Wege find, der hügeligen Beſchaffenheit des Bodens gemäß, er-<lb/> müdend und einförmig, indem meiſtens Manern jede Ausficht verſperren. Nur<lb/> zuweilen bietet ſich dem Blick eine Kirche oder ein Kloſter auf höherem Hügel,<lb/> häufig verfallen und verlaſſen, ſonſt lauter Vignen, nebſt einigen ſchlecht ange-<lb/> bauten Gemüſegärten. Die üppige Vegetation allein verſchönert dieſe Oede.<lb/> Unſer nordiſches Auge kann ſich nicht ſatt ſehen an dem mannshohen Cactus,<lb/> an der indiſchen Feige, welche über die Mauern ranken. Selten begegnet man<lb/> einem Menſchen. Die Römer ſpazieren auf Monte Pincio, in der Villa Bor-<lb/> gheſe oder dem Corſo, und die Fremden fahren, unter der traurigen Escorte<lb/> eines Lohndieners, raſch von einer Merkwürdigkeit zur andern. Indeſſen liegt<lb/> ein eigener Reiz in dem Hernmwandern durch die öden Gaſſen der Ruinen-<lb/> ſtadt. Das triviale Tagsgetreibe flüchtete ſich ins Centrum, hier ſtört nichts<lb/> die großen Schatten, wir befinden uns in ihrem Reich. Faſt zur Unſichtbar-<lb/> keit herabgeſchwunden, verwittert, zerbröckelt, von wuchernden Schlingpflanzen<lb/> überſponnen, find in dieſen Vignen die Trümmer des alten Roms zerſtreut.<lb/> Aber der Geiſt ſeiner Inſtitutionen, die Dynamis ſeines Seyns lebt heute<lb/> noch wie vor zweitauſend Jahren — da gieng nichts verloren. Das Phänomen<lb/> mag ſchwinden, jedoch des Weſens innerer, wahrer Kern, die Idee, bleibt<lb/> ewig.</p><lb/> <p>Gegen Koth und Dorngeſtrüpp ankämpfend verfolgte ich meinen Weg,<lb/> um die Ecke biegend ſchreckte ich von zerbröckeltem Stein einen franzöſiſchen Sol-<lb/> daten empor der ein halberwachſenes Mädchen im Arm hielt. Ein Buch fiel<lb/> zu Boden wie der Mann raſch in die Höhe ſprang. <hi rendition="#aq">Arbuste</hi> heißt <hi rendition="#aq">piccolo<lb/> arbore,</hi> hörte ich ihn demonſtriren, während ich, ohne den Kopf zu wenden, vor-<lb/> wärts ſchritt. Eine der Form, den Umſtänden und dem Inhalt nach höchſt<lb/> eigenthümliche Sprachlection!<note place="foot" n="*)">Die geſchlechtliche Liederlichkeit der Franzoſen, mit ihren gleichnamigen Folgen,<lb/> iſt eine allgemeine Klage in Rom; wie ſie es noch überall war wohin dieſe<lb/> „Civiliſateurs“ gekommen ſind.</note></p><lb/> <p>Nach dieſem lebendigen Bilde tönt uns melancholiſch Glockengeläute ent-<lb/> gegen. Da liegt wieder einmal Kirche und Kloſter. San Clemente iſt der<lb/> Name; es iſt tief und unfreundlich in einer Schlucht der Straße angebracht.<lb/> Die Via Labiana mündet bald nachher in die Bia Merulana; von da geht es<lb/> geradeaus dem Lateranplatz zu, auf dem ſich ein ſtrahlenförmiges Straßennetz<lb/> vereinigt. Nach kurzem Blick auf die Baſilika und den Palaſt trete ich in das<lb/> gegenüberliegende kleine Haus, welches man über die <hi rendition="#aq">scala santa</hi> erbant hat.<lb/> Es ſoll angeblich die nämliche Treppe ſeyn welche der Sage nach Chriſtus im<lb/> Haus des Pontius betreten hat. Zwei Frauen, ihrer Kleidung gemäß der<lb/> wohlhabenden Claſſe angehörend, rutſchten ſie eben auf den Knieen hinan. Ich<lb/> betrachtete den ſchönen Chriſtus aus weißem Marmor am Fuß der Treppe;<lb/> mehr als bei irgendeinem andern befriedigte mich hier die Auffaſſung. Da<lb/> ſteht er als Meiſter und Lehrer, freilich nicht ſo durchleuchtet vom göttlichen<lb/> Geiſt wie ihn der ächte Künſtler ſchaffen möchte der mit Liebe und Verſtänd-<lb/> niß ans herrliche Werk gieng. So iſt es doch wenigſtens auch nicht die ver-<lb/> zerrte Leidensgeſtalt die uns ſelbſt bei Michel Angelo’s Meiſterwerk anwidert.</p><lb/> <p>Ich flüchte wieder ins Freie aus dem engen düſtern Haus. Im Hinter-<lb/> grund erhebt ſich ein Mann in ſchwarzem Talar, mit weißgeſticktem, flammen-<lb/> dem Herzen auf der Bruſt; er vertritt den Weg und hält mir eine Geldbüchſe<lb/> hin. Sein Geſchäft ſchien darin zu beſtehen geſchriebene Certificate für die-<lb/> jenigen auszuſtellen welche die <hi rendition="#aq">scala santa</hi> hinaufgerutſcht.</p><lb/> <p>Wofür ſoll ich zahlen, Mann? ...</p><lb/> <p>Der Schwarze mit dem flammenden Herzen murmelte etwas von <hi rendition="#aq">here-<lb/> tico,</hi> und ſchlich zu den gläubigen Weiblein zurück, bei denen er wahrſcheinlich<lb/> eine beſſere Ernte hielt.</p><lb/> <p>Ven der Laterankirche aus führt eine ſchöne, mit Bäumen bepflanzte<lb/> Straße nach Santa Croce. Rechts hat ſie die alte Stadtmauer, links in den<lb/> Bignen den zerbrochenen Acquäduct des Claudius. An die Ruinen des Aufi-<lb/> teatro caſtrenſe lehnt ſich das Kloſter von Santa Croce. Ein Mönch tritt<lb/> aus dem Portal, er entblößt ſein ſilberhaariges Hanpt, als er mich gewahrt.<lb/> Friede liegt auf den ernſten, ruhigen Zügen. Auf freundlicher, ſchöner Stelle<lb/> iſt das Kloſter von Santa Croce erbaut, und mag wohl dem Alter eine liebe<lb/> Freiſtätte ſeyn.</p><lb/> <p>Gott zum Gruß, guter Mönch, wir find alle Brüder! Der Wege gibt<lb/> es viele, aber das Ziel iſt nur eins! Im Centrum da treffen die Radien<lb/> zuſammen!</p><lb/> <p>Sinnend folgt mein Auge dem Silberhaarigen, wie er den Fußpfad ein-<lb/> ſchlägt nach den nahen Häuſern. Vielleicht wird er als Bote des Troſtes in<lb/> eins derſelben treten. Der blaue Himmel wölbt ſich über die Greiſengeſtalt,<lb/> die weiche römiſche Luft umſpielt den Mönch, während er von Alter gebückt<lb/> dahinſchreitet. Der Süden hat der Scenerie ſein warmes Colorit aufgedrückt,<lb/> und daher iſt das Bild weniger düſter als es unter ähnlichen Umſtänden im<lb/> Norden ausfiele.</p><lb/> <p>Zu kurzer Raſt trat ich in die Kirche. Der Weg war weit, und man zieht<lb/> in Rom nicht leer ſeine Straße; da gibt es der Goldkörner gar viele die der<lb/> Sammler aufhebt und geiſtig verarbeitet. Ich ſetze mich in eine ſtille Ecke<lb/> hinter mächtigen Steinpfeilern, unbemerkt von dem Laienbruder der durch die<lb/> Hallen der Kirche ſchlarft und mechaniſch die Altäre ordnet. Dieſe Maſchi-<lb/> nerie des Gottesdienſtes berührt ſtets unangenehm.</p><lb/> <p>Noch einen Rückblick vor dem Scheiden auf die hübſchen Kloſtergebände.<lb/> Da neigt ſich ein junger Mönch zum Fenſter hinab, ſehnſüchtig ſchien er in<lb/> die Ferne zu ſtarren. Als zufällig ſein Auge das meinige traf, zog er ſchen den<lb/> Kopf zurück. Ein junger Mönch ſtimmt mich immer traurig; es gehört viel<lb/> Kraft dazu in einem ſolchen Beruf auszuharren ohne auf irgendwelche Ab-<lb/> wege zu gerathen. Auf der andern Seite des Kloſters ſind einige ſtark beſchä-<lb/> digte Bögen, dem ehemaligen Tempel der Venus und des Cupido angehöriz.<lb/> Seltſames Rom, voll von Contraften!</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Deutſchland.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline><hi rendition="#b">Freiburg,</hi> 31 Mai.</dateline><lb/> <p>Geſtern tagte dahier die erſte Wanderver-<lb/> ſammlung der badiſchen Gewerbvereine. Von etwa 30 Landesvereinen<lb/> hatten 17 ihre Vertreter geſandt — einen auf je 50 ihrer Mitglieder;<lb/> mit den ſonſtigen Theilnehmern ergab dieß eine Verſammlung von etwa<lb/> 120 Perſonen. Sonſt pflegt man ſich, wie der Vorſitzende Profeſſor Knies<lb/> bemerkte, von der Arbeit durch den Genuß abzuſpannen; dießmal folgte die<lb/> Arbeit einem Genuß auf dem Fuße, der während des dreitägigen ſang-,<lb/> klang- und regenvollen Sängerfeſtes die Gränzen, wo ſich, nach Goethe, die<lb/> Freuden von Leiden kaum noch unterſcheiden, beinahe überſchritten hatte.<lb/> Allein die Arbeit ſchien vielleicht gerade darum nur wie eine Erfriſchung zu<lb/> wirken; wenigſtens ſind während der beinahe fünfſtündigen Discuſſion alle<lb/> Richtungen in der Gewerbefrage tüchtig aufeinandergeplatzt, und wurde eine<lb/> Abſpannung höchſtens bei dem dann folgenden Feſteſſen bemerkbar. Nach<lb/> dem unvermeidlichen Zeitverderb über die Frageſtellung gieng man zur all-<lb/> gemeinen Erörterung des erſten Gegenſtandes der Tagesordnung: Zunft-<lb/> weſen, Gewerbe Ordnung oder Gewerbefreiheit. Wie faſt überall wieder-<lb/> holte ſich auch hier die Erfahrung daß der ganze denkende Theil des Gewerb-<lb/> ſtandes nicht nur von der Unhaltbarkeit, auch von der Verwerflichkeit der<lb/> beſt henden Zunftmißbräuche überzeugt oder jedenfalls unſchwer zu über-<lb/> zeugen iſt. Von dem Verdammungsurtheil das ſchließlich über den Lehr-<lb/> und Wanderzwang, das Meiſterſtück und die zünftige Trennung der Ge-<lb/> werbszweige ausgeſprochen wurde, hat ſich auch nicht Ein Vertreter, ſey es<lb/> im eigenen oder im Namen ſeiner Committenten, ausgeſchloſſen. Dagegen<lb/> wiederholte ſich auch die allgemeine Erfahrung daß ſich noch die wenigſten<lb/> darüber klar ſind wie die Auflöſung des Zunftweſens und die Gewähr einer<lb/> geſetzlich geficherten Bildungs und Erwerbefreiheit nicht etwa die zerſtören-<lb/> den, ſondern die ſchaffenden und ordnenden Kräfte der Volkswirthſchaft ent-<lb/> feſſelt. Man ließ ſich zwar, wie von einigen Rednern, insbeſondere dem<lb/> Vorſitzenden, mit überzeugender Klarheit geſchah, gern belehren wie durch<lb/> die beſtehende Zunftverfaſſung der Gemeinſinn gefliſſentlich zerrüttet, und<lb/> nicht die Arbeit gegen das Capital, ſondern im Gegentheil das große, ſchon<lb/> gegenwärtig gewerbefreie Capital gegen die zünftig eingeengte und polizeilich<lb/> gemaßregelte vermögensloſe Betriebſamkeit geſchützt werde. Die bekannten<lb/> Redensarten von der unter der Gewerbefreiheit zu erwartenden „weißen Skla-<lb/> verei,“ und der dann unvermeidlichen Alleinherrſchaft der Fabricanten und<lb/> „Juden,“ womit ein jugendlicher Loyola aus dem Freiburger katholiſchen<lb/> Geſellenverein mit ſeltener Unbefangenheit die Verſammlung regalirte, muß-<lb/> ten ſich ſchließlich mit einer allgemeinen ironiſchen Beiſallsbezeugung genügen<lb/> laſſen. Allein nicht ſo leicht war die Beſorgniß zum Schweigen ge-<lb/> bracht daß die Gewerbefreiheit, wenn ſie auch gerade für den kleineren Hand-<lb/> werker freie Bahn ſchaffe, doch aus ſich allein die geſicherte Lebensordnung,<lb/> wonach dieſer vor allem verlangt, nicht zu erzeugen vermöge. Um beides,<lb/> die Freiheit und die Sicherheit, zu vereinigen, verlange man, wie ſich ein<lb/> Mitglied ausdrückte, in ſeinen Kreiſen eine „liberale Gewerbe-Ordnung.“<lb/> Auch dieſes Bedenken fand jedoch wenigſtens im Schooße der Verſammlung<lb/> ſeine Erledigung. Zwiſchen der Freiheit, wurde geltend gemacht, und einer<lb/><hi rendition="#g">geſetzlich</hi> regulirten und auf dem Verwaltungswege gegängelten Gewerbe-<lb/> Ordnung beſtehe zwar ein unverſöhnlicher Zwieſpalt; es heiße das nur die<lb/> alten Zunftmißbräuche unter neuem Namen wiederum ins Leben rufen. Da-<lb/> gegen lehre aber die Geſchichte aller lebenskräftigen Genoſſenſchaften, in<lb/> neuer und alter Zeit, ſelbſt die der mittelalterlichen Zünfte, wie der Ge-<lb/> meinſinn, wenn man ihn nur frei gewähren laſſe, aus eigener Kraft eine<lb/> Mannichfaltigkeit von Vereinen erzeuge, die für jeden Gemeinzweck und für<lb/> alle Wechſelfälle des Lebens durch das einträchtige Zuſammenwirken der vie-<lb/> len ſchwächeren Kräfte auch jeder einzelnen ſchwächeren Kraft eine wirkſame<lb/> Unterſtützung gewährten. Nur ließe ſich dieſe ſegensreiche genoſſenſchaftliche<lb/> Entwicklung, eben weil ſie in der eigenen Kraft der Gewerbtreibenden und<lb/> daher weſentlich noch im Schooße der Zukunft ruhe, nicht mit Einem Schlage<lb/> und am wenigſten durch eine papierne Gewerbe-Ordnung hervorzaubern.<lb/> Für die Zukunft dieſes freithätigen Gemeingeiſtes ſpräche dagegen das Bei-<lb/> ſpiel der Schulze-Delitz’ſchen Genoſſenſchaften und der Gewerbevereine; und<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [2663/0019]
den. Dieſe Wege find, der hügeligen Beſchaffenheit des Bodens gemäß, er-
müdend und einförmig, indem meiſtens Manern jede Ausficht verſperren. Nur
zuweilen bietet ſich dem Blick eine Kirche oder ein Kloſter auf höherem Hügel,
häufig verfallen und verlaſſen, ſonſt lauter Vignen, nebſt einigen ſchlecht ange-
bauten Gemüſegärten. Die üppige Vegetation allein verſchönert dieſe Oede.
Unſer nordiſches Auge kann ſich nicht ſatt ſehen an dem mannshohen Cactus,
an der indiſchen Feige, welche über die Mauern ranken. Selten begegnet man
einem Menſchen. Die Römer ſpazieren auf Monte Pincio, in der Villa Bor-
gheſe oder dem Corſo, und die Fremden fahren, unter der traurigen Escorte
eines Lohndieners, raſch von einer Merkwürdigkeit zur andern. Indeſſen liegt
ein eigener Reiz in dem Hernmwandern durch die öden Gaſſen der Ruinen-
ſtadt. Das triviale Tagsgetreibe flüchtete ſich ins Centrum, hier ſtört nichts
die großen Schatten, wir befinden uns in ihrem Reich. Faſt zur Unſichtbar-
keit herabgeſchwunden, verwittert, zerbröckelt, von wuchernden Schlingpflanzen
überſponnen, find in dieſen Vignen die Trümmer des alten Roms zerſtreut.
Aber der Geiſt ſeiner Inſtitutionen, die Dynamis ſeines Seyns lebt heute
noch wie vor zweitauſend Jahren — da gieng nichts verloren. Das Phänomen
mag ſchwinden, jedoch des Weſens innerer, wahrer Kern, die Idee, bleibt
ewig.
Gegen Koth und Dorngeſtrüpp ankämpfend verfolgte ich meinen Weg,
um die Ecke biegend ſchreckte ich von zerbröckeltem Stein einen franzöſiſchen Sol-
daten empor der ein halberwachſenes Mädchen im Arm hielt. Ein Buch fiel
zu Boden wie der Mann raſch in die Höhe ſprang. Arbuste heißt piccolo
arbore, hörte ich ihn demonſtriren, während ich, ohne den Kopf zu wenden, vor-
wärts ſchritt. Eine der Form, den Umſtänden und dem Inhalt nach höchſt
eigenthümliche Sprachlection! *)
Nach dieſem lebendigen Bilde tönt uns melancholiſch Glockengeläute ent-
gegen. Da liegt wieder einmal Kirche und Kloſter. San Clemente iſt der
Name; es iſt tief und unfreundlich in einer Schlucht der Straße angebracht.
Die Via Labiana mündet bald nachher in die Bia Merulana; von da geht es
geradeaus dem Lateranplatz zu, auf dem ſich ein ſtrahlenförmiges Straßennetz
vereinigt. Nach kurzem Blick auf die Baſilika und den Palaſt trete ich in das
gegenüberliegende kleine Haus, welches man über die scala santa erbant hat.
Es ſoll angeblich die nämliche Treppe ſeyn welche der Sage nach Chriſtus im
Haus des Pontius betreten hat. Zwei Frauen, ihrer Kleidung gemäß der
wohlhabenden Claſſe angehörend, rutſchten ſie eben auf den Knieen hinan. Ich
betrachtete den ſchönen Chriſtus aus weißem Marmor am Fuß der Treppe;
mehr als bei irgendeinem andern befriedigte mich hier die Auffaſſung. Da
ſteht er als Meiſter und Lehrer, freilich nicht ſo durchleuchtet vom göttlichen
Geiſt wie ihn der ächte Künſtler ſchaffen möchte der mit Liebe und Verſtänd-
niß ans herrliche Werk gieng. So iſt es doch wenigſtens auch nicht die ver-
zerrte Leidensgeſtalt die uns ſelbſt bei Michel Angelo’s Meiſterwerk anwidert.
Ich flüchte wieder ins Freie aus dem engen düſtern Haus. Im Hinter-
grund erhebt ſich ein Mann in ſchwarzem Talar, mit weißgeſticktem, flammen-
dem Herzen auf der Bruſt; er vertritt den Weg und hält mir eine Geldbüchſe
hin. Sein Geſchäft ſchien darin zu beſtehen geſchriebene Certificate für die-
jenigen auszuſtellen welche die scala santa hinaufgerutſcht.
Wofür ſoll ich zahlen, Mann? ...
Der Schwarze mit dem flammenden Herzen murmelte etwas von here-
tico, und ſchlich zu den gläubigen Weiblein zurück, bei denen er wahrſcheinlich
eine beſſere Ernte hielt.
Ven der Laterankirche aus führt eine ſchöne, mit Bäumen bepflanzte
Straße nach Santa Croce. Rechts hat ſie die alte Stadtmauer, links in den
Bignen den zerbrochenen Acquäduct des Claudius. An die Ruinen des Aufi-
teatro caſtrenſe lehnt ſich das Kloſter von Santa Croce. Ein Mönch tritt
aus dem Portal, er entblößt ſein ſilberhaariges Hanpt, als er mich gewahrt.
Friede liegt auf den ernſten, ruhigen Zügen. Auf freundlicher, ſchöner Stelle
iſt das Kloſter von Santa Croce erbaut, und mag wohl dem Alter eine liebe
Freiſtätte ſeyn.
Gott zum Gruß, guter Mönch, wir find alle Brüder! Der Wege gibt
es viele, aber das Ziel iſt nur eins! Im Centrum da treffen die Radien
zuſammen!
Sinnend folgt mein Auge dem Silberhaarigen, wie er den Fußpfad ein-
ſchlägt nach den nahen Häuſern. Vielleicht wird er als Bote des Troſtes in
eins derſelben treten. Der blaue Himmel wölbt ſich über die Greiſengeſtalt,
die weiche römiſche Luft umſpielt den Mönch, während er von Alter gebückt
dahinſchreitet. Der Süden hat der Scenerie ſein warmes Colorit aufgedrückt,
und daher iſt das Bild weniger düſter als es unter ähnlichen Umſtänden im
Norden ausfiele.
Zu kurzer Raſt trat ich in die Kirche. Der Weg war weit, und man zieht
in Rom nicht leer ſeine Straße; da gibt es der Goldkörner gar viele die der
Sammler aufhebt und geiſtig verarbeitet. Ich ſetze mich in eine ſtille Ecke
hinter mächtigen Steinpfeilern, unbemerkt von dem Laienbruder der durch die
Hallen der Kirche ſchlarft und mechaniſch die Altäre ordnet. Dieſe Maſchi-
nerie des Gottesdienſtes berührt ſtets unangenehm.
Noch einen Rückblick vor dem Scheiden auf die hübſchen Kloſtergebände.
Da neigt ſich ein junger Mönch zum Fenſter hinab, ſehnſüchtig ſchien er in
die Ferne zu ſtarren. Als zufällig ſein Auge das meinige traf, zog er ſchen den
Kopf zurück. Ein junger Mönch ſtimmt mich immer traurig; es gehört viel
Kraft dazu in einem ſolchen Beruf auszuharren ohne auf irgendwelche Ab-
wege zu gerathen. Auf der andern Seite des Kloſters ſind einige ſtark beſchä-
digte Bögen, dem ehemaligen Tempel der Venus und des Cupido angehöriz.
Seltſames Rom, voll von Contraften!
Deutſchland.
Freiburg, 31 Mai.
Geſtern tagte dahier die erſte Wanderver-
ſammlung der badiſchen Gewerbvereine. Von etwa 30 Landesvereinen
hatten 17 ihre Vertreter geſandt — einen auf je 50 ihrer Mitglieder;
mit den ſonſtigen Theilnehmern ergab dieß eine Verſammlung von etwa
120 Perſonen. Sonſt pflegt man ſich, wie der Vorſitzende Profeſſor Knies
bemerkte, von der Arbeit durch den Genuß abzuſpannen; dießmal folgte die
Arbeit einem Genuß auf dem Fuße, der während des dreitägigen ſang-,
klang- und regenvollen Sängerfeſtes die Gränzen, wo ſich, nach Goethe, die
Freuden von Leiden kaum noch unterſcheiden, beinahe überſchritten hatte.
Allein die Arbeit ſchien vielleicht gerade darum nur wie eine Erfriſchung zu
wirken; wenigſtens ſind während der beinahe fünfſtündigen Discuſſion alle
Richtungen in der Gewerbefrage tüchtig aufeinandergeplatzt, und wurde eine
Abſpannung höchſtens bei dem dann folgenden Feſteſſen bemerkbar. Nach
dem unvermeidlichen Zeitverderb über die Frageſtellung gieng man zur all-
gemeinen Erörterung des erſten Gegenſtandes der Tagesordnung: Zunft-
weſen, Gewerbe Ordnung oder Gewerbefreiheit. Wie faſt überall wieder-
holte ſich auch hier die Erfahrung daß der ganze denkende Theil des Gewerb-
ſtandes nicht nur von der Unhaltbarkeit, auch von der Verwerflichkeit der
beſt henden Zunftmißbräuche überzeugt oder jedenfalls unſchwer zu über-
zeugen iſt. Von dem Verdammungsurtheil das ſchließlich über den Lehr-
und Wanderzwang, das Meiſterſtück und die zünftige Trennung der Ge-
werbszweige ausgeſprochen wurde, hat ſich auch nicht Ein Vertreter, ſey es
im eigenen oder im Namen ſeiner Committenten, ausgeſchloſſen. Dagegen
wiederholte ſich auch die allgemeine Erfahrung daß ſich noch die wenigſten
darüber klar ſind wie die Auflöſung des Zunftweſens und die Gewähr einer
geſetzlich geficherten Bildungs und Erwerbefreiheit nicht etwa die zerſtören-
den, ſondern die ſchaffenden und ordnenden Kräfte der Volkswirthſchaft ent-
feſſelt. Man ließ ſich zwar, wie von einigen Rednern, insbeſondere dem
Vorſitzenden, mit überzeugender Klarheit geſchah, gern belehren wie durch
die beſtehende Zunftverfaſſung der Gemeinſinn gefliſſentlich zerrüttet, und
nicht die Arbeit gegen das Capital, ſondern im Gegentheil das große, ſchon
gegenwärtig gewerbefreie Capital gegen die zünftig eingeengte und polizeilich
gemaßregelte vermögensloſe Betriebſamkeit geſchützt werde. Die bekannten
Redensarten von der unter der Gewerbefreiheit zu erwartenden „weißen Skla-
verei,“ und der dann unvermeidlichen Alleinherrſchaft der Fabricanten und
„Juden,“ womit ein jugendlicher Loyola aus dem Freiburger katholiſchen
Geſellenverein mit ſeltener Unbefangenheit die Verſammlung regalirte, muß-
ten ſich ſchließlich mit einer allgemeinen ironiſchen Beiſallsbezeugung genügen
laſſen. Allein nicht ſo leicht war die Beſorgniß zum Schweigen ge-
bracht daß die Gewerbefreiheit, wenn ſie auch gerade für den kleineren Hand-
werker freie Bahn ſchaffe, doch aus ſich allein die geſicherte Lebensordnung,
wonach dieſer vor allem verlangt, nicht zu erzeugen vermöge. Um beides,
die Freiheit und die Sicherheit, zu vereinigen, verlange man, wie ſich ein
Mitglied ausdrückte, in ſeinen Kreiſen eine „liberale Gewerbe-Ordnung.“
Auch dieſes Bedenken fand jedoch wenigſtens im Schooße der Verſammlung
ſeine Erledigung. Zwiſchen der Freiheit, wurde geltend gemacht, und einer
geſetzlich regulirten und auf dem Verwaltungswege gegängelten Gewerbe-
Ordnung beſtehe zwar ein unverſöhnlicher Zwieſpalt; es heiße das nur die
alten Zunftmißbräuche unter neuem Namen wiederum ins Leben rufen. Da-
gegen lehre aber die Geſchichte aller lebenskräftigen Genoſſenſchaften, in
neuer und alter Zeit, ſelbſt die der mittelalterlichen Zünfte, wie der Ge-
meinſinn, wenn man ihn nur frei gewähren laſſe, aus eigener Kraft eine
Mannichfaltigkeit von Vereinen erzeuge, die für jeden Gemeinzweck und für
alle Wechſelfälle des Lebens durch das einträchtige Zuſammenwirken der vie-
len ſchwächeren Kräfte auch jeder einzelnen ſchwächeren Kraft eine wirkſame
Unterſtützung gewährten. Nur ließe ſich dieſe ſegensreiche genoſſenſchaftliche
Entwicklung, eben weil ſie in der eigenen Kraft der Gewerbtreibenden und
daher weſentlich noch im Schooße der Zukunft ruhe, nicht mit Einem Schlage
und am wenigſten durch eine papierne Gewerbe-Ordnung hervorzaubern.
Für die Zukunft dieſes freithätigen Gemeingeiſtes ſpräche dagegen das Bei-
ſpiel der Schulze-Delitz’ſchen Genoſſenſchaften und der Gewerbevereine; und
*) Die geſchlechtliche Liederlichkeit der Franzoſen, mit ihren gleichnamigen Folgen,
iſt eine allgemeine Klage in Rom; wie ſie es noch überall war wohin dieſe
„Civiliſateurs“ gekommen ſind.
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Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2021-01-12T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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