Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweiter Abschnitt.
5.

Was aber nun die Vereinigung der bei-
den entgegengesetzten Unterrichtssysteme

und den wissenschaftlichen Gesichtspunkt der Beurthei-
lung derselben betrifft, so führt uns auch dazu am
natürlichsten und einfachsten die möglichst vollständige
und umfassende Construction des Begriffes vom Men-
schen. Begründet die unvollständige, nach einer ein-
seitigen Abstraction gefaßte, Construction jenes Begrif-
fes die beiden Extreme der Unterrichtstheorie; so läßt
sich schon daher erwarten, daß die Ergänzung des Be-
griffes durch Zusammenfassen der einseitigen Abstractio-
nen den Mittelpunkt bilden werde, in dem sich die
beiden Extreme vereinigen, und von welchem aus
es möglich seyn wird, eine Uebersicht über beide zu
gewinnen, das, was in beiden Wahres ist, zu erken-
nen, und eben deshalb mit voller Gerechtigkeit beide
zu beurtheilen.

Es wird dabei für unsern Zweck nicht nöthig seyn,
auf eine tiefere Erörterung der metaphysischen Ele-
mente des Begriffes vom Menschen
einzuge-
hen; es ist hinreichend, die angezeigten Elemente die-
ses Grundbegriffes unsrer Theorie -- Geist und
Leib, Vernunft und Thier
-- aufzufassen, ihrer
Trennung als einer logischen Operation eingedenk zu
bleiben, die Willkürlichkeit, mit welcher das eine oder
das andre Abstractum für das Ganze genommen ist,
aufzuheben, und so den Begriff durch eine vollständi-
ge Construction in seiner Ganzheit herzustellen. Wie

Zweiter Abſchnitt.
5.

Was aber nun die Vereinigung der bei-
den entgegengeſetzten Unterrichtsſyſteme

und den wiſſenſchaftlichen Geſichtspunkt der Beurthei-
lung derſelben betrifft, ſo fuͤhrt uns auch dazu am
natuͤrlichſten und einfachſten die moͤglichſt vollſtaͤndige
und umfaſſende Conſtruction des Begriffes vom Men-
ſchen. Begruͤndet die unvollſtaͤndige, nach einer ein-
ſeitigen Abſtraction gefaßte, Conſtruction jenes Begrif-
fes die beiden Extreme der Unterrichtstheorie; ſo laͤßt
ſich ſchon daher erwarten, daß die Ergaͤnzung des Be-
griffes durch Zuſammenfaſſen der einſeitigen Abſtractio-
nen den Mittelpunkt bilden werde, in dem ſich die
beiden Extreme vereinigen, und von welchem aus
es moͤglich ſeyn wird, eine Ueberſicht uͤber beide zu
gewinnen, das, was in beiden Wahres iſt, zu erken-
nen, und eben deshalb mit voller Gerechtigkeit beide
zu beurtheilen.

Es wird dabei fuͤr unſern Zweck nicht noͤthig ſeyn,
auf eine tiefere Eroͤrterung der metaphyſiſchen Ele-
mente des Begriffes vom Menſchen
einzuge-
hen; es iſt hinreichend, die angezeigten Elemente die-
ſes Grundbegriffes unſrer Theorie — Geiſt und
Leib, Vernunft und Thier
— aufzufaſſen, ihrer
Trennung als einer logiſchen Operation eingedenk zu
bleiben, die Willkuͤrlichkeit, mit welcher das eine oder
das andre Abſtractum fuͤr das Ganze genommen iſt,
aufzuheben, und ſo den Begriff durch eine vollſtaͤndi-
ge Conſtruction in ſeiner Ganzheit herzuſtellen. Wie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0078" n="66"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Ab&#x017F;chnitt</hi>.</fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>5.</head><lb/>
            <p>Was aber nun die <hi rendition="#g">Vereinigung der bei-<lb/>
den entgegenge&#x017F;etzten Unterrichts&#x017F;y&#x017F;teme</hi><lb/>
und den wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Ge&#x017F;ichtspunkt der Beurthei-<lb/>
lung der&#x017F;elben betrifft, &#x017F;o fu&#x0364;hrt uns auch dazu am<lb/>
natu&#x0364;rlich&#x017F;ten und einfach&#x017F;ten die mo&#x0364;glich&#x017F;t voll&#x017F;ta&#x0364;ndige<lb/>
und umfa&#x017F;&#x017F;ende Con&#x017F;truction des Begriffes vom Men-<lb/>
&#x017F;chen. Begru&#x0364;ndet die unvoll&#x017F;ta&#x0364;ndige, nach einer ein-<lb/>
&#x017F;eitigen Ab&#x017F;traction gefaßte, Con&#x017F;truction jenes Begrif-<lb/>
fes die beiden Extreme der Unterrichtstheorie; &#x017F;o la&#x0364;ßt<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;chon daher erwarten, daß die Erga&#x0364;nzung des Be-<lb/>
griffes durch Zu&#x017F;ammenfa&#x017F;&#x017F;en der ein&#x017F;eitigen Ab&#x017F;tractio-<lb/>
nen den Mittelpunkt bilden werde, in dem &#x017F;ich die<lb/>
beiden Extreme vereinigen, und von welchem aus<lb/>
es mo&#x0364;glich &#x017F;eyn wird, eine Ueber&#x017F;icht u&#x0364;ber beide zu<lb/>
gewinnen, das, was in beiden Wahres i&#x017F;t, zu erken-<lb/>
nen, und eben deshalb mit voller Gerechtigkeit beide<lb/>
zu beurtheilen.</p><lb/>
            <p>Es wird dabei fu&#x0364;r un&#x017F;ern Zweck nicht no&#x0364;thig &#x017F;eyn,<lb/>
auf eine tiefere Ero&#x0364;rterung der metaphy&#x017F;i&#x017F;chen <hi rendition="#g">Ele-<lb/>
mente des Begriffes vom Men&#x017F;chen</hi> einzuge-<lb/>
hen; es i&#x017F;t hinreichend, die angezeigten Elemente die-<lb/>
&#x017F;es Grundbegriffes un&#x017F;rer Theorie &#x2014; <hi rendition="#g">Gei&#x017F;t und<lb/>
Leib, Vernunft und Thier</hi> &#x2014; aufzufa&#x017F;&#x017F;en, ihrer<lb/>
Trennung als einer logi&#x017F;chen Operation eingedenk zu<lb/>
bleiben, die Willku&#x0364;rlichkeit, mit welcher das eine oder<lb/>
das andre Ab&#x017F;tractum fu&#x0364;r das Ganze genommen i&#x017F;t,<lb/>
aufzuheben, und &#x017F;o den Begriff durch eine voll&#x017F;ta&#x0364;ndi-<lb/>
ge Con&#x017F;truction in &#x017F;einer Ganzheit herzu&#x017F;tellen. Wie<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0078] Zweiter Abſchnitt. 5. Was aber nun die Vereinigung der bei- den entgegengeſetzten Unterrichtsſyſteme und den wiſſenſchaftlichen Geſichtspunkt der Beurthei- lung derſelben betrifft, ſo fuͤhrt uns auch dazu am natuͤrlichſten und einfachſten die moͤglichſt vollſtaͤndige und umfaſſende Conſtruction des Begriffes vom Men- ſchen. Begruͤndet die unvollſtaͤndige, nach einer ein- ſeitigen Abſtraction gefaßte, Conſtruction jenes Begrif- fes die beiden Extreme der Unterrichtstheorie; ſo laͤßt ſich ſchon daher erwarten, daß die Ergaͤnzung des Be- griffes durch Zuſammenfaſſen der einſeitigen Abſtractio- nen den Mittelpunkt bilden werde, in dem ſich die beiden Extreme vereinigen, und von welchem aus es moͤglich ſeyn wird, eine Ueberſicht uͤber beide zu gewinnen, das, was in beiden Wahres iſt, zu erken- nen, und eben deshalb mit voller Gerechtigkeit beide zu beurtheilen. Es wird dabei fuͤr unſern Zweck nicht noͤthig ſeyn, auf eine tiefere Eroͤrterung der metaphyſiſchen Ele- mente des Begriffes vom Menſchen einzuge- hen; es iſt hinreichend, die angezeigten Elemente die- ſes Grundbegriffes unſrer Theorie — Geiſt und Leib, Vernunft und Thier — aufzufaſſen, ihrer Trennung als einer logiſchen Operation eingedenk zu bleiben, die Willkuͤrlichkeit, mit welcher das eine oder das andre Abſtractum fuͤr das Ganze genommen iſt, aufzuheben, und ſo den Begriff durch eine vollſtaͤndi- ge Conſtruction in ſeiner Ganzheit herzuſtellen. Wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/78
Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/78>, abgerufen am 22.12.2024.