Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



Gertrudtinn kannte, berechnete, daß sein Sohn
keine bessere Partie thun könnte, und Frau Ger-
trudtinn,
welche auch wohl wußte, wie warm der
alte Säugling saß, fieng an, der Sache etwas nä-
her zu treten, indem sie zuweilen bemerkte, daß die
Ehen im Himmel geschloßen würden, und daß die
Menschen, sobald dieß ersichtlich sey, dem Himmel
nicht widerstreben müßten.

Säugling der Sohn, argwohnte alle diese Ab-
sichten gar nicht, sondern der Umgang mit einem
Frauenzimmer diente ihm nur, wie einer Uhr das
Oel, um seine zärtlichen Phantasien in einem glei-
chem Gange zu erhalten. Er lebte ganz unbefangen
mit der Jungfer Anastasia, und widmete nichts
destoweniger beständig, seiner abwesenden Mariane
die zärtlichste Liebe.

Sechster Abschnitt.

Nachdem Säugling der Vater von seiner Krank-
heit genesen war, ward er einst, mit seinem
Sohne, zu der Frau Gertrudtinn in die Stadt, zu
Mittage eingeladen. Die schöne Anastasia, welche
des jungen Säuglings Achtsamkeiten, gleich ihrer
Mutter, ganz ernsthaft auslegte, hatte diesen Tag

alle
H 5



Gertrudtinn kannte, berechnete, daß ſein Sohn
keine beſſere Partie thun koͤnnte, und Frau Ger-
trudtinn,
welche auch wohl wußte, wie warm der
alte Saͤugling ſaß, fieng an, der Sache etwas naͤ-
her zu treten, indem ſie zuweilen bemerkte, daß die
Ehen im Himmel geſchloßen wuͤrden, und daß die
Menſchen, ſobald dieß erſichtlich ſey, dem Himmel
nicht widerſtreben muͤßten.

Saͤugling der Sohn, argwohnte alle dieſe Ab-
ſichten gar nicht, ſondern der Umgang mit einem
Frauenzimmer diente ihm nur, wie einer Uhr das
Oel, um ſeine zaͤrtlichen Phantaſien in einem glei-
chem Gange zu erhalten. Er lebte ganz unbefangen
mit der Jungfer Anaſtaſia, und widmete nichts
deſtoweniger beſtaͤndig, ſeiner abweſenden Mariane
die zaͤrtlichſte Liebe.

Sechſter Abſchnitt.

Nachdem Saͤugling der Vater von ſeiner Krank-
heit geneſen war, ward er einſt, mit ſeinem
Sohne, zu der Frau Gertrudtinn in die Stadt, zu
Mittage eingeladen. Die ſchoͤne Anaſtaſia, welche
des jungen Saͤuglings Achtſamkeiten, gleich ihrer
Mutter, ganz ernſthaft auslegte, hatte dieſen Tag

alle
H 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0129" n="119[118]"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/><hi rendition="#fr">Gertrudtinn</hi> kannte, berechnete, daß &#x017F;ein Sohn<lb/>
keine be&#x017F;&#x017F;ere Partie thun ko&#x0364;nnte, und Frau <hi rendition="#fr">Ger-<lb/>
trudtinn,</hi> welche auch wohl wußte, wie warm der<lb/><hi rendition="#fr">alte Sa&#x0364;ugling</hi> &#x017F;aß, fieng an, der Sache etwas na&#x0364;-<lb/>
her zu treten, indem &#x017F;ie zuweilen bemerkte, daß die<lb/>
Ehen im Himmel ge&#x017F;chloßen wu&#x0364;rden, und daß die<lb/>
Men&#x017F;chen, &#x017F;obald dieß er&#x017F;ichtlich &#x017F;ey, dem Himmel<lb/>
nicht wider&#x017F;treben mu&#x0364;ßten.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ugling</hi> der Sohn, argwohnte alle die&#x017F;e Ab-<lb/>
&#x017F;ichten gar nicht, &#x017F;ondern der Umgang mit einem<lb/>
Frauenzimmer diente ihm nur, wie einer Uhr das<lb/>
Oel, um &#x017F;eine za&#x0364;rtlichen Phanta&#x017F;ien in einem glei-<lb/>
chem Gange zu erhalten. Er lebte ganz unbefangen<lb/>
mit der Jungfer <hi rendition="#fr">Ana&#x017F;ta&#x017F;ia,</hi> und widmete nichts<lb/>
de&#x017F;toweniger be&#x017F;ta&#x0364;ndig, &#x017F;einer abwe&#x017F;enden <hi rendition="#fr">Mariane</hi><lb/>
die za&#x0364;rtlich&#x017F;te Liebe.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Sech&#x017F;ter Ab&#x017F;chnitt</hi>.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">N</hi>achdem <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ugling</hi> der Vater von &#x017F;einer Krank-<lb/>
heit gene&#x017F;en war, ward er ein&#x017F;t, mit &#x017F;einem<lb/>
Sohne, zu der Frau <hi rendition="#fr">Gertrudtinn</hi> in die Stadt, zu<lb/>
Mittage eingeladen. Die &#x017F;cho&#x0364;ne <hi rendition="#fr">Ana&#x017F;ta&#x017F;ia,</hi> welche<lb/>
des jungen <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;uglings</hi> Acht&#x017F;amkeiten, gleich ihrer<lb/>
Mutter, ganz ern&#x017F;thaft auslegte, hatte die&#x017F;en Tag<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 5</fw><fw place="bottom" type="catch">alle</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119[118]/0129] Gertrudtinn kannte, berechnete, daß ſein Sohn keine beſſere Partie thun koͤnnte, und Frau Ger- trudtinn, welche auch wohl wußte, wie warm der alte Saͤugling ſaß, fieng an, der Sache etwas naͤ- her zu treten, indem ſie zuweilen bemerkte, daß die Ehen im Himmel geſchloßen wuͤrden, und daß die Menſchen, ſobald dieß erſichtlich ſey, dem Himmel nicht widerſtreben muͤßten. Saͤugling der Sohn, argwohnte alle dieſe Ab- ſichten gar nicht, ſondern der Umgang mit einem Frauenzimmer diente ihm nur, wie einer Uhr das Oel, um ſeine zaͤrtlichen Phantaſien in einem glei- chem Gange zu erhalten. Er lebte ganz unbefangen mit der Jungfer Anaſtaſia, und widmete nichts deſtoweniger beſtaͤndig, ſeiner abweſenden Mariane die zaͤrtlichſte Liebe. Sechſter Abſchnitt. Nachdem Saͤugling der Vater von ſeiner Krank- heit geneſen war, ward er einſt, mit ſeinem Sohne, zu der Frau Gertrudtinn in die Stadt, zu Mittage eingeladen. Die ſchoͤne Anaſtaſia, welche des jungen Saͤuglings Achtſamkeiten, gleich ihrer Mutter, ganz ernſthaft auslegte, hatte dieſen Tag alle H 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/129
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 119[118]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/129>, abgerufen am 30.12.2024.