einzustehen und also geregelte Fürsorge dafür zu treffen hat. Daraus folgt die Notwendigkeit eines eigenen und zwar sozialen Lehrberufs; obwohl nicht ebenso zwingend die eines abgeson- derten Lehrstandes.
Auf der hiermit gegebenen Grundlage würde es nun wohl möglich sein, das, worauf wir eigentlich ausgehen: die Güte oder Tüchtigkeit des sozialen Lebens, im antiken Sinne seine Tugend zu definieren. Sie wird offenbar bestehen müssen in dem normalen Verhältnis der nachgewiesenen drei Grund- funktionen, wie es soeben noch als unabweisliche Forderung sich ergab. Nur ist hierbei noch ein Faktor zu berücksichtigen, den wir bisher nicht ausdrücklich in Rechnung gezogen haben: Das Gemeinschaftsleben ist auf keiner gegebenen Stufe ab- geschlossen, es ist beständig im Werden begriffen. So wird die sittliche Ordnung des Gemeinschaftslebens zur ewigen Auf- gabe, ihre Tugend zur Idee, d. h. zum blossen Richtpunkt einer unendlichen Entwicklung. Ist es nun vielleicht möglich, auch das Grundgesetz dieser Entwicklung aus unseren Prinzipien abzuleiten? Wenn, so würde damit die letzte Konkretion der sittlichen Aufgabe für die Gemein- schaft und durch sie auch für den Einzelnen erreicht sein. Das ist nun zu untersuchen.
§. 18. Grundgesetz der sozialen Entwicklung.
Der Gang unserer sozialphilosophischen Untersuchung ist dieser. Wir fragten zuerst, welches sind die Elemente, aus denen soziales Leben überhaupt besteht; wir untersuchten so- dann, wie in eben diesen Elementen es sich fort und fort erneuert, woraus die wesentlichen Funktionen und Organe des sozialen Körpers sich ergaben; das dritte, was übrig bleibt, ist die Fest- stellung der Grundrichtung der Entwicklung des Ge- meinschaftslebens. Damit erst wird der Begriff eines sozialen Lebens vollinhaltlich bestimmt, und die zureichende Grund- lage gewonnen für die Beantwortung der letzten Frage, auf die dies alles abzielt: worin die Güte des sozialen Lebens besteht.
einzustehen und also geregelte Fürsorge dafür zu treffen hat. Daraus folgt die Notwendigkeit eines eigenen und zwar sozialen Lehrberufs; obwohl nicht ebenso zwingend die eines abgeson- derten Lehrstandes.
Auf der hiermit gegebenen Grundlage würde es nun wohl möglich sein, das, worauf wir eigentlich ausgehen: die Güte oder Tüchtigkeit des sozialen Lebens, im antiken Sinne seine Tugend zu definieren. Sie wird offenbar bestehen müssen in dem normalen Verhältnis der nachgewiesenen drei Grund- funktionen, wie es soeben noch als unabweisliche Forderung sich ergab. Nur ist hierbei noch ein Faktor zu berücksichtigen, den wir bisher nicht ausdrücklich in Rechnung gezogen haben: Das Gemeinschaftsleben ist auf keiner gegebenen Stufe ab- geschlossen, es ist beständig im Werden begriffen. So wird die sittliche Ordnung des Gemeinschaftslebens zur ewigen Auf- gabe, ihre Tugend zur Idee, d. h. zum blossen Richtpunkt einer unendlichen Entwicklung. Ist es nun vielleicht möglich, auch das Grundgesetz dieser Entwicklung aus unseren Prinzipien abzuleiten? Wenn, so würde damit die letzte Konkretion der sittlichen Aufgabe für die Gemein- schaft und durch sie auch für den Einzelnen erreicht sein. Das ist nun zu untersuchen.
§. 18. Grundgesetz der sozialen Entwicklung.
Der Gang unserer sozialphilosophischen Untersuchung ist dieser. Wir fragten zuerst, welches sind die Elemente, aus denen soziales Leben überhaupt besteht; wir untersuchten so- dann, wie in eben diesen Elementen es sich fort und fort erneuert, woraus die wesentlichen Funktionen und Organe des sozialen Körpers sich ergaben; das dritte, was übrig bleibt, ist die Fest- stellung der Grundrichtung der Entwicklung des Ge- meinschaftslebens. Damit erst wird der Begriff eines sozialen Lebens vollinhaltlich bestimmt, und die zureichende Grund- lage gewonnen für die Beantwortung der letzten Frage, auf die dies alles abzielt: worin die Güte des sozialen Lebens besteht.
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Daraus folgt die Notwendigkeit eines eigenen und zwar sozialen
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derten Lehrstandes.
Auf der hiermit gegebenen Grundlage würde es nun wohl
möglich sein, das, worauf wir eigentlich ausgehen: die Güte
oder Tüchtigkeit des sozialen Lebens, im antiken Sinne
seine Tugend zu definieren. Sie wird offenbar bestehen müssen
in dem normalen Verhältnis der nachgewiesenen drei Grund-
funktionen, wie es soeben noch als unabweisliche Forderung
sich ergab. Nur ist hierbei noch ein Faktor zu berücksichtigen,
den wir bisher nicht ausdrücklich in Rechnung gezogen haben:
Das Gemeinschaftsleben ist auf keiner gegebenen Stufe ab-
geschlossen, es ist beständig im Werden begriffen. So wird
die sittliche Ordnung des Gemeinschaftslebens zur ewigen Auf-
gabe, ihre Tugend zur Idee, d. h. zum blossen Richtpunkt
einer unendlichen Entwicklung. Ist es nun vielleicht
möglich, auch das Grundgesetz dieser Entwicklung aus
unseren Prinzipien abzuleiten? Wenn, so würde damit die
letzte Konkretion der sittlichen Aufgabe für die Gemein-
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Das ist nun zu untersuchen.
§. 18.
Grundgesetz der sozialen Entwicklung.
Der Gang unserer sozialphilosophischen Untersuchung ist
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denen soziales Leben überhaupt besteht; wir untersuchten so-
dann, wie in eben diesen Elementen es sich fort und fort erneuert,
woraus die wesentlichen Funktionen und Organe des sozialen
Körpers sich ergaben; das dritte, was übrig bleibt, ist die Fest-
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meinschaftslebens. Damit erst wird der Begriff eines sozialen
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/176>, abgerufen am 21.11.2024.
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