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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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lichen Willensbereichs erstrecken, da sie sich nicht sowohl
durch das Gebiet des Handelns, das sie regieren, als durch den
Anteil unterscheiden sollen, der jedem der Grundbestandteile
des Wollens an der Sittlichkeit überhaupt zufällt. Der be-
herrschende Faktor aber ist die Vernunft; daher versteht sich,
dass man die Tugend der Vernunft und nicht etwa die der
Tapferkeit oder des Maasses als einzige, alle andern einschlies-
sende Tugend hat aufstellen können, wie von Sokrates und
mehreren seiner Schüler bekannt ist. Dass indessen die blosse
Einsicht doch nicht das Ganze der Sittlichkeit ausmacht,
wird klar, sobald man sich an die andern beiden Bestandteile
menschlicher Aktivität, Trieb und Willen (im engern Sinn)
erinnert. Es wird sich also fragen: welche Seiten der indivi-
duellen Tugend sind es, die in analoger Weise auf diese Mo-
mente der menschlichen Aktivität sich beziehen, wie die
Tugend der Wahrheit auf die praktische Vernunft. Und da
ergiebt sich unschwer als die eigentümliche Tugend des Willens
die, welcher die Alten den Namen der Tapferkeit gaben;
als Tugend des Trieblebens aber die antike Sophrosyne, die
Tugend des Maasses.

§ 13.
2. Die Tugend des Willens: Tapferkeit oder sittliche
Thatkraft.

Der Begriff dieser zweiten Tugend ist, der Ableitung zu-
folge, eigentlich der der Selbstzucht, der strengen Unterord-
nung des Triebs unter die Regel des Willens, und dadurch be-
dingten Energie und Festigkeit der sittlichen Entschliessung;
also der Thatkraft der Sittlichkeit. Sie bildet das ge-
naue Gegenstück der ersten Tugend; bezieht diese sich un-
mittelbar auf den letzten Quell der persönlichen Tugend im
Bewusstsein, die sittliche Einsicht, so betrifft jene die Aus-
prägung der sittlichen Einsicht zur sittlichen That; oder den
sittlichen Willen, sofern er nicht im blossen Bewusstsein ver-
bleibt, sondern sich wirksam beweist, die verfügbaren Kräfte
zusammengenommen in den Dienst der sittlichen Aufgaben zu
stellen.


lichen Willensbereichs erstrecken, da sie sich nicht sowohl
durch das Gebiet des Handelns, das sie regieren, als durch den
Anteil unterscheiden sollen, der jedem der Grundbestandteile
des Wollens an der Sittlichkeit überhaupt zufällt. Der be-
herrschende Faktor aber ist die Vernunft; daher versteht sich,
dass man die Tugend der Vernunft und nicht etwa die der
Tapferkeit oder des Maasses als einzige, alle andern einschlies-
sende Tugend hat aufstellen können, wie von Sokrates und
mehreren seiner Schüler bekannt ist. Dass indessen die blosse
Einsicht doch nicht das Ganze der Sittlichkeit ausmacht,
wird klar, sobald man sich an die andern beiden Bestandteile
menschlicher Aktivität, Trieb und Willen (im engern Sinn)
erinnert. Es wird sich also fragen: welche Seiten der indivi-
duellen Tugend sind es, die in analoger Weise auf diese Mo-
mente der menschlichen Aktivität sich beziehen, wie die
Tugend der Wahrheit auf die praktische Vernunft. Und da
ergiebt sich unschwer als die eigentümliche Tugend des Willens
die, welcher die Alten den Namen der Tapferkeit gaben;
als Tugend des Trieblebens aber die antike Sophrosyne, die
Tugend des Maasses.

§ 13.
2. Die Tugend des Willens: Tapferkeit oder sittliche
Thatkraft.

Der Begriff dieser zweiten Tugend ist, der Ableitung zu-
folge, eigentlich der der Selbstzucht, der strengen Unterord-
nung des Triebs unter die Regel des Willens, und dadurch be-
dingten Energie und Festigkeit der sittlichen Entschliessung;
also der Thatkraft der Sittlichkeit. Sie bildet das ge-
naue Gegenstück der ersten Tugend; bezieht diese sich un-
mittelbar auf den letzten Quell der persönlichen Tugend im
Bewusstsein, die sittliche Einsicht, so betrifft jene die Aus-
prägung der sittlichen Einsicht zur sittlichen That; oder den
sittlichen Willen, sofern er nicht im blossen Bewusstsein ver-
bleibt, sondern sich wirksam beweist, die verfügbaren Kräfte
zusammengenommen in den Dienst der sittlichen Aufgaben zu
stellen.


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[101/0117] lichen Willensbereichs erstrecken, da sie sich nicht sowohl durch das Gebiet des Handelns, das sie regieren, als durch den Anteil unterscheiden sollen, der jedem der Grundbestandteile des Wollens an der Sittlichkeit überhaupt zufällt. Der be- herrschende Faktor aber ist die Vernunft; daher versteht sich, dass man die Tugend der Vernunft und nicht etwa die der Tapferkeit oder des Maasses als einzige, alle andern einschlies- sende Tugend hat aufstellen können, wie von Sokrates und mehreren seiner Schüler bekannt ist. Dass indessen die blosse Einsicht doch nicht das Ganze der Sittlichkeit ausmacht, wird klar, sobald man sich an die andern beiden Bestandteile menschlicher Aktivität, Trieb und Willen (im engern Sinn) erinnert. Es wird sich also fragen: welche Seiten der indivi- duellen Tugend sind es, die in analoger Weise auf diese Mo- mente der menschlichen Aktivität sich beziehen, wie die Tugend der Wahrheit auf die praktische Vernunft. Und da ergiebt sich unschwer als die eigentümliche Tugend des Willens die, welcher die Alten den Namen der Tapferkeit gaben; als Tugend des Trieblebens aber die antike Sophrosyne, die Tugend des Maasses. § 13. 2. Die Tugend des Willens: Tapferkeit oder sittliche Thatkraft. Der Begriff dieser zweiten Tugend ist, der Ableitung zu- folge, eigentlich der der Selbstzucht, der strengen Unterord- nung des Triebs unter die Regel des Willens, und dadurch be- dingten Energie und Festigkeit der sittlichen Entschliessung; also der Thatkraft der Sittlichkeit. Sie bildet das ge- naue Gegenstück der ersten Tugend; bezieht diese sich un- mittelbar auf den letzten Quell der persönlichen Tugend im Bewusstsein, die sittliche Einsicht, so betrifft jene die Aus- prägung der sittlichen Einsicht zur sittlichen That; oder den sittlichen Willen, sofern er nicht im blossen Bewusstsein ver- bleibt, sondern sich wirksam beweist, die verfügbaren Kräfte zusammengenommen in den Dienst der sittlichen Aufgaben zu stellen.

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/117>, abgerufen am 21.11.2024.