Die japanische Sprache gehört zu der altaischen Gruppe. Sie ist für den Europäer eine der schwierigsten der Erde. Zwar das Küchen- und Kuli-Pidjin-Japanisch, welches die europäische Hausfrau ihrer Dienerin gegen- über spricht oder der europäische Herr dem Taglöhner gegenüber, ist sehr einfach. Aber um die Sprache gründlich zu erlernen, bedarf es jahrelanger Studien. Und auch dem Japaner selbst kostet es bis zu ihrer Beherrschung, soweit von einer solchen überhaupt die Rede sein kann, unendlich viel Aufwand an Zeit und Mühe.
Wenn das japanische Kind zur Schule kommt, lernt es zunächst lesen und schreiben nach dem japa- nischen Kanasystem; und wie man bei uns die deutsche und die lateinische Schreibweise hat, so unterscheidet man dort zwischen Katakana und Hirakana. Das Kana ist eine Silbenschrift, d. h. jedes Zeichen bedeutet eine Silbe. Einzelne Buchstaben oder vielmehr Kon- sonanten wie f, m, t giebt es nicht, sondern nur Silben wie fu, mi, ta. Dabei sind einige unserer gebräuch- lichsten Laute wie ti, tu, si, we, wu, fa, fi, fe, fo etc. dem Japaner gänzlich unbekannt. Am sonderbarsten ist, daß er l und r -- oder, wie er es ausdrückt, das lange und das kurze r -- nicht von einander zu unter-
1) Vergl. des Verfassers "Psychologie der japanischen Sprache" in den Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, Heft 53, Asher, Berlin 1894.
II. Die Sprache. 1)
Die japaniſche Sprache gehört zu der altaiſchen Gruppe. Sie iſt für den Europäer eine der ſchwierigſten der Erde. Zwar das Küchen- und Kuli-Pidjin-Japaniſch, welches die europäiſche Hausfrau ihrer Dienerin gegen- über ſpricht oder der europäiſche Herr dem Taglöhner gegenüber, iſt ſehr einfach. Aber um die Sprache gründlich zu erlernen, bedarf es jahrelanger Studien. Und auch dem Japaner ſelbſt koſtet es bis zu ihrer Beherrſchung, ſoweit von einer ſolchen überhaupt die Rede ſein kann, unendlich viel Aufwand an Zeit und Mühe.
Wenn das japaniſche Kind zur Schule kommt, lernt es zunächſt leſen und ſchreiben nach dem japa- niſchen Kanaſyſtem; und wie man bei uns die deutſche und die lateiniſche Schreibweiſe hat, ſo unterſcheidet man dort zwiſchen Katakana und Hirakana. Das Kana iſt eine Silbenſchrift, d. h. jedes Zeichen bedeutet eine Silbe. Einzelne Buchſtaben oder vielmehr Kon- ſonanten wie f, m, t giebt es nicht, ſondern nur Silben wie fu, mi, ta. Dabei ſind einige unſerer gebräuch- lichſten Laute wie ti, tu, ſi, we, wu, fa, fi, fe, fo ꝛc. dem Japaner gänzlich unbekannt. Am ſonderbarſten iſt, daß er l und r — oder, wie er es ausdrückt, das lange und das kurze r — nicht von einander zu unter-
1) Vergl. des Verfaſſers „Pſychologie der japaniſchen Sprache“ in den Mitteilungen der Deutſchen Geſellſchaft für Natur- und Völkerkunde Oſtaſiens, Heft 53, Aſher, Berlin 1894.
<TEI><text><body><pbfacs="#f0039"n="[25]"/><divn="1"><head><hirendition="#aq">II.</hi> Die Sprache. <noteplace="foot"n="1)">Vergl. des Verfaſſers „Pſychologie der japaniſchen Sprache“<lb/>
in den Mitteilungen der Deutſchen Geſellſchaft für Natur- und<lb/>
Völkerkunde Oſtaſiens, Heft 53, Aſher, Berlin 1894.</note></head><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>ie japaniſche Sprache gehört zu der altaiſchen<lb/>
Gruppe. Sie iſt für den Europäer eine der ſchwierigſten<lb/>
der Erde. Zwar das Küchen- und Kuli-Pidjin-Japaniſch,<lb/>
welches die europäiſche Hausfrau ihrer Dienerin gegen-<lb/>
über ſpricht oder der europäiſche Herr dem Taglöhner<lb/>
gegenüber, iſt ſehr einfach. Aber um die Sprache<lb/>
gründlich zu erlernen, bedarf es jahrelanger Studien.<lb/>
Und auch dem Japaner ſelbſt koſtet es bis zu ihrer<lb/>
Beherrſchung, ſoweit von einer ſolchen überhaupt die Rede<lb/>ſein kann, unendlich viel Aufwand an Zeit und Mühe.</p><lb/><p>Wenn das japaniſche Kind zur Schule kommt,<lb/>
lernt es zunächſt leſen und ſchreiben nach dem japa-<lb/>
niſchen Kanaſyſtem; und wie man bei uns die deutſche<lb/>
und die lateiniſche Schreibweiſe hat, ſo unterſcheidet<lb/>
man dort zwiſchen Katakana und Hirakana. Das<lb/>
Kana iſt eine Silbenſchrift, d. h. jedes Zeichen bedeutet<lb/>
eine Silbe. Einzelne Buchſtaben oder vielmehr Kon-<lb/>ſonanten wie f, m, t giebt es nicht, ſondern nur Silben<lb/>
wie fu, mi, ta. Dabei ſind einige unſerer gebräuch-<lb/>
lichſten Laute wie ti, tu, ſi, we, wu, fa, fi, fe, fo ꝛc.<lb/>
dem Japaner gänzlich unbekannt. Am ſonderbarſten<lb/>
iſt, daß er l und r — oder, wie er es ausdrückt, das<lb/>
lange und das kurze r — nicht von einander zu unter-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[[25]/0039]
II. Die Sprache. 1)
Die japaniſche Sprache gehört zu der altaiſchen
Gruppe. Sie iſt für den Europäer eine der ſchwierigſten
der Erde. Zwar das Küchen- und Kuli-Pidjin-Japaniſch,
welches die europäiſche Hausfrau ihrer Dienerin gegen-
über ſpricht oder der europäiſche Herr dem Taglöhner
gegenüber, iſt ſehr einfach. Aber um die Sprache
gründlich zu erlernen, bedarf es jahrelanger Studien.
Und auch dem Japaner ſelbſt koſtet es bis zu ihrer
Beherrſchung, ſoweit von einer ſolchen überhaupt die Rede
ſein kann, unendlich viel Aufwand an Zeit und Mühe.
Wenn das japaniſche Kind zur Schule kommt,
lernt es zunächſt leſen und ſchreiben nach dem japa-
niſchen Kanaſyſtem; und wie man bei uns die deutſche
und die lateiniſche Schreibweiſe hat, ſo unterſcheidet
man dort zwiſchen Katakana und Hirakana. Das
Kana iſt eine Silbenſchrift, d. h. jedes Zeichen bedeutet
eine Silbe. Einzelne Buchſtaben oder vielmehr Kon-
ſonanten wie f, m, t giebt es nicht, ſondern nur Silben
wie fu, mi, ta. Dabei ſind einige unſerer gebräuch-
lichſten Laute wie ti, tu, ſi, we, wu, fa, fi, fe, fo ꝛc.
dem Japaner gänzlich unbekannt. Am ſonderbarſten
iſt, daß er l und r — oder, wie er es ausdrückt, das
lange und das kurze r — nicht von einander zu unter-
1) Vergl. des Verfaſſers „Pſychologie der japaniſchen Sprache“
in den Mitteilungen der Deutſchen Geſellſchaft für Natur- und
Völkerkunde Oſtaſiens, Heft 53, Aſher, Berlin 1894.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. [25]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/39>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.