Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite



vernünftigen Geschöpfen gegeben hat. Jemehr eine ge-
sunde gesetzte Vernunft sie prüft, je mehr muß sie gewin-
nen. Wenn man nur alles das, was Menschen in die
Religion hineingetragen haben, von den Kanzeln und
aus den Lehrbüchern wegließe, so würden die Waffen
der Freygeister fast alle stumpf werden. Jch erinnere
mich sehr lebhaft daran, wie sehr ich durch manche, ohne
Zweifel gut gemeynte Predigten, die ich in H. gehört,
in meinem Unglauben gestärkt worden bin. Jch fühlte
es zu sehr, daß das nicht lauter von Gott geoffenbahrte
Wahrheiten seyn könnten, was mir da gesagt ward, ob
man es gleich mit der größesten Zuversichtlichkeit dafür
ausgab. u. s. w.

Dreyzehende Unterredung, den 25sten März.

Jch konnte diesesmahl nur eine kurze Zeit bey dem
Grafen bleiben. Jch finde nur folgendes von unse-
rer Unterredung anmerkungswürdig.

Zu seinen ehemaligen Einwürfen gegen die Re-
ligion, sagte er, habe auch die Meynung des Boulanger
in seiner antiquite devoilee gehört, daß die Furcht
der Ursprung aller Religion bey den alten Völkern gewe-
sen sey. Die Menschen hätten Erdbeben, Feuersbrünste,
Ueberschwemmungen, Krieg, Seuchen, lauter Uebel,
die sie aus ganz natürlichen Ursachen hätten erklären
sollen, für Gerichte der Götter gehalten, und um den
Zorn derselben zu besänftigen sich Religionen erdacht.
Es wäre ihm damals vorgekommen, als wenn Boulan-
ger das alles sehr richtig aus der Geschichte bewiesen
hätte. Wenn Sie geglaubt haben, antwortete ich ihm,
daß Sie sich auf Bonlangers Treu und Glauben, auf
seine Kenntniß der Geschichte, der Alterthümer und der
Sprachen verlassen dürften, so haben Sie sehr Unrecht

gehabt.
J 2



vernuͤnftigen Geſchoͤpfen gegeben hat. Jemehr eine ge-
ſunde geſetzte Vernunft ſie pruͤft, je mehr muß ſie gewin-
nen. Wenn man nur alles das, was Menſchen in die
Religion hineingetragen haben, von den Kanzeln und
aus den Lehrbuͤchern wegließe, ſo wuͤrden die Waffen
der Freygeiſter faſt alle ſtumpf werden. Jch erinnere
mich ſehr lebhaft daran, wie ſehr ich durch manche, ohne
Zweifel gut gemeynte Predigten, die ich in H. gehoͤrt,
in meinem Unglauben geſtaͤrkt worden bin. Jch fuͤhlte
es zu ſehr, daß das nicht lauter von Gott geoffenbahrte
Wahrheiten ſeyn koͤnnten, was mir da geſagt ward, ob
man es gleich mit der groͤßeſten Zuverſichtlichkeit dafuͤr
ausgab. u. ſ. w.

Dreyzehende Unterredung, den 25ſten Maͤrz.

Jch konnte dieſesmahl nur eine kurze Zeit bey dem
Grafen bleiben. Jch finde nur folgendes von unſe-
rer Unterredung anmerkungswuͤrdig.

Zu ſeinen ehemaligen Einwuͤrfen gegen die Re-
ligion, ſagte er, habe auch die Meynung des Boulanger
in ſeiner antiquité devoilée gehoͤrt, daß die Furcht
der Urſprung aller Religion bey den alten Voͤlkern gewe-
ſen ſey. Die Menſchen haͤtten Erdbeben, Feuersbruͤnſte,
Ueberſchwemmungen, Krieg, Seuchen, lauter Uebel,
die ſie aus ganz natuͤrlichen Urſachen haͤtten erklaͤren
ſollen, fuͤr Gerichte der Goͤtter gehalten, und um den
Zorn derſelben zu beſaͤnftigen ſich Religionen erdacht.
Es waͤre ihm damals vorgekommen, als wenn Boulan-
ger das alles ſehr richtig aus der Geſchichte bewieſen
haͤtte. Wenn Sie geglaubt haben, antwortete ich ihm,
daß Sie ſich auf Bonlangers Treu und Glauben, auf
ſeine Kenntniß der Geſchichte, der Alterthuͤmer und der
Sprachen verlaſſen duͤrften, ſo haben Sie ſehr Unrecht

gehabt.
J 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0143" n="131"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
vernu&#x0364;nftigen Ge&#x017F;cho&#x0364;pfen gegeben hat. Jemehr eine ge-<lb/>
&#x017F;unde ge&#x017F;etzte Vernunft &#x017F;ie pru&#x0364;ft, je mehr muß &#x017F;ie gewin-<lb/>
nen. Wenn man nur alles das, was Men&#x017F;chen in die<lb/>
Religion hineingetragen haben, von den Kanzeln und<lb/>
aus den Lehrbu&#x0364;chern wegließe, &#x017F;o wu&#x0364;rden die Waffen<lb/>
der Freygei&#x017F;ter fa&#x017F;t alle &#x017F;tumpf werden. Jch erinnere<lb/>
mich &#x017F;ehr lebhaft daran, wie &#x017F;ehr ich durch manche, ohne<lb/>
Zweifel gut gemeynte Predigten, die ich in H. geho&#x0364;rt,<lb/>
in meinem Unglauben ge&#x017F;ta&#x0364;rkt worden bin. Jch fu&#x0364;hlte<lb/>
es zu &#x017F;ehr, daß das nicht lauter von Gott geoffenbahrte<lb/>
Wahrheiten &#x017F;eyn ko&#x0364;nnten, was mir da ge&#x017F;agt ward, ob<lb/>
man es gleich mit der gro&#x0364;ße&#x017F;ten Zuver&#x017F;ichtlichkeit dafu&#x0364;r<lb/>
ausgab. u. &#x017F;. w.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Dreyzehende Unterredung, den 25&#x017F;ten Ma&#x0364;rz.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">J</hi>ch konnte die&#x017F;esmahl nur eine kurze Zeit bey dem<lb/>
Grafen bleiben. Jch finde nur folgendes von un&#x017F;e-<lb/>
rer Unterredung anmerkungswu&#x0364;rdig.</p><lb/>
        <p>Zu &#x017F;einen ehemaligen Einwu&#x0364;rfen gegen die Re-<lb/>
ligion, &#x017F;agte er, habe auch die Meynung des Boulanger<lb/>
in &#x017F;einer <hi rendition="#aq">antiquité devoilée</hi> geho&#x0364;rt, daß die Furcht<lb/>
der Ur&#x017F;prung aller Religion bey den alten Vo&#x0364;lkern gewe-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;ey. Die Men&#x017F;chen ha&#x0364;tten Erdbeben, Feuersbru&#x0364;n&#x017F;te,<lb/>
Ueber&#x017F;chwemmungen, Krieg, Seuchen, lauter Uebel,<lb/>
die &#x017F;ie aus ganz natu&#x0364;rlichen Ur&#x017F;achen ha&#x0364;tten erkla&#x0364;ren<lb/>
&#x017F;ollen, fu&#x0364;r Gerichte der Go&#x0364;tter gehalten, und um den<lb/>
Zorn der&#x017F;elben zu be&#x017F;a&#x0364;nftigen &#x017F;ich Religionen erdacht.<lb/>
Es wa&#x0364;re ihm damals vorgekommen, als wenn Boulan-<lb/>
ger das alles &#x017F;ehr richtig aus der Ge&#x017F;chichte bewie&#x017F;en<lb/>
ha&#x0364;tte. Wenn Sie geglaubt haben, antwortete ich ihm,<lb/>
daß Sie &#x017F;ich auf Bonlangers Treu und Glauben, auf<lb/>
&#x017F;eine Kenntniß der Ge&#x017F;chichte, der Alterthu&#x0364;mer und der<lb/>
Sprachen verla&#x017F;&#x017F;en du&#x0364;rften, &#x017F;o haben Sie &#x017F;ehr Unrecht<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J 2</fw><fw place="bottom" type="catch">gehabt.</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[131/0143] vernuͤnftigen Geſchoͤpfen gegeben hat. Jemehr eine ge- ſunde geſetzte Vernunft ſie pruͤft, je mehr muß ſie gewin- nen. Wenn man nur alles das, was Menſchen in die Religion hineingetragen haben, von den Kanzeln und aus den Lehrbuͤchern wegließe, ſo wuͤrden die Waffen der Freygeiſter faſt alle ſtumpf werden. Jch erinnere mich ſehr lebhaft daran, wie ſehr ich durch manche, ohne Zweifel gut gemeynte Predigten, die ich in H. gehoͤrt, in meinem Unglauben geſtaͤrkt worden bin. Jch fuͤhlte es zu ſehr, daß das nicht lauter von Gott geoffenbahrte Wahrheiten ſeyn koͤnnten, was mir da geſagt ward, ob man es gleich mit der groͤßeſten Zuverſichtlichkeit dafuͤr ausgab. u. ſ. w. Dreyzehende Unterredung, den 25ſten Maͤrz. Jch konnte dieſesmahl nur eine kurze Zeit bey dem Grafen bleiben. Jch finde nur folgendes von unſe- rer Unterredung anmerkungswuͤrdig. Zu ſeinen ehemaligen Einwuͤrfen gegen die Re- ligion, ſagte er, habe auch die Meynung des Boulanger in ſeiner antiquité devoilée gehoͤrt, daß die Furcht der Urſprung aller Religion bey den alten Voͤlkern gewe- ſen ſey. Die Menſchen haͤtten Erdbeben, Feuersbruͤnſte, Ueberſchwemmungen, Krieg, Seuchen, lauter Uebel, die ſie aus ganz natuͤrlichen Urſachen haͤtten erklaͤren ſollen, fuͤr Gerichte der Goͤtter gehalten, und um den Zorn derſelben zu beſaͤnftigen ſich Religionen erdacht. Es waͤre ihm damals vorgekommen, als wenn Boulan- ger das alles ſehr richtig aus der Geſchichte bewieſen haͤtte. Wenn Sie geglaubt haben, antwortete ich ihm, daß Sie ſich auf Bonlangers Treu und Glauben, auf ſeine Kenntniß der Geſchichte, der Alterthuͤmer und der Sprachen verlaſſen duͤrften, ſo haben Sie ſehr Unrecht gehabt. J 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/143
Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/143>, abgerufen am 03.12.2024.