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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

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geben. Die gleichzeitigen, die im Raume
getrennten und in demselben Moment über die
ganze Erde verstreueten werden von der Natur
gewaltig verknüpft durch das Geschlechtsverhält-
niß, durch die Geschlechtsliebe; die in der
Zeit getrennten, auf derselben Stelle der Welt
einander ablösenden -- gleichräumigen habe
ich sie genannt -- werden verbunden durch eine
andre, ganz entgegengesetzte Art der Liebe, durch
die Liebe, welche das Kleinere und Größere, das
Schwächere und Stärkere an einander knüpft,
und welche in der Familie ihr ewiges Muster an
der kindlichen Liebe zu dem hülflosen Alter
und zu der hülflosen Kindheit hat. Wiewohl
sich nun sagen läßt, daß es, außer der Ge-
schlechtsliebe, unter den gleichzeitigen Menschen
noch andre eben so natürliche Bande der Nei-
gung, der Freundschaft, des gegenseitigen Be-
dürfnisses gebe, eben so, außer der kindlichen
Liebe, unter den auf einander Folgenden noch
die Bande der Unterthanen und Dienenden mit
den Herren und Patriarchen, u. s. w.: so sind
doch alle diese Verbindungen spätere, abgeleitete,
dem Wechsel der Formen und der Willkühr der
Menschen mehr unterworfene, hingegen die Ban-
de der Geschlechtsliebe und der kindlichen Liebe
allenthalben und zu allen Zeiten von gleicher un-

um-

geben. Die gleichzeitigen, die im Raume
getrennten und in demſelben Moment uͤber die
ganze Erde verſtreueten werden von der Natur
gewaltig verknuͤpft durch das Geſchlechtsverhaͤlt-
niß, durch die Geſchlechtsliebe; die in der
Zeit getrennten, auf derſelben Stelle der Welt
einander abloͤſenden — gleichraͤumigen habe
ich ſie genannt — werden verbunden durch eine
andre, ganz entgegengeſetzte Art der Liebe, durch
die Liebe, welche das Kleinere und Groͤßere, das
Schwaͤchere und Staͤrkere an einander knuͤpft,
und welche in der Familie ihr ewiges Muſter an
der kindlichen Liebe zu dem huͤlfloſen Alter
und zu der huͤlfloſen Kindheit hat. Wiewohl
ſich nun ſagen laͤßt, daß es, außer der Ge-
ſchlechtsliebe, unter den gleichzeitigen Menſchen
noch andre eben ſo natuͤrliche Bande der Nei-
gung, der Freundſchaft, des gegenſeitigen Be-
duͤrfniſſes gebe, eben ſo, außer der kindlichen
Liebe, unter den auf einander Folgenden noch
die Bande der Unterthanen und Dienenden mit
den Herren und Patriarchen, u. ſ. w.: ſo ſind
doch alle dieſe Verbindungen ſpaͤtere, abgeleitete,
dem Wechſel der Formen und der Willkuͤhr der
Menſchen mehr unterworfene, hingegen die Ban-
de der Geſchlechtsliebe und der kindlichen Liebe
allenthalben und zu allen Zeiten von gleicher un-

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[64/0072] geben. Die gleichzeitigen, die im Raume getrennten und in demſelben Moment uͤber die ganze Erde verſtreueten werden von der Natur gewaltig verknuͤpft durch das Geſchlechtsverhaͤlt- niß, durch die Geſchlechtsliebe; die in der Zeit getrennten, auf derſelben Stelle der Welt einander abloͤſenden — gleichraͤumigen habe ich ſie genannt — werden verbunden durch eine andre, ganz entgegengeſetzte Art der Liebe, durch die Liebe, welche das Kleinere und Groͤßere, das Schwaͤchere und Staͤrkere an einander knuͤpft, und welche in der Familie ihr ewiges Muſter an der kindlichen Liebe zu dem huͤlfloſen Alter und zu der huͤlfloſen Kindheit hat. Wiewohl ſich nun ſagen laͤßt, daß es, außer der Ge- ſchlechtsliebe, unter den gleichzeitigen Menſchen noch andre eben ſo natuͤrliche Bande der Nei- gung, der Freundſchaft, des gegenſeitigen Be- duͤrfniſſes gebe, eben ſo, außer der kindlichen Liebe, unter den auf einander Folgenden noch die Bande der Unterthanen und Dienenden mit den Herren und Patriarchen, u. ſ. w.: ſo ſind doch alle dieſe Verbindungen ſpaͤtere, abgeleitete, dem Wechſel der Formen und der Willkuͤhr der Menſchen mehr unterworfene, hingegen die Ban- de der Geſchlechtsliebe und der kindlichen Liebe allenthalben und zu allen Zeiten von gleicher un- um-

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/72>, abgerufen am 26.04.2024.