Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

wäre, der nichts so fürchtet, als die leidenschaftliche
und stürmische Eile der Menge im Beschließen und
Entscheiden. -- Den Sinn der Lykurgischen Rhetra
giebt auch Tyrtäos in den Versen wieder, deren An-
fang wir oben schon angeführt haben: Herrschen im
Rathschluß sollen die götterbegnadeten Fürsten, Denen
die herrliche Stadt Sparta zur Pflege vertraut; Die
ehrwürdigen Alten und dann auch die Männer des
Volkes, So entgegnen geziemt graden und einfachen
Spruch (eutheiais Retrais antapameibomenous) 1.
Tyrtäos will damit sagen, daß die Volksversammlung
auf den Gesetzvorschlag der Obrigkeiten direkt ant-
worten, nicht aber ausweichen und an ihm ändern
solle.

9.

Der gewöhnliche Name der Volksversammlung
bei den Doriern war Alia. So heißt die Spartia-
tische bei Herodot 2, so in Urkunden die von Byzanz 3,
von Gela, Akragas 4, Korkyra 5, Herakleia 6, aliaia
die der Tarantiner 7 und Epidamnier 8; der Ort der
Versammlung bei den Sicilischen Doriern aliakter 9.
In Kreta hieß sie mit dem alten Homerischen Ausdrucke
agora 10. In Sparta scheinen besonders die Namen
ekklesia und oi ekkletoi gebräuchlich gewesen, die
an sich so wenig wie zu Athen den Begriff eines
Ausschusses anzeigen 11, obgleich allerdings in andern

1 vgl. Franck p. 173. der eutheias gnomas corrigirt, ich
glaube, ohne Noth.
2 7, 134.
3 Demosth. vom Kranz
S. 225.
4 Castelli Inscr. Sic. p. 79. 84. Gruter p. 401.
5 Dodwell Trav. 1. p. 503. Böckh Staatsh. a. S. 403 ff.
6 alia katakletos (vgl. Schömann de comit. p. 29.) Tab.
Heracl. p. 154. 260. ed. Maz.
vgl. Ind. p. 281.
7 Hesych.
8 Arist. Pol. 5, 1, 6.
9 Hesych. Die Attische eliaia ist
dasselbe Wort.
10 Lex. Rhet. Bekker S. 210. In den
Inschr. bei Chishull steht indeß immer ekklesia.
11 Der
eiothos xullogos bei Thuk. 1, 67. verhandelt mit den summa-

waͤre, der nichts ſo fuͤrchtet, als die leidenſchaftliche
und ſtuͤrmiſche Eile der Menge im Beſchließen und
Entſcheiden. — Den Sinn der Lykurgiſchen Rhetra
giebt auch Tyrtaͤos in den Verſen wieder, deren An-
fang wir oben ſchon angefuͤhrt haben: Herrſchen im
Rathſchluß ſollen die goͤtterbegnadeten Fuͤrſten, Denen
die herrliche Stadt Sparta zur Pflege vertraut; Die
ehrwuͤrdigen Alten und dann auch die Maͤnner des
Volkes, So entgegnen geziemt graden und einfachen
Spruch (εὐθείαις ῥήτραις ἀνταπαμειβομένους) 1.
Tyrtaͤos will damit ſagen, daß die Volksverſammlung
auf den Geſetzvorſchlag der Obrigkeiten direkt ant-
worten, nicht aber ausweichen und an ihm aͤndern
ſolle.

9.

Der gewoͤhnliche Name der Volksverſammlung
bei den Doriern war Ἁλία. So heißt die Spartia-
tiſche bei Herodot 2, ſo in Urkunden die von Byzanz 3,
von Gela, Akragas 4, Korkyra 5, Herakleia 6, ἁλιαῖα
die der Tarantiner 7 und Epidamnier 8; der Ort der
Verſammlung bei den Siciliſchen Doriern ἁλιακτήρ 9.
In Kreta hieß ſie mit dem alten Homeriſchen Ausdrucke
ἀγοϱά 10. In Sparta ſcheinen beſonders die Namen
ἐκκλησία und οἰ ἔκκλητοι gebraͤuchlich geweſen, die
an ſich ſo wenig wie zu Athen den Begriff eines
Ausſchuſſes anzeigen 11, obgleich allerdings in andern

1 vgl. Franck p. 173. der εὐθείας γνὠμας corrigirt, ich
glaube, ohne Noth.
2 7, 134.
3 Demoſth. vom Kranz
S. 225.
4 Caſtelli Inscr. Sic. p. 79. 84. Gruter p. 401.
5 Dodwell Trav. 1. p. 503. Boͤckh Staatsh. a. S. 403 ff.
6 ἀλία κατάκλητος (vgl. Schoͤmann de comit. p. 29.) Tab.
Heracl. p. 154. 260. ed. Maz.
vgl. Ind. p. 281.
7 Heſych.
8 Ariſt. Pol. 5, 1, 6.
9 Heſych. Die Attiſche ἡλιαία iſt
daſſelbe Wort.
10 Lex. Rhet. Bekker S. 210. In den
Inſchr. bei Chishull ſteht indeß immer ἐκκλησία.
11 Der
εἰωϑὼς ξὐλλογος bei Thuk. 1, 67. verhandelt mit den συμμά-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0092" n="86"/>
wa&#x0364;re, der nichts &#x017F;o fu&#x0364;rchtet, als die leiden&#x017F;chaftliche<lb/>
und &#x017F;tu&#x0364;rmi&#x017F;che Eile der Menge im Be&#x017F;chließen und<lb/>
Ent&#x017F;cheiden. &#x2014; Den Sinn der Lykurgi&#x017F;chen Rhetra<lb/>
giebt auch Tyrta&#x0364;os in den Ver&#x017F;en wieder, deren An-<lb/>
fang wir oben &#x017F;chon angefu&#x0364;hrt haben: Herr&#x017F;chen im<lb/>
Rath&#x017F;chluß &#x017F;ollen die go&#x0364;tterbegnadeten Fu&#x0364;r&#x017F;ten, Denen<lb/>
die herrliche Stadt Sparta zur Pflege vertraut; Die<lb/>
ehrwu&#x0364;rdigen Alten und dann auch die Ma&#x0364;nner des<lb/>
Volkes, So entgegnen geziemt graden und einfachen<lb/>
Spruch (&#x03B5;&#x1F50;&#x03B8;&#x03B5;&#x03AF;&#x03B1;&#x03B9;&#x03C2; &#x1FE5;&#x03AE;&#x03C4;&#x03C1;&#x03B1;&#x03B9;&#x03C2; &#x1F00;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B1;&#x03C0;&#x03B1;&#x03BC;&#x03B5;&#x03B9;&#x03B2;&#x03BF;&#x03BC;&#x03AD;&#x03BD;&#x03BF;&#x03C5;&#x03C2;) <note place="foot" n="1">vgl. Franck <hi rendition="#aq">p.</hi> 173. der &#x03B5;&#x1F50;&#x03B8;&#x03B5;&#x03AF;&#x03B1;&#x03C2; &#x03B3;&#x03BD;&#x1F60;&#x03BC;&#x03B1;&#x03C2; corrigirt, ich<lb/>
glaube, ohne Noth.</note>.<lb/>
Tyrta&#x0364;os will damit &#x017F;agen, daß die Volksver&#x017F;ammlung<lb/>
auf den Ge&#x017F;etzvor&#x017F;chlag der Obrigkeiten <hi rendition="#g">direkt</hi> ant-<lb/>
worten, nicht aber ausweichen und an ihm a&#x0364;ndern<lb/>
&#x017F;olle.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>9.</head><lb/>
            <p>Der gewo&#x0364;hnliche Name der Volksver&#x017F;ammlung<lb/>
bei den Doriern war <hi rendition="#g">&#x1F09;&#x03BB;&#x03AF;&#x03B1;</hi>. So heißt die Spartia-<lb/>
ti&#x017F;che bei Herodot <note place="foot" n="2">7, 134.</note>, &#x017F;o in Urkunden die von Byzanz <note place="foot" n="3">Demo&#x017F;th. vom Kranz<lb/>
S. 225.</note>,<lb/>
von Gela, Akragas <note place="foot" n="4">Ca&#x017F;telli <hi rendition="#aq">Inscr. Sic. p.</hi> 79. 84. Gruter <hi rendition="#aq">p.</hi> 401.</note>, Korkyra <note place="foot" n="5">Dodwell <hi rendition="#aq">Trav. 1. p.</hi> 503. Bo&#x0364;ckh Staatsh. <hi rendition="#aq">a.</hi> S. 403 ff.</note>, Herakleia <note place="foot" n="6">&#x1F00;&#x03BB;&#x03AF;&#x03B1; &#x03BA;&#x03B1;&#x03C4;&#x03AC;&#x03BA;&#x03BB;&#x03B7;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C2; (vgl. Scho&#x0364;mann <hi rendition="#aq">de comit. p. 29.) Tab.<lb/>
Heracl. p. 154. 260. ed. Maz.</hi> vgl. <hi rendition="#aq">Ind. p.</hi> 281.</note>, &#x1F01;&#x03BB;&#x03B9;&#x03B1;&#x1FD6;&#x03B1;<lb/>
die der Tarantiner <note place="foot" n="7">He&#x017F;ych.</note> und Epidamnier <note place="foot" n="8">Ari&#x017F;t. Pol. 5, 1, 6.</note>; der Ort der<lb/>
Ver&#x017F;ammlung bei den Sicili&#x017F;chen Doriern &#x1F01;&#x03BB;&#x03B9;&#x03B1;&#x03BA;&#x03C4;&#x03AE;&#x03C1; <note place="foot" n="9">He&#x017F;ych. Die Atti&#x017F;che &#x1F21;&#x03BB;&#x03B9;&#x03B1;&#x03AF;&#x03B1; i&#x017F;t<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe Wort.</note>.<lb/>
In Kreta hieß &#x017F;ie mit dem alten Homeri&#x017F;chen Ausdrucke<lb/>
&#x1F00;&#x03B3;&#x03BF;&#x03F1;&#x03AC; <note place="foot" n="10"><hi rendition="#aq">Lex. Rhet.</hi> Bekker S. 210. In den<lb/>
In&#x017F;chr. bei Chishull &#x017F;teht indeß immer &#x1F10;&#x03BA;&#x03BA;&#x03BB;&#x03B7;&#x03C3;&#x03AF;&#x03B1;.</note>. In Sparta &#x017F;cheinen be&#x017F;onders die Namen<lb/>
&#x1F10;&#x03BA;&#x03BA;&#x03BB;&#x03B7;&#x03C3;&#x03AF;&#x03B1; und &#x03BF;&#x1F30; &#x1F14;&#x03BA;&#x03BA;&#x03BB;&#x03B7;&#x03C4;&#x03BF;&#x03B9; gebra&#x0364;uchlich gewe&#x017F;en, die<lb/>
an &#x017F;ich &#x017F;o wenig wie zu Athen den Begriff eines<lb/>
Aus&#x017F;chu&#x017F;&#x017F;es anzeigen <note xml:id="seg2pn_10_1" next="#seg2pn_10_2" place="foot" n="11">Der<lb/><hi rendition="#g">&#x03B5;&#x1F30;&#x03C9;&#x03D1;&#x1F7C;&#x03C2; &#x03BE;&#x1F50;&#x03BB;&#x03BB;&#x03BF;&#x03B3;&#x03BF;&#x03C2;</hi> bei Thuk. 1, 67. verhandelt mit den &#x03C3;&#x03C5;&#x03BC;&#x03BC;&#x03AC;-</note>, obgleich allerdings in andern<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0092] waͤre, der nichts ſo fuͤrchtet, als die leidenſchaftliche und ſtuͤrmiſche Eile der Menge im Beſchließen und Entſcheiden. — Den Sinn der Lykurgiſchen Rhetra giebt auch Tyrtaͤos in den Verſen wieder, deren An- fang wir oben ſchon angefuͤhrt haben: Herrſchen im Rathſchluß ſollen die goͤtterbegnadeten Fuͤrſten, Denen die herrliche Stadt Sparta zur Pflege vertraut; Die ehrwuͤrdigen Alten und dann auch die Maͤnner des Volkes, So entgegnen geziemt graden und einfachen Spruch (εὐθείαις ῥήτραις ἀνταπαμειβομένους) 1. Tyrtaͤos will damit ſagen, daß die Volksverſammlung auf den Geſetzvorſchlag der Obrigkeiten direkt ant- worten, nicht aber ausweichen und an ihm aͤndern ſolle. 9. Der gewoͤhnliche Name der Volksverſammlung bei den Doriern war Ἁλία. So heißt die Spartia- tiſche bei Herodot 2, ſo in Urkunden die von Byzanz 3, von Gela, Akragas 4, Korkyra 5, Herakleia 6, ἁλιαῖα die der Tarantiner 7 und Epidamnier 8; der Ort der Verſammlung bei den Siciliſchen Doriern ἁλιακτήρ 9. In Kreta hieß ſie mit dem alten Homeriſchen Ausdrucke ἀγοϱά 10. In Sparta ſcheinen beſonders die Namen ἐκκλησία und οἰ ἔκκλητοι gebraͤuchlich geweſen, die an ſich ſo wenig wie zu Athen den Begriff eines Ausſchuſſes anzeigen 11, obgleich allerdings in andern 1 vgl. Franck p. 173. der εὐθείας γνὠμας corrigirt, ich glaube, ohne Noth. 2 7, 134. 3 Demoſth. vom Kranz S. 225. 4 Caſtelli Inscr. Sic. p. 79. 84. Gruter p. 401. 5 Dodwell Trav. 1. p. 503. Boͤckh Staatsh. a. S. 403 ff. 6 ἀλία κατάκλητος (vgl. Schoͤmann de comit. p. 29.) Tab. Heracl. p. 154. 260. ed. Maz. vgl. Ind. p. 281. 7 Heſych. 8 Ariſt. Pol. 5, 1, 6. 9 Heſych. Die Attiſche ἡλιαία iſt daſſelbe Wort. 10 Lex. Rhet. Bekker S. 210. In den Inſchr. bei Chishull ſteht indeß immer ἐκκλησία. 11 Der εἰωϑὼς ξὐλλογος bei Thuk. 1, 67. verhandelt mit den συμμά-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/92
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/92>, abgerufen am 03.12.2024.