ge, und nie ohne die evidentesten Beweise; dagegen konnte auch der Losgesprochene stets wieder von neuem zur Untersuchung gezogen werden 1. -- Ungeachtet dieser Scheu waren doch die Strafen der altgriechi- schen Staaten strenger und härter als in der Attischen Zeit. Drakons Schärfe, die, vom Objecte einer Hand- lung absehend, die Handlung an sich überall mit glei- cher Schwere ahndete, schreibt der Redner Lykurg den alten Gesetzgebern überhaupt zu 2. -- Sie entsprang zum Theil eben daraus, daß man keinen privatrechtli- chen, sondern den Gesichtspunkt des öffentlichen Rechts nahm, und nicht die Verletzung des Eigenthums oder der Ruhe eines Einzelnen, sondern der allgemeinen Sitte strafte. So richtete das alte Tenedische Recht, wel- ches ich mit der Apolloreligion daselbst für Kretisch halte, den Ehebrecher mit dem Beil 3, Zaleukos strafte ihn mit Verlust eines Auges 4, auch in Sparta wurde dies Verbrechen ungemein hart geahndet 5.
5.
Ueber die Bestrafung des Todschlags hatten die Griechen, und wahrscheinlich besonders die Dorier, ihre Gesetze von Delphi erhalten: indem diese gänzlich auf dem alten Institut der Sühne beruhten, das zu- erst die unersättlich wüthende Blutrache ermäßigte, ihr
1 Plut. Lak. Apophth. p. 197. vgl. Thuk. 1, 132.
2 g. Leokr. 183.
3 Herakl. Pont. 7. Miscell. Lips. nova T. 10, 3. p. 392. de Tenedia securi. Vgl. auch die Geschichte bei Nikol. Damasc. (Bd. 2. S. 220, 3.) und was von der Strafe des moikhos zu Gortyna Aelian V. G. 12, 12. Kretisch von Ursprung, gewiß nicht Jonisch, sind nach meiner Meinung auch die wunderbar stren- gen Sittengesetze von Keos. S. Aeginet. p. 132. u. Jacobs ad Meleag. Anthol. Palat. 1. p. 449. Meineke ad Menandr. frgm. 135. p. 237.
4 Aelian V. G. 13, 24. Val. Max. 6, 5, 3.
5 S. unten B. 4, 3. Vgl. auch die schimpßi- chen Strafen des Ehebruchs zu Kyme, Plut. Qu. Gr. 2. p. 378 H. und zu Lepreon, Herakl. Pont. 14.
ge, und nie ohne die evidenteſten Beweiſe; dagegen konnte auch der Losgeſprochene ſtets wieder von neuem zur Unterſuchung gezogen werden 1. — Ungeachtet dieſer Scheu waren doch die Strafen der altgriechi- ſchen Staaten ſtrenger und haͤrter als in der Attiſchen Zeit. Drakons Schaͤrfe, die, vom Objecte einer Hand- lung abſehend, die Handlung an ſich uͤberall mit glei- cher Schwere ahndete, ſchreibt der Redner Lykurg den alten Geſetzgebern uͤberhaupt zu 2. — Sie entſprang zum Theil eben daraus, daß man keinen privatrechtli- chen, ſondern den Geſichtspunkt des oͤffentlichen Rechts nahm, und nicht die Verletzung des Eigenthums oder der Ruhe eines Einzelnen, ſondern der allgemeinen Sitte ſtrafte. So richtete das alte Tenediſche Recht, wel- ches ich mit der Apolloreligion daſelbſt fuͤr Kretiſch halte, den Ehebrecher mit dem Beil 3, Zaleukos ſtrafte ihn mit Verluſt eines Auges 4, auch in Sparta wurde dies Verbrechen ungemein hart geahndet 5.
5.
Ueber die Beſtrafung des Todſchlags hatten die Griechen, und wahrſcheinlich beſonders die Dorier, ihre Geſetze von Delphi erhalten: indem dieſe gaͤnzlich auf dem alten Inſtitut der Suͤhne beruhten, das zu- erſt die unerſaͤttlich wuͤthende Blutrache ermaͤßigte, ihr
1 Plut. Lak. Apophth. p. 197. vgl. Thuk. 1, 132.
2 g. Leokr. 183.
3 Herakl. Pont. 7. Miscell. Lips. nova T. 10, 3. p. 392. de Tenedia securi. Vgl. auch die Geſchichte bei Nikol. Damaſc. (Bd. 2. S. 220, 3.) und was von der Strafe des μοιχὸς zu Gortyna Aelian V. G. 12, 12. Kretiſch von Urſprung, gewiß nicht Joniſch, ſind nach meiner Meinung auch die wunderbar ſtren- gen Sittengeſetze von Keos. S. Aeginet. p. 132. u. Jacobs ad Meleag. Anthol. Palat. 1. p. 449. Meineke ad Menandr. frgm. 135. p. 237.
4 Aelian V. G. 13, 24. Val. Max. 6, 5, 3.
5 S. unten B. 4, 3. Vgl. auch die ſchimpßi- chen Strafen des Ehebruchs zu Kyme, Plut. Qu. Gr. 2. p. 378 H. und zu Lepreon, Herakl. Pont. 14.
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konnte auch der Losgeſprochene ſtets wieder von neuem
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dieſer Scheu waren doch die Strafen der altgriechi-
ſchen Staaten ſtrenger und haͤrter als in der Attiſchen
Zeit. Drakons Schaͤrfe, die, vom Objecte einer Hand-
lung abſehend, die Handlung an ſich uͤberall mit glei-
cher Schwere ahndete, ſchreibt der Redner Lykurg den
alten Geſetzgebern uͤberhaupt zu 2. — Sie entſprang
zum Theil eben daraus, daß man keinen privatrechtli-
chen, ſondern den Geſichtspunkt des oͤffentlichen Rechts
nahm, und nicht die Verletzung des Eigenthums oder der
Ruhe eines Einzelnen, ſondern der allgemeinen Sitte
ſtrafte. So richtete das alte Tenediſche Recht, wel-
ches ich mit der Apolloreligion daſelbſt fuͤr Kretiſch
halte, den Ehebrecher mit dem Beil 3, Zaleukos ſtrafte
ihn mit Verluſt eines Auges 4, auch in Sparta wurde
dies Verbrechen ungemein hart geahndet 5.
5.
Ueber die Beſtrafung des Todſchlags hatten
die Griechen, und wahrſcheinlich beſonders die Dorier,
ihre Geſetze von Delphi erhalten: indem dieſe gaͤnzlich
auf dem alten Inſtitut der Suͤhne beruhten, das zu-
erſt die unerſaͤttlich wuͤthende Blutrache ermaͤßigte, ihr
1 Plut. Lak. Apophth. p. 197. vgl. Thuk. 1, 132.
2 g.
Leokr. 183.
3 Herakl. Pont. 7. Miscell. Lips. nova T. 10, 3.
p. 392. de Tenedia securi. Vgl. auch die Geſchichte bei Nikol.
Damaſc. (Bd. 2. S. 220, 3.) und was von der Strafe des μοιχὸς
zu Gortyna Aelian V. G. 12, 12. Kretiſch von Urſprung, gewiß
nicht Joniſch, ſind nach meiner Meinung auch die wunderbar ſtren-
gen Sittengeſetze von Keos. S. Aeginet. p. 132. u. Jacobs ad
Meleag. Anthol. Palat. 1. p. 449. Meineke ad Menandr.
frgm. 135. p. 237.
4 Aelian V. G. 13, 24. Val. Max.
6, 5, 3.
5 S. unten B. 4, 3. Vgl. auch die ſchimpßi-
chen Strafen des Ehebruchs zu Kyme, Plut. Qu. Gr. 2. p. 378
H. und zu Lepreon, Herakl. Pont. 14.
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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/232>, abgerufen am 03.03.2025.
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