nach Athen verpflanzt worden -- als Lysandros die dreißig Männer ernannte, welche ein gesetzgebendes Corps und zugleich das höchste Gericht Athens sein sollten; mit wie wenig Glück ist bekannt; so wahr ist es, daß jedes Institut nur auf dem Boden, in dem es wurzelt, gedeihlich wirken kann.
4.
Es ist kein Zweifel, daß eine Gerusie vor Alters in jedem Dorischen Staate war, aber nur in Kreta haben sich noch Nachrichten von ihr erhalten, welche sie ganz auf denselben Punkt stellen, wie die Spartiatische. Sie war dort mit hoher politischer und legislativer Macht bekleidet, und legte ihre Beschlüsse, schon fertig und abgeschlossen, der Volksgemeine zur Bestätigung und Verwerfung vor 1. Sie entschied, ebenfalls durch geschriebene Gesetze ungebunden, nach eigenem besten Dafürhalten, und Niemandem darum verantwortlich 2. Die Mitglieder wurden gewählt aus den Männern, welche schon die höchsten Magistrate (der Kosmen) verwaltet hatten, doch erst nach neuer Prüfung ihrer Würdigkeit 3. Das Amt war lebens- länglich, wie zu Sparta 4; der Princeps Senatus heiß boules preigistos 5.
Auch in Elis, dessen Verfassung der Spartiati- schen analog, bestand eine Gerusie als ein sehr wichti- ges Glied der Verfassung. Sie bestand aus neunzig Männern, die für ihre Lebenszeit aus oligarchischen Familien 6, aber sonst wie in Sparta, also wohl vom gesammten Volke gewählt wurden. Doch gab es dane- ben noch eine größere Versammlung von sechshun-
1 Ephor. bei Str. 10, 484. (Marx p. 171.) oben S. 90.
2 Arist. 2, 7, 5. Gewiß auch als Gericht.
3 Str. oi tes ton kosmon arkhes exiomenoi kai ta alla dokimoi kri- nomenoi. vgl. Arist. 2, 7, 5.
4 Arist. a. O.
5 bei Montfaucon a. O.
6 Arist. 5, 5, 8.
nach Athen verpflanzt worden — als Lyſandros die dreißig Maͤnner ernannte, welche ein geſetzgebendes Corps und zugleich das hoͤchſte Gericht Athens ſein ſollten; mit wie wenig Gluͤck iſt bekannt; ſo wahr iſt es, daß jedes Inſtitut nur auf dem Boden, in dem es wurzelt, gedeihlich wirken kann.
4.
Es iſt kein Zweifel, daß eine Geruſie vor Alters in jedem Doriſchen Staate war, aber nur in Kreta haben ſich noch Nachrichten von ihr erhalten, welche ſie ganz auf denſelben Punkt ſtellen, wie die Spartiatiſche. Sie war dort mit hoher politiſcher und legislativer Macht bekleidet, und legte ihre Beſchluͤſſe, ſchon fertig und abgeſchloſſen, der Volksgemeine zur Beſtaͤtigung und Verwerfung vor 1. Sie entſchied, ebenfalls durch geſchriebene Geſetze ungebunden, nach eigenem beſten Dafuͤrhalten, und Niemandem darum verantwortlich 2. Die Mitglieder wurden gewaͤhlt aus den Maͤnnern, welche ſchon die hoͤchſten Magiſtrate (der Kosmen) verwaltet hatten, doch erſt nach neuer Pruͤfung ihrer Wuͤrdigkeit 3. Das Amt war lebens- laͤnglich, wie zu Sparta 4; der Princeps Senatus heiß βουλῆς πρείγιστος 5.
Auch in Elis, deſſen Verfaſſung der Spartiati- ſchen analog, beſtand eine Geruſie als ein ſehr wichti- ges Glied der Verfaſſung. Sie beſtand aus neunzig Maͤnnern, die fuͤr ihre Lebenszeit aus oligarchiſchen Familien 6, aber ſonſt wie in Sparta, alſo wohl vom geſammten Volke gewaͤhlt wurden. Doch gab es dane- ben noch eine groͤßere Verſammlung von ſechshun-
1 Ephor. bei Str. 10, 484. (Marx p. 171.) oben S. 90.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0102"n="96"/>
nach Athen verpflanzt worden — als Lyſandros die<lb/>
dreißig Maͤnner ernannte, welche ein geſetzgebendes<lb/>
Corps und zugleich das hoͤchſte Gericht Athens ſein<lb/>ſollten; mit wie wenig Gluͤck iſt bekannt; ſo wahr iſt<lb/>
es, daß jedes Inſtitut nur auf dem Boden, in dem es<lb/>
wurzelt, gedeihlich wirken kann.</p></div><lb/><divn="3"><head>4.</head><lb/><p>Es iſt kein Zweifel, daß eine Geruſie vor<lb/>
Alters in jedem Doriſchen Staate war, aber nur in<lb/><hirendition="#g">Kreta</hi> haben ſich noch Nachrichten von ihr erhalten,<lb/>
welche ſie ganz auf denſelben Punkt ſtellen, wie die<lb/>
Spartiatiſche. Sie war dort mit hoher politiſcher und<lb/>
legislativer Macht bekleidet, und legte ihre Beſchluͤſſe,<lb/>ſchon fertig und abgeſchloſſen, der Volksgemeine zur<lb/>
Beſtaͤtigung und Verwerfung vor <noteplace="foot"n="1">Ephor. bei Str. 10, 484. (Marx <hirendition="#aq">p.</hi> 171.) oben S. 90.</note>. Sie entſchied,<lb/>
ebenfalls durch geſchriebene Geſetze ungebunden, nach<lb/>
eigenem beſten Dafuͤrhalten, und Niemandem darum<lb/>
verantwortlich <noteplace="foot"n="2">Ariſt. 2, 7, 5. Gewiß auch als Gericht.</note>. Die Mitglieder wurden gewaͤhlt aus<lb/>
den Maͤnnern, welche ſchon die hoͤchſten Magiſtrate<lb/>
(der Kosmen) verwaltet hatten, doch erſt nach neuer<lb/>
Pruͤfung ihrer Wuͤrdigkeit <noteplace="foot"n="3">Str. οἱτῆς<lb/>τῶνκόσμωνἀϱχῆςἠξιωμένοι<hirendition="#g">καὶτὰἄλλαδόκιμοικϱι-<lb/>νόμενοι</hi>. vgl. Ariſt. 2, 7, 5.</note>. Das Amt war lebens-<lb/>
laͤnglich, wie zu Sparta <noteplace="foot"n="4">Ariſt. a. O.</note>; der <hirendition="#aq">Princeps Senatus</hi><lb/>
heiß βουλῆςπρείγιστος<noteplace="foot"n="5">bei<lb/>
Montfaucon a. O.</note>.</p><lb/><p>Auch in <hirendition="#g">Elis</hi>, deſſen Verfaſſung der Spartiati-<lb/>ſchen analog, beſtand eine Geruſie als ein ſehr wichti-<lb/>
ges Glied der Verfaſſung. Sie beſtand aus neunzig<lb/>
Maͤnnern, die fuͤr ihre Lebenszeit aus oligarchiſchen<lb/>
Familien <noteplace="foot"n="6">Ariſt. 5, 5, 8.</note>, aber ſonſt wie in Sparta, alſo wohl vom<lb/>
geſammten Volke gewaͤhlt wurden. Doch gab es dane-<lb/>
ben noch eine groͤßere Verſammlung von ſechshun-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[96/0102]
nach Athen verpflanzt worden — als Lyſandros die
dreißig Maͤnner ernannte, welche ein geſetzgebendes
Corps und zugleich das hoͤchſte Gericht Athens ſein
ſollten; mit wie wenig Gluͤck iſt bekannt; ſo wahr iſt
es, daß jedes Inſtitut nur auf dem Boden, in dem es
wurzelt, gedeihlich wirken kann.
4.
Es iſt kein Zweifel, daß eine Geruſie vor
Alters in jedem Doriſchen Staate war, aber nur in
Kreta haben ſich noch Nachrichten von ihr erhalten,
welche ſie ganz auf denſelben Punkt ſtellen, wie die
Spartiatiſche. Sie war dort mit hoher politiſcher und
legislativer Macht bekleidet, und legte ihre Beſchluͤſſe,
ſchon fertig und abgeſchloſſen, der Volksgemeine zur
Beſtaͤtigung und Verwerfung vor 1. Sie entſchied,
ebenfalls durch geſchriebene Geſetze ungebunden, nach
eigenem beſten Dafuͤrhalten, und Niemandem darum
verantwortlich 2. Die Mitglieder wurden gewaͤhlt aus
den Maͤnnern, welche ſchon die hoͤchſten Magiſtrate
(der Kosmen) verwaltet hatten, doch erſt nach neuer
Pruͤfung ihrer Wuͤrdigkeit 3. Das Amt war lebens-
laͤnglich, wie zu Sparta 4; der Princeps Senatus
heiß βουλῆς πρείγιστος 5.
Auch in Elis, deſſen Verfaſſung der Spartiati-
ſchen analog, beſtand eine Geruſie als ein ſehr wichti-
ges Glied der Verfaſſung. Sie beſtand aus neunzig
Maͤnnern, die fuͤr ihre Lebenszeit aus oligarchiſchen
Familien 6, aber ſonſt wie in Sparta, alſo wohl vom
geſammten Volke gewaͤhlt wurden. Doch gab es dane-
ben noch eine groͤßere Verſammlung von ſechshun-
1 Ephor. bei Str. 10, 484. (Marx p. 171.) oben S. 90.
2 Ariſt. 2, 7, 5. Gewiß auch als Gericht.
3 Str. οἱ τῆς
τῶν κόσμων ἀϱχῆς ἠξιωμένοι καὶ τὰ ἄλλα δόκιμοι κϱι-
νόμενοι. vgl. Ariſt. 2, 7, 5.
4 Ariſt. a. O.
5 bei
Montfaucon a. O.
6 Ariſt. 5, 5, 8.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/102>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.