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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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führte auch den Namen "Brandgesicht" Aithopia 1, der
aus alter Symbolik zu deuten ist; Kallimachos zog ihn
auf den Mond. Mit der Brauronischen Küste aber
standen die Inseln Lemnos und Samothrake in engem
Connex, daher beide Aithiopia heißen 2. -- Als die
Jonier von Athen nach Asien zogen, brachten sie die
Verehrung der Munychischen Göttin nach Milet und
Kyzikos 3, und nach der erstern Stadt den damit ver-
wandten Cult der Artemis Chitone als Geburtsgöttin,
deren Holzbilder aus fruchtreichen Hölzern bestanden 4.

6.

Aber die Betrachtung der Attischen Artemi-
sien führt uns wieder auf eine andere Variation oder
Abart der unter dem Namen Artemis begriffenen Culte,
nämlich auf die Orthosia, Orthia oder auch Iphi-
geneia
genannte Göttin. Alles, was diese betrifft,
ist in ein seltsames Dunkel mystischer Fabeln gehüllt,
aber um desto lehrreicher zur Kenntniß der Genesis der
Mythologie überhaupt. Wir geben zuerst die Sagen
und Thatsachen, wie wir sie finden. In Attika war
Iphigeneia, von Taurien kommend, zu Brauron und
dem benachbarten Halae Araphenides gelandet, und
hatte das alte Schnitzbild der Göttin zurückgelassen 5.

1 S. Kallimach. (Fram. 417. Bentlei) und Eratosth. bei
Steph. B. Aithop. Hesych Aithiopaida.
2 Hesych Aithiopia.
Plin. 5, 39. Auch in Euböa war ein Aethiopion. Steph. B. zu schr.
khorion Ludias para `'Ullo kai plesion tou Euripou. vergl.
Hrpokr. Suid.
3 Böckh not. cr. ad Pind. O. 13, 109.
Dort auch ein Artemisfest Neleis, Plut. mul. virt. p. 287 H. Sie
hatte auch einen Tempel zu Pygela bei Ephesos, den Agamemnon
gebaut haben sollte. Str. 14, 639. Dort auf den Münzen, Mion-
net Dscr. T. 3. p. 186.
4 Kallim. Art. 225. Schol.
Kall. an Z. 77, Khitone Art. Steph. B., Jonisch kithonea (wohl
ee) Art. Hesych. Khitonea in Syrakus, Athen. 14, 619.
5 Paus.
1, 23, 9. 33, 1. vgl. 3, 17, 6. Eurip. T. 1462 ff. Kallim. Art.
173. Euphorion setzte, und nicht ohne Anlaß, auch das Opfer der
Iph. nach Brauron, Frgm. 81. Meinecke.

fuͤhrte auch den Namen “Brandgeſicht” Αἰϑοπἰα 1, der
aus alter Symbolik zu deuten iſt; Kallimachos zog ihn
auf den Mond. Mit der Brauroniſchen Kuͤſte aber
ſtanden die Inſeln Lemnos und Samothrake in engem
Connex, daher beide Αἰϑιοπία heißen 2. — Als die
Jonier von Athen nach Aſien zogen, brachten ſie die
Verehrung der Munychiſchen Goͤttin nach Milet und
Kyzikos 3, und nach der erſtern Stadt den damit ver-
wandten Cult der Artemis Chitone als Geburtsgoͤttin,
deren Holzbilder aus fruchtreichen Hoͤlzern beſtanden 4.

6.

Aber die Betrachtung der Attiſchen Artemi-
ſien fuͤhrt uns wieder auf eine andere Variation oder
Abart der unter dem Namen Artemis begriffenen Culte,
naͤmlich auf die Orthoſia, Orthia oder auch Iphi-
geneia
genannte Goͤttin. Alles, was dieſe betrifft,
iſt in ein ſeltſames Dunkel myſtiſcher Fabeln gehuͤllt,
aber um deſto lehrreicher zur Kenntniß der Geneſis der
Mythologie uͤberhaupt. Wir geben zuerſt die Sagen
und Thatſachen, wie wir ſie finden. In Attika war
Iphigeneia, von Taurien kommend, zu Brauron und
dem benachbarten Halae Araphenides gelandet, und
hatte das alte Schnitzbild der Goͤttin zuruͤckgelaſſen 5.

1 S. Kallimach. (Fram. 417. Bentlei) und Eratoſth. bei
Steph. B. Αἰϑοπ. Heſych Αἰϑιοπαῖδα.
2 Heſych Αἰϑιοπία.
Plin. 5, 39. Auch in Euboͤa war ein Aethiopion. Steph. B. zu ſchr.
χωϱίον Λυδίας παϱὰ ῞ϒλλῳ καὶ πλησίον τοῦ Εὐϱίπου. vergl.
Hrpokr. Suid.
3 Boͤckh not. cr. ad Pind. O. 13, 109.
Dort auch ein Artemisfeſt Νηληΐς, Plut. mul. virt. p. 287 H. Sie
hatte auch einen Tempel zu Pygela bei Epheſos, den Agamemnon
gebaut haben ſollte. Str. 14, 639. Dort auf den Muͤnzen, Mion-
net Dscr. T. 3. p. 186.
4 Kallim. Art. 225. Schol.
Kall. an Z. 77, Χιτώνη Ἀϱτ. Steph. B., Joniſch κιθωνέα (wohl
ἐη) Ἀϱτ. Heſych. Χιτωνέα in Syrakus, Athen. 14, 619.
5 Pauſ.
1, 23, 9. 33, 1. vgl. 3, 17, 6. Eurip. T. 1462 ff. Kallim. Art.
173. Euphorion ſetzte, und nicht ohne Anlaß, auch das Opfer der
Iph. nach Brauron, Frgm. 81. Meinecke.
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[381/0411] fuͤhrte auch den Namen “Brandgeſicht” Αἰϑοπἰα 1, der aus alter Symbolik zu deuten iſt; Kallimachos zog ihn auf den Mond. Mit der Brauroniſchen Kuͤſte aber ſtanden die Inſeln Lemnos und Samothrake in engem Connex, daher beide Αἰϑιοπία heißen 2. — Als die Jonier von Athen nach Aſien zogen, brachten ſie die Verehrung der Munychiſchen Goͤttin nach Milet und Kyzikos 3, und nach der erſtern Stadt den damit ver- wandten Cult der Artemis Chitone als Geburtsgoͤttin, deren Holzbilder aus fruchtreichen Hoͤlzern beſtanden 4. 6. Aber die Betrachtung der Attiſchen Artemi- ſien fuͤhrt uns wieder auf eine andere Variation oder Abart der unter dem Namen Artemis begriffenen Culte, naͤmlich auf die Orthoſia, Orthia oder auch Iphi- geneia genannte Goͤttin. Alles, was dieſe betrifft, iſt in ein ſeltſames Dunkel myſtiſcher Fabeln gehuͤllt, aber um deſto lehrreicher zur Kenntniß der Geneſis der Mythologie uͤberhaupt. Wir geben zuerſt die Sagen und Thatſachen, wie wir ſie finden. In Attika war Iphigeneia, von Taurien kommend, zu Brauron und dem benachbarten Halae Araphenides gelandet, und hatte das alte Schnitzbild der Goͤttin zuruͤckgelaſſen 5. 1 S. Kallimach. (Fram. 417. Bentlei) und Eratoſth. bei Steph. B. Αἰϑοπ. Heſych Αἰϑιοπαῖδα. 2 Heſych Αἰϑιοπία. Plin. 5, 39. Auch in Euboͤa war ein Aethiopion. Steph. B. zu ſchr. χωϱίον Λυδίας παϱὰ ῞ϒλλῳ καὶ πλησίον τοῦ Εὐϱίπου. vergl. Hrpokr. Suid. 3 Boͤckh not. cr. ad Pind. O. 13, 109. Dort auch ein Artemisfeſt Νηληΐς, Plut. mul. virt. p. 287 H. Sie hatte auch einen Tempel zu Pygela bei Epheſos, den Agamemnon gebaut haben ſollte. Str. 14, 639. Dort auf den Muͤnzen, Mion- net Dscr. T. 3. p. 186. 4 Kallim. Art. 225. Schol. Kall. an Z. 77, Χιτώνη Ἀϱτ. Steph. B., Joniſch κιθωνέα (wohl ἐη) Ἀϱτ. Heſych. Χιτωνέα in Syrakus, Athen. 14, 619. 5 Pauſ. 1, 23, 9. 33, 1. vgl. 3, 17, 6. Eurip. T. 1462 ff. Kallim. Art. 173. Euphorion ſetzte, und nicht ohne Anlaß, auch das Opfer der Iph. nach Brauron, Frgm. 81. Meinecke.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/411>, abgerufen am 21.12.2024.