Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite
4.

Nach diesen Absonderungen kehren wir wieder auf
den gewonnenen Hauptsatz zurück, daß es der Dorische
Stamm war, bei dem die Apollinische Religion die äl-
teste, angesehenste, eigentlich nationale war. Schon
dieser Punkt erlaubt über den Charakter derselben von
vorn herein zu muthmaßen.

Wenn die Dorier ein thatkräftiger, heroisch gesinnter
Hellenenstamm waren, so mußte wohl die ihnen eigen-
thümliche religiöse Empfindung eine ähnliche Farbe
tragen. Wie ihr Leben stets eine gewisse Abneigung
vor Ackerbau und harmloser Naturbeschäftigung über-
haupt, und dagegen ein Hinneigen zur Darstellung
eigener Kraft zeigt, so wird auch ihr Gott im Gegen-
satze stehn gegen die Naturgottheiten ackerbauender
Stämme, in denen die innige Beziehung des menschli-
chen Lebens zum segensprießenden Acker auf eine tiefe
und ergreifende Weise gefaßt ist.

So würden wir schon von diesem Gesichtspunkte
aus der Meinung widersprechen, daß Apoll ein Natur-
gott, und zwar bestimmter ein Sonnengott sei.
Widerlegen aber können wir dieselbe nicht, ohne die
allerdings nicht unverächtlichen Gründe dafür -- was
noch nirgends geschehen ist -- mit möglichster Unbe-
fangenheit darzulegen. Doch übergehen wir mit weni-
gen Worten die Deutung der Pfeile auf Strahlen 1;
denn wie tödtet der Gott mit solchen den Python und
Tityos? und wie wäre die erwärmende und belebende
Kraft durch ein so einseitiges Bild zu bezeichnen? Aber
wenn wir uns das oben ausführlich dargestellte Bild
des von den Hyperboreern mit der reifen Kornähre zu-
rückkehrenden Gottes vergegenwärtigen, dem auch gol-

1 Am meisten spräche dafür, was Apollod. 1, 9, 26. u. Aa.
von Ap. Aegletes sagen.
4.

Nach dieſen Abſonderungen kehren wir wieder auf
den gewonnenen Hauptſatz zuruͤck, daß es der Doriſche
Stamm war, bei dem die Apolliniſche Religion die aͤl-
teſte, angeſehenſte, eigentlich nationale war. Schon
dieſer Punkt erlaubt uͤber den Charakter derſelben von
vorn herein zu muthmaßen.

Wenn die Dorier ein thatkraͤftiger, heroiſch geſinnter
Hellenenſtamm waren, ſo mußte wohl die ihnen eigen-
thuͤmliche religioͤſe Empfindung eine aͤhnliche Farbe
tragen. Wie ihr Leben ſtets eine gewiſſe Abneigung
vor Ackerbau und harmloſer Naturbeſchaͤftigung uͤber-
haupt, und dagegen ein Hinneigen zur Darſtellung
eigener Kraft zeigt, ſo wird auch ihr Gott im Gegen-
ſatze ſtehn gegen die Naturgottheiten ackerbauender
Staͤmme, in denen die innige Beziehung des menſchli-
chen Lebens zum ſegenſprießenden Acker auf eine tiefe
und ergreifende Weiſe gefaßt iſt.

So wuͤrden wir ſchon von dieſem Geſichtspunkte
aus der Meinung widerſprechen, daß Apoll ein Natur-
gott, und zwar beſtimmter ein Sonnengott ſei.
Widerlegen aber koͤnnen wir dieſelbe nicht, ohne die
allerdings nicht unveraͤchtlichen Gruͤnde dafuͤr — was
noch nirgends geſchehen iſt — mit moͤglichſter Unbe-
fangenheit darzulegen. Doch uͤbergehen wir mit weni-
gen Worten die Deutung der Pfeile auf Strahlen 1;
denn wie toͤdtet der Gott mit ſolchen den Python und
Tityos? und wie waͤre die erwaͤrmende und belebende
Kraft durch ein ſo einſeitiges Bild zu bezeichnen? Aber
wenn wir uns das oben ausfuͤhrlich dargeſtellte Bild
des von den Hyperboreern mit der reifen Kornaͤhre zu-
ruͤckkehrenden Gottes vergegenwaͤrtigen, dem auch gol-

1 Am meiſten ſpraͤche dafuͤr, was Apollod. 1, 9, 26. u. Aa.
von Ap. Aegletes ſagen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0314" n="284"/>
            <div n="4">
              <head>4.</head><lb/>
              <p>Nach die&#x017F;en Ab&#x017F;onderungen kehren wir wieder auf<lb/>
den gewonnenen Haupt&#x017F;atz zuru&#x0364;ck, daß es der Dori&#x017F;che<lb/>
Stamm war, bei dem die Apollini&#x017F;che Religion die a&#x0364;l-<lb/>
te&#x017F;te, ange&#x017F;ehen&#x017F;te, eigentlich nationale war. Schon<lb/>
die&#x017F;er Punkt erlaubt u&#x0364;ber den Charakter der&#x017F;elben von<lb/>
vorn herein zu muthmaßen.</p><lb/>
              <p>Wenn die Dorier ein thatkra&#x0364;ftiger, heroi&#x017F;ch ge&#x017F;innter<lb/>
Hellenen&#x017F;tamm waren, &#x017F;o mußte wohl die ihnen eigen-<lb/>
thu&#x0364;mliche religio&#x0364;&#x017F;e Empfindung eine a&#x0364;hnliche Farbe<lb/>
tragen. Wie ihr Leben &#x017F;tets eine gewi&#x017F;&#x017F;e Abneigung<lb/>
vor Ackerbau und harmlo&#x017F;er Naturbe&#x017F;cha&#x0364;ftigung u&#x0364;ber-<lb/>
haupt, und dagegen ein Hinneigen zur Dar&#x017F;tellung<lb/>
eigener Kraft zeigt, &#x017F;o wird auch ihr Gott im Gegen-<lb/>
&#x017F;atze &#x017F;tehn gegen die Naturgottheiten ackerbauender<lb/>
Sta&#x0364;mme, in denen die innige Beziehung des men&#x017F;chli-<lb/>
chen Lebens zum &#x017F;egen&#x017F;prießenden Acker auf eine tiefe<lb/>
und ergreifende Wei&#x017F;e gefaßt i&#x017F;t.</p><lb/>
              <p>So wu&#x0364;rden wir &#x017F;chon von die&#x017F;em Ge&#x017F;ichtspunkte<lb/>
aus der Meinung wider&#x017F;prechen, daß Apoll ein Natur-<lb/>
gott, und zwar be&#x017F;timmter ein <hi rendition="#g">Sonnengott</hi> &#x017F;ei.<lb/>
Widerlegen aber ko&#x0364;nnen wir die&#x017F;elbe nicht, ohne die<lb/>
allerdings nicht unvera&#x0364;chtlichen Gru&#x0364;nde dafu&#x0364;r &#x2014; was<lb/>
noch nirgends ge&#x017F;chehen i&#x017F;t &#x2014; mit mo&#x0364;glich&#x017F;ter Unbe-<lb/>
fangenheit darzulegen. Doch u&#x0364;bergehen wir mit weni-<lb/>
gen Worten die Deutung der Pfeile auf Strahlen <note place="foot" n="1">Am mei&#x017F;ten &#x017F;pra&#x0364;che dafu&#x0364;r, was Apollod. 1, 9, 26. u. Aa.<lb/>
von Ap. Aegletes &#x017F;agen.</note>;<lb/>
denn wie to&#x0364;dtet der Gott mit &#x017F;olchen den Python und<lb/>
Tityos? und wie wa&#x0364;re die erwa&#x0364;rmende und belebende<lb/>
Kraft durch ein &#x017F;o ein&#x017F;eitiges Bild zu bezeichnen? Aber<lb/>
wenn wir uns das oben ausfu&#x0364;hrlich darge&#x017F;tellte Bild<lb/>
des von den Hyperboreern mit der reifen Korna&#x0364;hre zu-<lb/>
ru&#x0364;ckkehrenden Gottes vergegenwa&#x0364;rtigen, dem auch gol-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0314] 4. Nach dieſen Abſonderungen kehren wir wieder auf den gewonnenen Hauptſatz zuruͤck, daß es der Doriſche Stamm war, bei dem die Apolliniſche Religion die aͤl- teſte, angeſehenſte, eigentlich nationale war. Schon dieſer Punkt erlaubt uͤber den Charakter derſelben von vorn herein zu muthmaßen. Wenn die Dorier ein thatkraͤftiger, heroiſch geſinnter Hellenenſtamm waren, ſo mußte wohl die ihnen eigen- thuͤmliche religioͤſe Empfindung eine aͤhnliche Farbe tragen. Wie ihr Leben ſtets eine gewiſſe Abneigung vor Ackerbau und harmloſer Naturbeſchaͤftigung uͤber- haupt, und dagegen ein Hinneigen zur Darſtellung eigener Kraft zeigt, ſo wird auch ihr Gott im Gegen- ſatze ſtehn gegen die Naturgottheiten ackerbauender Staͤmme, in denen die innige Beziehung des menſchli- chen Lebens zum ſegenſprießenden Acker auf eine tiefe und ergreifende Weiſe gefaßt iſt. So wuͤrden wir ſchon von dieſem Geſichtspunkte aus der Meinung widerſprechen, daß Apoll ein Natur- gott, und zwar beſtimmter ein Sonnengott ſei. Widerlegen aber koͤnnen wir dieſelbe nicht, ohne die allerdings nicht unveraͤchtlichen Gruͤnde dafuͤr — was noch nirgends geſchehen iſt — mit moͤglichſter Unbe- fangenheit darzulegen. Doch uͤbergehen wir mit weni- gen Worten die Deutung der Pfeile auf Strahlen 1; denn wie toͤdtet der Gott mit ſolchen den Python und Tityos? und wie waͤre die erwaͤrmende und belebende Kraft durch ein ſo einſeitiges Bild zu bezeichnen? Aber wenn wir uns das oben ausfuͤhrlich dargeſtellte Bild des von den Hyperboreern mit der reifen Kornaͤhre zu- ruͤckkehrenden Gottes vergegenwaͤrtigen, dem auch gol- 1 Am meiſten ſpraͤche dafuͤr, was Apollod. 1, 9, 26. u. Aa. von Ap. Aegletes ſagen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/314
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/314>, abgerufen am 21.11.2024.