Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.160. Nur wo die Phantasie und die Herrschaft des Verstandes 161. Der Schmerz und die Lust, auch Energieen eines Sin- 162. Der Blindgeborne, dem durch die Operation der Ge- 160. Nur wo die Phantaſie und die Herrſchaft des Verſtandes 161. Der Schmerz und die Luſt, auch Energieen eines Sin- 162. Der Blindgeborne, dem durch die Operation der Ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0104" n="88"/> <div n="3"> <head>160.</head><lb/> <p>Nur wo die Phantaſie und die Herrſchaft des Verſtandes<lb/> gleich geſteigert ſind, bleibt es in harmoniſcher Lebensbe-<lb/> wegung beider. Wundern wir uns aber nicht, wenn der ein-<lb/> fache phantaſiereiche Menſch den Verſchwendungen dieſes<lb/> ſeines Reichthums unterliegt, wenn er der Selbſterſcheinung<lb/> aͤußere Objectivitaͤt giebt. Er ſteht hierin doch faſt auf gleicher<lb/> Stufe mit dem erwachſenen geſunden Menſchen nach der vol-<lb/> lendeten Erziehung der Sinne. Auch wir verwechſeln ja die<lb/> Energieen unſeres Sinnes in der ihm zukommenden Lebens-<lb/> form des Lichtes, die Affection der Netzhaut, das ſubjective<lb/> Sehfeld, mit den aͤußeren Dingen, die nur veranlaſſende<lb/> Urſachen zur Verwirklichung innern Lebens ſind.</p> </div><lb/> <div n="3"> <head>161.</head><lb/> <p>Der Schmerz und die Luſt, auch Energieen eines Sin-<lb/> nes, liegen unſerer Subjectivitaͤt viel naͤher, von ihnen faͤllt<lb/> es uns nicht ein, zu ſagen, daß ſie an den Dingen haften,<lb/> die ſie erregen, wir laſſen ſie uns ſelbſt nicht nehmen. Alle<lb/> anderen Sinnesenergieen, den Inhalt unſeres eigenen Le-<lb/> bens theilen wir der Außenwelt zu. Wir wiſſen ſo wenig<lb/> von einem lichten und dunkeln ſubjectiven Sehfeld, daß das<lb/> Urtheil, die Affectionen des Gefuͤhls und des Geſichtsſinnes<lb/> combinirend, uns ſogar verfuͤhrt, das ſubjective Sehfeld, in<lb/> welchem die aͤußeren koͤrperlichen Dinge flaͤchenhaft erſchei-<lb/> nen, fuͤr die lichte nahe und ferne Koͤrperlichkeit der<lb/> Dinge ſelbſt zu halten.</p> </div><lb/> <div n="3"> <head>162.</head><lb/> <p>Der Blindgeborne, dem durch die Operation der Ge-<lb/> ſichtſinn fuͤr das Aeußere erſchloſſen worden, ſteht ein<lb/> Erwachſener allein noch in der vom Urtheil unbefangenen<lb/> Jugend des Sinnes. Er erſchrickt vor den Bildern, die<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [88/0104]
160.
Nur wo die Phantaſie und die Herrſchaft des Verſtandes
gleich geſteigert ſind, bleibt es in harmoniſcher Lebensbe-
wegung beider. Wundern wir uns aber nicht, wenn der ein-
fache phantaſiereiche Menſch den Verſchwendungen dieſes
ſeines Reichthums unterliegt, wenn er der Selbſterſcheinung
aͤußere Objectivitaͤt giebt. Er ſteht hierin doch faſt auf gleicher
Stufe mit dem erwachſenen geſunden Menſchen nach der vol-
lendeten Erziehung der Sinne. Auch wir verwechſeln ja die
Energieen unſeres Sinnes in der ihm zukommenden Lebens-
form des Lichtes, die Affection der Netzhaut, das ſubjective
Sehfeld, mit den aͤußeren Dingen, die nur veranlaſſende
Urſachen zur Verwirklichung innern Lebens ſind.
161.
Der Schmerz und die Luſt, auch Energieen eines Sin-
nes, liegen unſerer Subjectivitaͤt viel naͤher, von ihnen faͤllt
es uns nicht ein, zu ſagen, daß ſie an den Dingen haften,
die ſie erregen, wir laſſen ſie uns ſelbſt nicht nehmen. Alle
anderen Sinnesenergieen, den Inhalt unſeres eigenen Le-
bens theilen wir der Außenwelt zu. Wir wiſſen ſo wenig
von einem lichten und dunkeln ſubjectiven Sehfeld, daß das
Urtheil, die Affectionen des Gefuͤhls und des Geſichtsſinnes
combinirend, uns ſogar verfuͤhrt, das ſubjective Sehfeld, in
welchem die aͤußeren koͤrperlichen Dinge flaͤchenhaft erſchei-
nen, fuͤr die lichte nahe und ferne Koͤrperlichkeit der
Dinge ſelbſt zu halten.
162.
Der Blindgeborne, dem durch die Operation der Ge-
ſichtſinn fuͤr das Aeußere erſchloſſen worden, ſteht ein
Erwachſener allein noch in der vom Urtheil unbefangenen
Jugend des Sinnes. Er erſchrickt vor den Bildern, die
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