Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

An euch ihr schönen Wissenschaften,
An euch soll meine Seele haften, u. s. w.
Der Kantor lehrte auch lateinische Verse ma¬
chen, trug die Regeln der Prosedie vor, die er
nachher auf Catonis difticha, beim Skandieren
derselben anwenden ließ. Reiser fand hieran sehr
großes Vergnügen, weil es ihm so gelehrt klang,
lateinische Verse skandiren zu können, und zu
wissen, warum die eine Silbe lang, und die
andere kurz ausgesprochen werden mußte; der
Kantor schlug mit den Händen den Takt beim
Skandiren. Das anzusehen und mitmachen zu
können, war ihm denn eine wahre Seelenfreude. --
Und als nun gar der Kantor zuletzt eine Anzahl
durcheinander geworfener lateinischer Wörter, wel¬
ches Verse gewesen waren, diktirte, damit sie
wieder in metrische Ordnung gebracht werden soll¬
ten, welch ein Vergnügen für Reisern, da er
nun mit wenigen Fehlern, ein paar ordentliche
Hexameter wieder herausbrachte, und von dem
Kantor einen alten Kurtius zum Prämium er¬
hielt.

Hier herrschte nun gewiß der sogenannte alte
Schulschlendrian, und Reiser kam demohngeach¬

D 4

An euch ihr ſchoͤnen Wiſſenſchaften,
An euch ſoll meine Seele haften, u. ſ. w.
Der Kantor lehrte auch lateiniſche Verſe ma¬
chen, trug die Regeln der Proſedie vor, die er
nachher auf Catonis difticha, beim Skandieren
derſelben anwenden ließ. Reiſer fand hieran ſehr
großes Vergnuͤgen, weil es ihm ſo gelehrt klang,
lateiniſche Verſe ſkandiren zu koͤnnen, und zu
wiſſen, warum die eine Silbe lang, und die
andere kurz ausgeſprochen werden mußte; der
Kantor ſchlug mit den Haͤnden den Takt beim
Skandiren. Das anzuſehen und mitmachen zu
koͤnnen, war ihm denn eine wahre Seelenfreude. —
Und als nun gar der Kantor zuletzt eine Anzahl
durcheinander geworfener lateiniſcher Woͤrter, wel¬
ches Verſe geweſen waren, diktirte, damit ſie
wieder in metriſche Ordnung gebracht werden ſoll¬
ten, welch ein Vergnuͤgen fuͤr Reiſern, da er
nun mit wenigen Fehlern, ein paar ordentliche
Hexameter wieder herausbrachte, und von dem
Kantor einen alten Kurtius zum Praͤmium er¬
hielt.

Hier herrſchte nun gewiß der ſogenannte alte
Schulſchlendrian, und Reiſer kam demohngeach¬

D 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0065" n="55"/>
An euch ihr &#x017F;cho&#x0364;nen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften,<lb/>
An euch &#x017F;oll meine Seele haften, u. &#x017F;. w.<lb/>
Der Kantor lehrte auch lateini&#x017F;che Ver&#x017F;e ma¬<lb/>
chen, trug die Regeln der Pro&#x017F;edie vor, die er<lb/>
nachher auf <hi rendition="#aq">Catonis difticha</hi>, beim Skandieren<lb/>
der&#x017F;elben anwenden ließ. Rei&#x017F;er fand hieran &#x017F;ehr<lb/>
großes Vergnu&#x0364;gen, weil es ihm &#x017F;o <hi rendition="#fr">gelehrt</hi> klang,<lb/>
lateini&#x017F;che Ver&#x017F;e &#x017F;kandiren zu ko&#x0364;nnen, und zu<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, warum die eine Silbe lang, und die<lb/>
andere kurz ausge&#x017F;prochen werden mußte; der<lb/>
Kantor &#x017F;chlug mit den Ha&#x0364;nden den Takt beim<lb/>
Skandiren. Das anzu&#x017F;ehen und mitmachen zu<lb/>
ko&#x0364;nnen, war ihm denn eine wahre Seelenfreude. &#x2014;<lb/>
Und als nun gar der Kantor zuletzt eine Anzahl<lb/>
durcheinander geworfener lateini&#x017F;cher Wo&#x0364;rter, wel¬<lb/>
ches Ver&#x017F;e gewe&#x017F;en waren, diktirte, damit &#x017F;ie<lb/>
wieder in metri&#x017F;che Ordnung gebracht werden &#x017F;oll¬<lb/>
ten, welch ein Vergnu&#x0364;gen fu&#x0364;r Rei&#x017F;ern, da er<lb/>
nun mit wenigen Fehlern, ein paar ordentliche<lb/>
Hexameter wieder herausbrachte, und von dem<lb/>
Kantor einen alten Kurtius zum Pra&#x0364;mium er¬<lb/>
hielt.</p><lb/>
      <p>Hier herr&#x017F;chte nun gewiß der &#x017F;ogenannte alte<lb/>
Schul&#x017F;chlendrian, und Rei&#x017F;er kam demohngeach¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 4<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0065] An euch ihr ſchoͤnen Wiſſenſchaften, An euch ſoll meine Seele haften, u. ſ. w. Der Kantor lehrte auch lateiniſche Verſe ma¬ chen, trug die Regeln der Proſedie vor, die er nachher auf Catonis difticha, beim Skandieren derſelben anwenden ließ. Reiſer fand hieran ſehr großes Vergnuͤgen, weil es ihm ſo gelehrt klang, lateiniſche Verſe ſkandiren zu koͤnnen, und zu wiſſen, warum die eine Silbe lang, und die andere kurz ausgeſprochen werden mußte; der Kantor ſchlug mit den Haͤnden den Takt beim Skandiren. Das anzuſehen und mitmachen zu koͤnnen, war ihm denn eine wahre Seelenfreude. — Und als nun gar der Kantor zuletzt eine Anzahl durcheinander geworfener lateiniſcher Woͤrter, wel¬ ches Verſe geweſen waren, diktirte, damit ſie wieder in metriſche Ordnung gebracht werden ſoll¬ ten, welch ein Vergnuͤgen fuͤr Reiſern, da er nun mit wenigen Fehlern, ein paar ordentliche Hexameter wieder herausbrachte, und von dem Kantor einen alten Kurtius zum Praͤmium er¬ hielt. Hier herrſchte nun gewiß der ſogenannte alte Schulſchlendrian, und Reiſer kam demohngeach¬ D 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/65
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/65>, abgerufen am 26.04.2024.