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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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wenigstens hieraus, wie unnütz es ist, im All¬
gemeinen
, und ohne Anwendung auf ganz be¬
sondre und oft geringfügig scheinende Fälle, von
Tugend zu predigen. --

Reiser wunderte sich damals oft selbst dar¬
über, wie seine plötzliche Anwandlung von Tu¬
gendeifer sobald verrauchen, und gar keine Spur
zurück lassen konnte -- aber er erwog nicht,
daß Selbstachtung, welche sich damals bei ihm
nur noch auf die Achtung anderer Menschen grün¬
den konnte, die Basis der Tugend ist -- und daß
ohne diese das schönste Gebäude seiner Phan¬
tasie sehr bald wieder zusammenstürzen mußte.

So oft es ihm während dieses Zustandes noch
möglich gewesen war, einige Groschen zusam¬
menzubringen, so oft hatte er sie auch in die
Komödie getragen -- da aber die Schauspieler¬
gesellschaft in der Mitte des Sommers wieder
wegzog, so war nun eine Wiese vor dem neuen
Thore nicht nur das Ziel seiner Spatziergänge,
sondern fast sein immerwährender Aufenthalt --
er lagerte sich hier zuweilen den ganzen Tag auf

wenigſtens hieraus, wie unnuͤtz es iſt, im All¬
gemeinen
, und ohne Anwendung auf ganz be¬
ſondre und oft geringfuͤgig ſcheinende Faͤlle, von
Tugend zu predigen. —

Reiſer wunderte ſich damals oft ſelbſt dar¬
uͤber, wie ſeine ploͤtzliche Anwandlung von Tu¬
gendeifer ſobald verrauchen, und gar keine Spur
zuruͤck laſſen konnte — aber er erwog nicht,
daß Selbſtachtung, welche ſich damals bei ihm
nur noch auf die Achtung anderer Menſchen gruͤn¬
den konnte, die Baſis der Tugend iſt — und daß
ohne dieſe das ſchoͤnſte Gebaͤude ſeiner Phan¬
taſie ſehr bald wieder zuſammenſtuͤrzen mußte.

So oft es ihm waͤhrend dieſes Zuſtandes noch
moͤglich geweſen war, einige Groſchen zuſam¬
menzubringen, ſo oft hatte er ſie auch in die
Komoͤdie getragen — da aber die Schauſpieler¬
geſellſchaft in der Mitte des Sommers wieder
wegzog, ſo war nun eine Wieſe vor dem neuen
Thore nicht nur das Ziel ſeiner Spatziergaͤnge,
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[186/0196] wenigſtens hieraus, wie unnuͤtz es iſt, im All¬ gemeinen, und ohne Anwendung auf ganz be¬ ſondre und oft geringfuͤgig ſcheinende Faͤlle, von Tugend zu predigen. — Reiſer wunderte ſich damals oft ſelbſt dar¬ uͤber, wie ſeine ploͤtzliche Anwandlung von Tu¬ gendeifer ſobald verrauchen, und gar keine Spur zuruͤck laſſen konnte — aber er erwog nicht, daß Selbſtachtung, welche ſich damals bei ihm nur noch auf die Achtung anderer Menſchen gruͤn¬ den konnte, die Baſis der Tugend iſt — und daß ohne dieſe das ſchoͤnſte Gebaͤude ſeiner Phan¬ taſie ſehr bald wieder zuſammenſtuͤrzen mußte. So oft es ihm waͤhrend dieſes Zuſtandes noch moͤglich geweſen war, einige Groſchen zuſam¬ menzubringen, ſo oft hatte er ſie auch in die Komoͤdie getragen — da aber die Schauſpieler¬ geſellſchaft in der Mitte des Sommers wieder wegzog, ſo war nun eine Wieſe vor dem neuen Thore nicht nur das Ziel ſeiner Spatziergaͤnge, ſondern faſt ſein immerwaͤhrender Aufenthalt — er lagerte ſich hier zuweilen den ganzen Tag auf

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/196>, abgerufen am 26.04.2024.