Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

zu der Verbesserung seines Zustandes gethan,
oder sich an irgend einen Menschen nur mit dem
Schein einer Bitte gewandt hätte, unterwarf
er sich lieber freiwillig mit der beispiellosesten
Hartnäckigkeit dem schreklichsten Elende. --

Denn mehrere Wochen hindurch aß er wirk¬
lich die Woche eigentlich nur einen einzigen Tag,
wenn er zum Schuster S. . . ging, und die übri¬
gen Tage fastete er, und hielt mit nichts als
Thee oder warmen Wasser, das einzige was er
noch umsonst erhalten konnte, sein Leben hin --
Mit einer Art von schreklichem Wohlbehagen,
sahe er seinen Körper eben so gleichgültig wie
seine Kleider, von Tage zu Tage abfallen.

Wenn er auf der Straße ging, und die Leute
mit Fingern auf ihn zeigten, und seine Mitschü¬
ler ihn verspotteten, und hinter ihm her zisch¬
ten, und Gassenbuben ihre Anmerkungen über
ihn machten -- so bis er die Zähne zusammen,
und stimmte innerlich in das Hohngelächter mit
ein, daß er hinter sich her erschallen hörte. --

Wenn er aber dann wieder zum Schuster S. . .
kam, so vergaß er doch alles wieder -- Hier
fand er Menschen, hier wurde auf einige Augen¬

zu der Verbeſſerung ſeines Zuſtandes gethan,
oder ſich an irgend einen Menſchen nur mit dem
Schein einer Bitte gewandt haͤtte, unterwarf
er ſich lieber freiwillig mit der beiſpielloſeſten
Hartnaͤckigkeit dem ſchreklichſten Elende. —

Denn mehrere Wochen hindurch aß er wirk¬
lich die Woche eigentlich nur einen einzigen Tag,
wenn er zum Schuſter S. . . ging, und die uͤbri¬
gen Tage faſtete er, und hielt mit nichts als
Thee oder warmen Waſſer, das einzige was er
noch umſonſt erhalten konnte, ſein Leben hin —
Mit einer Art von ſchreklichem Wohlbehagen,
ſahe er ſeinen Koͤrper eben ſo gleichguͤltig wie
ſeine Kleider, von Tage zu Tage abfallen.

Wenn er auf der Straße ging, und die Leute
mit Fingern auf ihn zeigten, und ſeine Mitſchuͤ¬
ler ihn verſpotteten, und hinter ihm her ziſch¬
ten, und Gaſſenbuben ihre Anmerkungen uͤber
ihn machten — ſo bis er die Zaͤhne zuſammen,
und ſtimmte innerlich in das Hohngelaͤchter mit
ein, daß er hinter ſich her erſchallen hoͤrte. —

Wenn er aber dann wieder zum Schuſter S. . .
kam, ſo vergaß er doch alles wieder — Hier
fand er Menſchen, hier wurde auf einige Augen¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0183" n="173"/>
zu der Verbe&#x017F;&#x017F;erung &#x017F;eines Zu&#x017F;tandes gethan,<lb/>
oder &#x017F;ich an irgend einen Men&#x017F;chen nur mit dem<lb/>
Schein einer Bitte gewandt ha&#x0364;tte, unterwarf<lb/>
er &#x017F;ich lieber freiwillig mit der bei&#x017F;piello&#x017F;e&#x017F;ten<lb/>
Hartna&#x0364;ckigkeit dem &#x017F;chreklich&#x017F;ten Elende. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Denn mehrere Wochen hindurch aß er wirk¬<lb/>
lich die Woche eigentlich nur einen einzigen Tag,<lb/>
wenn er zum Schu&#x017F;ter S. . . ging, und die u&#x0364;bri¬<lb/>
gen Tage fa&#x017F;tete er, und hielt mit nichts als<lb/>
Thee oder warmen Wa&#x017F;&#x017F;er, das einzige was er<lb/>
noch um&#x017F;on&#x017F;t erhalten konnte, &#x017F;ein Leben hin &#x2014;<lb/>
Mit einer Art von &#x017F;chreklichem Wohlbehagen,<lb/>
&#x017F;ahe er &#x017F;einen Ko&#x0364;rper eben &#x017F;o gleichgu&#x0364;ltig wie<lb/>
&#x017F;eine Kleider, von Tage zu Tage abfallen.</p><lb/>
      <p>Wenn er auf der Straße ging, und die Leute<lb/>
mit Fingern auf ihn zeigten, und &#x017F;eine Mit&#x017F;chu&#x0364;¬<lb/>
ler ihn ver&#x017F;potteten, und hinter ihm her zi&#x017F;ch¬<lb/>
ten, und Ga&#x017F;&#x017F;enbuben ihre Anmerkungen u&#x0364;ber<lb/>
ihn machten &#x2014; &#x017F;o bis er die Za&#x0364;hne zu&#x017F;ammen,<lb/>
und &#x017F;timmte innerlich in das Hohngela&#x0364;chter mit<lb/>
ein, daß er hinter &#x017F;ich her er&#x017F;challen ho&#x0364;rte. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Wenn er aber dann wieder zum Schu&#x017F;ter S. . .<lb/>
kam, &#x017F;o vergaß er doch alles wieder &#x2014; Hier<lb/>
fand er Men&#x017F;chen, hier wurde auf einige Augen¬<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[173/0183] zu der Verbeſſerung ſeines Zuſtandes gethan, oder ſich an irgend einen Menſchen nur mit dem Schein einer Bitte gewandt haͤtte, unterwarf er ſich lieber freiwillig mit der beiſpielloſeſten Hartnaͤckigkeit dem ſchreklichſten Elende. — Denn mehrere Wochen hindurch aß er wirk¬ lich die Woche eigentlich nur einen einzigen Tag, wenn er zum Schuſter S. . . ging, und die uͤbri¬ gen Tage faſtete er, und hielt mit nichts als Thee oder warmen Waſſer, das einzige was er noch umſonſt erhalten konnte, ſein Leben hin — Mit einer Art von ſchreklichem Wohlbehagen, ſahe er ſeinen Koͤrper eben ſo gleichguͤltig wie ſeine Kleider, von Tage zu Tage abfallen. Wenn er auf der Straße ging, und die Leute mit Fingern auf ihn zeigten, und ſeine Mitſchuͤ¬ ler ihn verſpotteten, und hinter ihm her ziſch¬ ten, und Gaſſenbuben ihre Anmerkungen uͤber ihn machten — ſo bis er die Zaͤhne zuſammen, und ſtimmte innerlich in das Hohngelaͤchter mit ein, daß er hinter ſich her erſchallen hoͤrte. — Wenn er aber dann wieder zum Schuſter S. . . kam, ſo vergaß er doch alles wieder — Hier fand er Menſchen, hier wurde auf einige Augen¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/183
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/183>, abgerufen am 26.04.2024.