Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

zurückwarf, und wie ein reitzendes Blendwerk
über der Wirklichkeit gaukelnd schwebte.

So schweifte die Oreade auf den Bergen
umher, um mit ihren Schwestern, im Gefolge
der Diana, die Spur des Wildes zu verfolgen;
jeder zärtlichen Neigung ihr Herz verschließend,
so wie die strenge Göttin, die sie begleitete.

Mit ihrem Wasserkruge saß, in der einsamen
Mittagsstunde, die Najade am Quell, und ließ
mit sanften Murmeln, des Baches klare Fluth
hinströmen. -- Gefährlich aber waren die Liebko-
sungen der Najaden; sie umarmten den schönen
Hylas, des Herkules Liebling, als er Wasser
schöpfte, und zogen ihn zu sich in den Brunnen
herab. -- Vergebens rief Herkules seinen Nah-
men, nie ward sein Liebling mehr gesehen.

Im heiligen Dunkel des Waldes wohnten die
Dryaden; und die Hamadryade bewohnte ihren
einzigen Baum, mit dem sie gebohren ward
und starb. -- Wer einen solchen Baum erhielt,
dem dankte die Nymphe ihr Leben. -- so ward
selbst die leblose Natur ein Gegenstand des theil-
nehmenden Wohlwollens der Sterblichen.

Satyrn.

In das Dunkel des Waldes versetzt die Dich-
tung auch die Satyrn mit Hörnern und Ziegen-

zuruͤckwarf, und wie ein reitzendes Blendwerk
uͤber der Wirklichkeit gaukelnd ſchwebte.

So ſchweifte die Oreade auf den Bergen
umher, um mit ihren Schweſtern, im Gefolge
der Diana, die Spur des Wildes zu verfolgen;
jeder zaͤrtlichen Neigung ihr Herz verſchließend,
ſo wie die ſtrenge Goͤttin, die ſie begleitete.

Mit ihrem Waſſerkruge ſaß, in der einſamen
Mittagsſtunde, die Najade am Quell, und ließ
mit ſanften Murmeln, des Baches klare Fluth
hinſtroͤmen. — Gefaͤhrlich aber waren die Liebko-
ſungen der Najaden; ſie umarmten den ſchoͤnen
Hylas, des Herkules Liebling, als er Waſſer
ſchoͤpfte, und zogen ihn zu ſich in den Brunnen
herab. — Vergebens rief Herkules ſeinen Nah-
men, nie ward ſein Liebling mehr geſehen.

Im heiligen Dunkel des Waldes wohnten die
Dryaden; und die Hamadryade bewohnte ihren
einzigen Baum, mit dem ſie gebohren ward
und ſtarb. — Wer einen ſolchen Baum erhielt,
dem dankte die Nymphe ihr Leben. — ſo ward
ſelbſt die lebloſe Natur ein Gegenſtand des theil-
nehmenden Wohlwollens der Sterblichen.

Satyrn.

In das Dunkel des Waldes verſetzt die Dich-
tung auch die Satyrn mit Hoͤrnern und Ziegen-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0377" n="315"/>
zuru&#x0364;ckwarf, und wie ein reitzendes Blendwerk<lb/>
u&#x0364;ber der Wirklichkeit gaukelnd &#x017F;chwebte.</p><lb/>
          <p>So &#x017F;chweifte die <hi rendition="#fr">Oreade</hi> auf den <hi rendition="#fr">Bergen</hi><lb/>
umher, um mit ihren Schwe&#x017F;tern, im Gefolge<lb/>
der Diana, die Spur des Wildes zu verfolgen;<lb/>
jeder za&#x0364;rtlichen Neigung ihr Herz ver&#x017F;chließend,<lb/>
&#x017F;o wie die &#x017F;trenge Go&#x0364;ttin, die &#x017F;ie begleitete.</p><lb/>
          <p>Mit ihrem Wa&#x017F;&#x017F;erkruge &#x017F;aß, in der ein&#x017F;amen<lb/>
Mittags&#x017F;tunde, die <hi rendition="#fr">Najade</hi> am <hi rendition="#fr">Quell,</hi> und ließ<lb/>
mit &#x017F;anften Murmeln, des Baches klare Fluth<lb/>
hin&#x017F;tro&#x0364;men. &#x2014; Gefa&#x0364;hrlich aber waren die Liebko-<lb/>
&#x017F;ungen der Najaden; &#x017F;ie umarmten den &#x017F;cho&#x0364;nen<lb/><hi rendition="#fr">Hylas,</hi> des Herkules Liebling, als er Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;pfte, und zogen ihn zu &#x017F;ich in den Brunnen<lb/>
herab. &#x2014; Vergebens rief Herkules &#x017F;einen Nah-<lb/>
men, nie ward &#x017F;ein Liebling mehr ge&#x017F;ehen.</p><lb/>
          <p>Im heiligen Dunkel des <hi rendition="#fr">Waldes</hi> wohnten die<lb/><hi rendition="#fr">Dryaden;</hi> und die <hi rendition="#fr">Hamadryade</hi> bewohnte ihren<lb/><hi rendition="#fr">einzigen Baum,</hi> mit dem &#x017F;ie gebohren ward<lb/>
und &#x017F;tarb. &#x2014; Wer einen &#x017F;olchen Baum erhielt,<lb/>
dem dankte die Nymphe ihr Leben. &#x2014; &#x017F;o ward<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t die leblo&#x017F;e Natur ein Gegen&#x017F;tand des theil-<lb/>
nehmenden Wohlwollens der Sterblichen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Satyrn</hi>.</hi> </head><lb/>
          <p>In das Dunkel des Waldes ver&#x017F;etzt die Dich-<lb/>
tung auch die <hi rendition="#fr">Satyrn</hi> mit Ho&#x0364;rnern und Ziegen-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[315/0377] zuruͤckwarf, und wie ein reitzendes Blendwerk uͤber der Wirklichkeit gaukelnd ſchwebte. So ſchweifte die Oreade auf den Bergen umher, um mit ihren Schweſtern, im Gefolge der Diana, die Spur des Wildes zu verfolgen; jeder zaͤrtlichen Neigung ihr Herz verſchließend, ſo wie die ſtrenge Goͤttin, die ſie begleitete. Mit ihrem Waſſerkruge ſaß, in der einſamen Mittagsſtunde, die Najade am Quell, und ließ mit ſanften Murmeln, des Baches klare Fluth hinſtroͤmen. — Gefaͤhrlich aber waren die Liebko- ſungen der Najaden; ſie umarmten den ſchoͤnen Hylas, des Herkules Liebling, als er Waſſer ſchoͤpfte, und zogen ihn zu ſich in den Brunnen herab. — Vergebens rief Herkules ſeinen Nah- men, nie ward ſein Liebling mehr geſehen. Im heiligen Dunkel des Waldes wohnten die Dryaden; und die Hamadryade bewohnte ihren einzigen Baum, mit dem ſie gebohren ward und ſtarb. — Wer einen ſolchen Baum erhielt, dem dankte die Nymphe ihr Leben. — ſo ward ſelbſt die lebloſe Natur ein Gegenſtand des theil- nehmenden Wohlwollens der Sterblichen. Satyrn. In das Dunkel des Waldes verſetzt die Dich- tung auch die Satyrn mit Hoͤrnern und Ziegen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/377
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/377>, abgerufen am 30.12.2024.