Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite


Wahnsinnige in dem Zustande ihrer größten Verrücktheit manchmal sehr deutlich ein Bewußtseyn ihres Wahnsinnes zu erkennen.

Um nun diese Erscheinungen zu erklären, werde ich eine Frage aufwerfen, deren Beantwortung, wie man mit einem Blicke sehen wird, einiges Licht über diesen Gegenstand verbreiten muß. Es frägt sich nehmlich: da alle unsre Vorstellungen Beschaffenheiten unsers denkenden Wesens sind, woher kommt es, daß wir irgend etwas als ein Ding betrachten, welches außer uns wirklich ist, und so wenig von unsrer Vorstellung abhängt, daß es noch fortdauern kann, wenn auch unser denkendes Wesen, und mit ihm alle unsre Gedanken zernichtet werden sollten?

Ehe ich weiter rücke, bemerke ich noch, daß zur gegenwärtigen Absicht eine blos psychologische Beantwortung dieser Frage hinreichend ist; eine metaphysische Beantwortung aber zu nichts dienen würde. Man verlangt hier keine Beweise für die Wirklichkeit der außer uns befindlichen Dinge, sondern man will blos die Wege welche uns zu dieser Vorstellungsart leiten, und die psychologischen Gesetze kennen, nach denen wir etwas für außer uns wirklich halten; und dieses darum, damit wir die Täuschung welche im Traume und in der Verrüktheit vorgehet, desto besser einsehen mögen.

Wir werden also einige Blicke in uns selbst werfen müssen, und mehr erfordert es in der That nicht, um folgendes wahrzunehmen: von vielen


Wahnsinnige in dem Zustande ihrer groͤßten Verruͤcktheit manchmal sehr deutlich ein Bewußtseyn ihres Wahnsinnes zu erkennen.

Um nun diese Erscheinungen zu erklaͤren, werde ich eine Frage aufwerfen, deren Beantwortung, wie man mit einem Blicke sehen wird, einiges Licht uͤber diesen Gegenstand verbreiten muß. Es fraͤgt sich nehmlich: da alle unsre Vorstellungen Beschaffenheiten unsers denkenden Wesens sind, woher kommt es, daß wir irgend etwas als ein Ding betrachten, welches außer uns wirklich ist, und so wenig von unsrer Vorstellung abhaͤngt, daß es noch fortdauern kann, wenn auch unser denkendes Wesen, und mit ihm alle unsre Gedanken zernichtet werden sollten?

Ehe ich weiter ruͤcke, bemerke ich noch, daß zur gegenwaͤrtigen Absicht eine blos psychologische Beantwortung dieser Frage hinreichend ist; eine metaphysische Beantwortung aber zu nichts dienen wuͤrde. Man verlangt hier keine Beweise fuͤr die Wirklichkeit der außer uns befindlichen Dinge, sondern man will blos die Wege welche uns zu dieser Vorstellungsart leiten, und die psychologischen Gesetze kennen, nach denen wir etwas fuͤr außer uns wirklich halten; und dieses darum, damit wir die Taͤuschung welche im Traume und in der Verruͤktheit vorgehet, desto besser einsehen moͤgen.

Wir werden also einige Blicke in uns selbst werfen muͤssen, und mehr erfordert es in der That nicht, um folgendes wahrzunehmen: von vielen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0018" n="18"/><lb/>
Wahnsinnige in dem Zustande ihrer                         gro&#x0364;ßten Verru&#x0364;cktheit manchmal sehr deutlich ein Bewußtseyn ihres Wahnsinnes                         zu erkennen. </p>
            <p>Um nun diese Erscheinungen zu erkla&#x0364;ren, werde ich eine Frage aufwerfen, deren                         Beantwortung, wie man mit einem Blicke sehen wird, einiges Licht u&#x0364;ber diesen                         Gegenstand verbreiten muß. Es fra&#x0364;gt sich nehmlich: da alle unsre                         Vorstellungen Beschaffenheiten unsers denkenden Wesens sind, woher kommt es,                         daß wir irgend etwas als ein Ding betrachten, welches außer uns wirklich                         ist, und so wenig von unsrer Vorstellung abha&#x0364;ngt, daß es noch fortdauern                         kann, wenn auch unser denkendes Wesen, und mit ihm alle unsre Gedanken                         zernichtet werden sollten? </p>
            <p>Ehe ich weiter ru&#x0364;cke, bemerke ich noch, daß zur gegenwa&#x0364;rtigen Absicht eine                         blos psychologische Beantwortung dieser Frage hinreichend ist; eine                         metaphysische Beantwortung aber zu nichts dienen wu&#x0364;rde. Man verlangt hier                         keine Beweise fu&#x0364;r die Wirklichkeit der außer uns befindlichen Dinge, sondern                         man will blos die Wege welche uns zu dieser Vorstellungsart leiten, und die                         psychologischen Gesetze kennen, nach denen wir etwas fu&#x0364;r außer uns wirklich                         halten; und dieses darum, damit wir die Ta&#x0364;uschung welche im Traume und in                         der Verru&#x0364;ktheit vorgehet, desto besser einsehen mo&#x0364;gen. </p>
            <p>Wir werden also einige Blicke in uns selbst werfen mu&#x0364;ssen, und mehr erfordert                         es in der That nicht, um folgendes wahrzunehmen: von vielen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0018] Wahnsinnige in dem Zustande ihrer groͤßten Verruͤcktheit manchmal sehr deutlich ein Bewußtseyn ihres Wahnsinnes zu erkennen. Um nun diese Erscheinungen zu erklaͤren, werde ich eine Frage aufwerfen, deren Beantwortung, wie man mit einem Blicke sehen wird, einiges Licht uͤber diesen Gegenstand verbreiten muß. Es fraͤgt sich nehmlich: da alle unsre Vorstellungen Beschaffenheiten unsers denkenden Wesens sind, woher kommt es, daß wir irgend etwas als ein Ding betrachten, welches außer uns wirklich ist, und so wenig von unsrer Vorstellung abhaͤngt, daß es noch fortdauern kann, wenn auch unser denkendes Wesen, und mit ihm alle unsre Gedanken zernichtet werden sollten? Ehe ich weiter ruͤcke, bemerke ich noch, daß zur gegenwaͤrtigen Absicht eine blos psychologische Beantwortung dieser Frage hinreichend ist; eine metaphysische Beantwortung aber zu nichts dienen wuͤrde. Man verlangt hier keine Beweise fuͤr die Wirklichkeit der außer uns befindlichen Dinge, sondern man will blos die Wege welche uns zu dieser Vorstellungsart leiten, und die psychologischen Gesetze kennen, nach denen wir etwas fuͤr außer uns wirklich halten; und dieses darum, damit wir die Taͤuschung welche im Traume und in der Verruͤktheit vorgehet, desto besser einsehen moͤgen. Wir werden also einige Blicke in uns selbst werfen muͤssen, und mehr erfordert es in der That nicht, um folgendes wahrzunehmen: von vielen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/18
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/18>, abgerufen am 26.04.2024.