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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.

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Vorstellungen sind wir uns genau bewußt, wie wir von den vorhergegangenen zu ihnen geleitet worden sind; von vielen andern wissen wir dieses zwar nicht, aber wir wissen doch überhaupt, daß eine stetige Fortrückung von Vorstellung zu Vorstellung nach dem Gesetze der Jdeenverkettung und Vergesellschaftung in uns statt gehabt hat. Wenn wir uns zum Beispiel auf etwas zu erinnern bemühen, so sind wir uns die große Menge von Vorstellungen, welche wir durchwandert haben, nicht bewußt; aber wir wissen überhaupt, daß wir sie durchwandert haben, und wenn die Erinnerung wirklich geschiehet, sie eine Folge aller vorhergegangenen Vorstellungen gewesen ist, welche nach dem oben angezeigten Gesetze in uns hervorgebracht worden sind.

Aus diesen Bemerkungen müssen wir natürlich den Schluß ziehen: alle Jdeen, welche blos in uns erzeugt werden, mithin alle Gedankendinge, sind eine Folge von vorhergegangenen Vorstellungen, und können nicht plötzlich, oder wie der Psycholog dies zu nennen pflegt, mittelst eines Sprunges entstehen.

Allein wir bemerken auch, daß es noch eine Art von Vorstellungen giebt, welche sich uns mit einemmale aufdringen, bei denen wir keine Spur eines stetigen oder vergesellschafteten Jdeenganges wahrnehmen, so daß in der ganzen vorhergegangenen Jdeenreihe, wenigstens unsrer Meinung nach, nichts enthalten war, welches darauf geleitet hätte.


Vorstellungen sind wir uns genau bewußt, wie wir von den vorhergegangenen zu ihnen geleitet worden sind; von vielen andern wissen wir dieses zwar nicht, aber wir wissen doch uͤberhaupt, daß eine stetige Fortruͤckung von Vorstellung zu Vorstellung nach dem Gesetze der Jdeenverkettung und Vergesellschaftung in uns statt gehabt hat. Wenn wir uns zum Beispiel auf etwas zu erinnern bemuͤhen, so sind wir uns die große Menge von Vorstellungen, welche wir durchwandert haben, nicht bewußt; aber wir wissen uͤberhaupt, daß wir sie durchwandert haben, und wenn die Erinnerung wirklich geschiehet, sie eine Folge aller vorhergegangenen Vorstellungen gewesen ist, welche nach dem oben angezeigten Gesetze in uns hervorgebracht worden sind.

Aus diesen Bemerkungen muͤssen wir natuͤrlich den Schluß ziehen: alle Jdeen, welche blos in uns erzeugt werden, mithin alle Gedankendinge, sind eine Folge von vorhergegangenen Vorstellungen, und koͤnnen nicht ploͤtzlich, oder wie der Psycholog dies zu nennen pflegt, mittelst eines Sprunges entstehen.

Allein wir bemerken auch, daß es noch eine Art von Vorstellungen giebt, welche sich uns mit einemmale aufdringen, bei denen wir keine Spur eines stetigen oder vergesellschafteten Jdeenganges wahrnehmen, so daß in der ganzen vorhergegangenen Jdeenreihe, wenigstens unsrer Meinung nach, nichts enthalten war, welches darauf geleitet haͤtte.

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[19/0019] Vorstellungen sind wir uns genau bewußt, wie wir von den vorhergegangenen zu ihnen geleitet worden sind; von vielen andern wissen wir dieses zwar nicht, aber wir wissen doch uͤberhaupt, daß eine stetige Fortruͤckung von Vorstellung zu Vorstellung nach dem Gesetze der Jdeenverkettung und Vergesellschaftung in uns statt gehabt hat. Wenn wir uns zum Beispiel auf etwas zu erinnern bemuͤhen, so sind wir uns die große Menge von Vorstellungen, welche wir durchwandert haben, nicht bewußt; aber wir wissen uͤberhaupt, daß wir sie durchwandert haben, und wenn die Erinnerung wirklich geschiehet, sie eine Folge aller vorhergegangenen Vorstellungen gewesen ist, welche nach dem oben angezeigten Gesetze in uns hervorgebracht worden sind. Aus diesen Bemerkungen muͤssen wir natuͤrlich den Schluß ziehen: alle Jdeen, welche blos in uns erzeugt werden, mithin alle Gedankendinge, sind eine Folge von vorhergegangenen Vorstellungen, und koͤnnen nicht ploͤtzlich, oder wie der Psycholog dies zu nennen pflegt, mittelst eines Sprunges entstehen. Allein wir bemerken auch, daß es noch eine Art von Vorstellungen giebt, welche sich uns mit einemmale aufdringen, bei denen wir keine Spur eines stetigen oder vergesellschafteten Jdeenganges wahrnehmen, so daß in der ganzen vorhergegangenen Jdeenreihe, wenigstens unsrer Meinung nach, nichts enthalten war, welches darauf geleitet haͤtte.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/19>, abgerufen am 29.03.2024.