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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789.

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über mehrere Zweige der Seelenlehre ein größeres Licht verbreiten, und uns zeigen, welcher erstaunlichen Erweiterung unsere Gesichtsbegriffe, die lediglich bei Taubstummen das Gehör ersetzen müssen, fähig sind, ohne daß die menschliche Seele eine Verminderung ihrer Denkkraft zu leiden scheint; nur müßte man die Taubstummen durch einen Unterricht im Schreiben auch zugleich so weit zu bringen suchen, daß sie die Entwickelung ihrer Begriffe selbst angeben könnten, damit man, was oft der Fall ist, in ihre Seele nichts hineindenkt, was doch nie darin existirt hat. Solche Versuche, die uns nach und nach die ganze Reihe ohne symbolische Kenntniß erzeugter Begriffe in der Seele des Taubstummen darstellen müßten, würden nach meiner Meinung zweckmäßiger seyn, als daß man sich so viel ungeheure Mühe giebt, jenen armen Menschen eine Menge dunkler theologischer Begriffe einzuquälen, die sie doch wohl nie ganz fassen können, und ihnen wohl gar ganz entbehrlich sind. Vornehmlich müßte man aber an den Taubstummen folgende Betrachtungen anstellen.

a) Wie sie durch eine Analogie ihrer Empfindungen und Vorstellungen zu Begriffen gelangen, welche andre Menschen bloß vermittelst des Gehörs bekommen; wie sie diese Begriffe, da ihnen das Vehikel symbolischer Wortverbindungen fehlt, an einander reihen, in


uͤber mehrere Zweige der Seelenlehre ein groͤßeres Licht verbreiten, und uns zeigen, welcher erstaunlichen Erweiterung unsere Gesichtsbegriffe, die lediglich bei Taubstummen das Gehoͤr ersetzen muͤssen, faͤhig sind, ohne daß die menschliche Seele eine Verminderung ihrer Denkkraft zu leiden scheint; nur muͤßte man die Taubstummen durch einen Unterricht im Schreiben auch zugleich so weit zu bringen suchen, daß sie die Entwickelung ihrer Begriffe selbst angeben koͤnnten, damit man, was oft der Fall ist, in ihre Seele nichts hineindenkt, was doch nie darin existirt hat. Solche Versuche, die uns nach und nach die ganze Reihe ohne symbolische Kenntniß erzeugter Begriffe in der Seele des Taubstummen darstellen muͤßten, wuͤrden nach meiner Meinung zweckmaͤßiger seyn, als daß man sich so viel ungeheure Muͤhe giebt, jenen armen Menschen eine Menge dunkler theologischer Begriffe einzuquaͤlen, die sie doch wohl nie ganz fassen koͤnnen, und ihnen wohl gar ganz entbehrlich sind. Vornehmlich muͤßte man aber an den Taubstummen folgende Betrachtungen anstellen.

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[12/0014] uͤber mehrere Zweige der Seelenlehre ein groͤßeres Licht verbreiten, und uns zeigen, welcher erstaunlichen Erweiterung unsere Gesichtsbegriffe, die lediglich bei Taubstummen das Gehoͤr ersetzen muͤssen, faͤhig sind, ohne daß die menschliche Seele eine Verminderung ihrer Denkkraft zu leiden scheint; nur muͤßte man die Taubstummen durch einen Unterricht im Schreiben auch zugleich so weit zu bringen suchen, daß sie die Entwickelung ihrer Begriffe selbst angeben koͤnnten, damit man, was oft der Fall ist, in ihre Seele nichts hineindenkt, was doch nie darin existirt hat. Solche Versuche, die uns nach und nach die ganze Reihe ohne symbolische Kenntniß erzeugter Begriffe in der Seele des Taubstummen darstellen muͤßten, wuͤrden nach meiner Meinung zweckmaͤßiger seyn, als daß man sich so viel ungeheure Muͤhe giebt, jenen armen Menschen eine Menge dunkler theologischer Begriffe einzuquaͤlen, die sie doch wohl nie ganz fassen koͤnnen, und ihnen wohl gar ganz entbehrlich sind. Vornehmlich muͤßte man aber an den Taubstummen folgende Betrachtungen anstellen. a) Wie sie durch eine Analogie ihrer Empfindungen und Vorstellungen zu Begriffen gelangen, welche andre Menschen bloß vermittelst des Gehoͤrs bekommen; wie sie diese Begriffe, da ihnen das Vehikel symbolischer Wortverbindungen fehlt, an einander reihen, in

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0701_1789/14>, abgerufen am 26.04.2024.