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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788.

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sonnene Rabenvater,
der weder für seine Frau, noch Kinder gesorgt hat. item. Am jüngsten Tage wolle sie sagen: hier ist der gottlose Rabenvater, richte ihn Gott nach dem strengsten! denn er hat die Hölle an mir verdient; noch weiter und immer fort plagte sie ihn mit bittern Vorwürfen, daß er ein alter unverständiger Rabenvater, und daß er werth sey, daß man Leute kommen und ihn mit Steknadeln zerkratzen ließe. Aus diesen anhaltenden Zänkereien und Beängstigungen, wovon ihm immer seine Gedanken vergangen und welcher Unfriede mit seinem Eheweibe 4 bis 5 Monat fortgedauert, sey endlich die Verzweifelung und der Wunsch entstanden, daß sein Leben ein Ende nehmen möchte. Er wäre bei diesen Plagen denn auch zugleich mißtrauisch auf die göttliche Vorsorge geworden, der Gedanke daß er und sein Weib nicht mehr von den halben Einkünften der Pfarre hätten leben können, ferner daß nach seinem Tode sein Weib würde Noth und Schimpf leiden müssen, hätte nun vollends alles dazu beigetragen, sich sowohl, als sein Weib aus der Welt hinaus zu schaffen, -- sich, um sich von seinen vielen Plagen und bei seiner langen Blindheit ausgestandenen Lebensüberdruß zu befreien, sein Weib, um sie vor aller künftigen Noth zu sichern. Es sey demnach in ihm der veste Vorsatz entstanden, sein Eheweib zu ermorden, und sich den Händen der Obrigkeit zu überliefern, damit auch er von der Welt käme, und aller seiner tägli-


sonnene Rabenvater,
der weder fuͤr seine Frau, noch Kinder gesorgt hat. item. Am juͤngsten Tage wolle sie sagen: hier ist der gottlose Rabenvater, richte ihn Gott nach dem strengsten! denn er hat die Hoͤlle an mir verdient; noch weiter und immer fort plagte sie ihn mit bittern Vorwuͤrfen, daß er ein alter unverstaͤndiger Rabenvater, und daß er werth sey, daß man Leute kommen und ihn mit Steknadeln zerkratzen ließe. Aus diesen anhaltenden Zaͤnkereien und Beaͤngstigungen, wovon ihm immer seine Gedanken vergangen und welcher Unfriede mit seinem Eheweibe 4 bis 5 Monat fortgedauert, sey endlich die Verzweifelung und der Wunsch entstanden, daß sein Leben ein Ende nehmen moͤchte. Er waͤre bei diesen Plagen denn auch zugleich mißtrauisch auf die goͤttliche Vorsorge geworden, der Gedanke daß er und sein Weib nicht mehr von den halben Einkuͤnften der Pfarre haͤtten leben koͤnnen, ferner daß nach seinem Tode sein Weib wuͤrde Noth und Schimpf leiden muͤssen, haͤtte nun vollends alles dazu beigetragen, sich sowohl, als sein Weib aus der Welt hinaus zu schaffen, — sich, um sich von seinen vielen Plagen und bei seiner langen Blindheit ausgestandenen Lebensuͤberdruß zu befreien, sein Weib, um sie vor aller kuͤnftigen Noth zu sichern. Es sey demnach in ihm der veste Vorsatz entstanden, sein Eheweib zu ermorden, und sich den Haͤnden der Obrigkeit zu uͤberliefern, damit auch er von der Welt kaͤme, und aller seiner taͤgli-

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[30/0030] sonnene Rabenvater, der weder fuͤr seine Frau, noch Kinder gesorgt hat. item. Am juͤngsten Tage wolle sie sagen: hier ist der gottlose Rabenvater, richte ihn Gott nach dem strengsten! denn er hat die Hoͤlle an mir verdient; noch weiter und immer fort plagte sie ihn mit bittern Vorwuͤrfen, daß er ein alter unverstaͤndiger Rabenvater, und daß er werth sey, daß man Leute kommen und ihn mit Steknadeln zerkratzen ließe. Aus diesen anhaltenden Zaͤnkereien und Beaͤngstigungen, wovon ihm immer seine Gedanken vergangen und welcher Unfriede mit seinem Eheweibe 4 bis 5 Monat fortgedauert, sey endlich die Verzweifelung und der Wunsch entstanden, daß sein Leben ein Ende nehmen moͤchte. Er waͤre bei diesen Plagen denn auch zugleich mißtrauisch auf die goͤttliche Vorsorge geworden, der Gedanke daß er und sein Weib nicht mehr von den halben Einkuͤnften der Pfarre haͤtten leben koͤnnen, ferner daß nach seinem Tode sein Weib wuͤrde Noth und Schimpf leiden muͤssen, haͤtte nun vollends alles dazu beigetragen, sich sowohl, als sein Weib aus der Welt hinaus zu schaffen, — sich, um sich von seinen vielen Plagen und bei seiner langen Blindheit ausgestandenen Lebensuͤberdruß zu befreien, sein Weib, um sie vor aller kuͤnftigen Noth zu sichern. Es sey demnach in ihm der veste Vorsatz entstanden, sein Eheweib zu ermorden, und sich den Haͤnden der Obrigkeit zu uͤberliefern, damit auch er von der Welt kaͤme, und aller seiner taͤgli-

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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/30>, abgerufen am 26.04.2024.