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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.

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Betreffen diese zu lebhaft gedachten und mit übertriebener Wärme bearbeiteten Jdeen Dinge von Wichtigkeit, z.B. menschenfreundliche Vorschläge, praktische Aussichten, oder Plane zum Wohl der Menschheit; so erheben wir den liebenswürdigen Schwärmer zu einem liebenswürdigen Enthusiasten. Sind es aber Kleinigkeiten, oder überhaupt nur sehr eingeschränkt interessirende Dinge, wofür sich der Kopf eines Menschen erhitzt; so zeichnen wir ihn mit dem Namen eines Fantasten.

Geht der Schwärmer (vorzüglich in Sachen des theologischen Lehrsystems) so weit, daß er Gott und Religion in sein Jnteresse hineinflicht, und mit Hintansetzung alles dessen, was gerecht, gut und edel unter den Menschen heißt, den irdischen Hindernissen trotzet; dann erhält er den Namen Fanatiker.

Diese Aeußerungen der Schwärmerey, die so mannigfaltig und dem ersten Ansehn nach von einander verschieden sind; aber wie wir nachher bemerken werden, nur zu leicht sich einander erzeugen -- wie entstehen sie, wie können sie selbst bey großen weltklugen Leuten herrschendes Jdeensystem werden? --

Die menschliche Seele ist durch ihre Organisation fähig, aus der fortgehenden Reihe ihrer Jdeen irgendeine abzusondern und auszuheben, und zu dem anfangenden Gliede einer neuen Kette zu ma-


Betreffen diese zu lebhaft gedachten und mit uͤbertriebener Waͤrme bearbeiteten Jdeen Dinge von Wichtigkeit, z.B. menschenfreundliche Vorschlaͤge, praktische Aussichten, oder Plane zum Wohl der Menschheit; so erheben wir den liebenswuͤrdigen Schwaͤrmer zu einem liebenswuͤrdigen Enthusiasten. Sind es aber Kleinigkeiten, oder uͤberhaupt nur sehr eingeschraͤnkt interessirende Dinge, wofuͤr sich der Kopf eines Menschen erhitzt; so zeichnen wir ihn mit dem Namen eines Fantasten.

Geht der Schwaͤrmer (vorzuͤglich in Sachen des theologischen Lehrsystems) so weit, daß er Gott und Religion in sein Jnteresse hineinflicht, und mit Hintansetzung alles dessen, was gerecht, gut und edel unter den Menschen heißt, den irdischen Hindernissen trotzet; dann erhaͤlt er den Namen Fanatiker.

Diese Aeußerungen der Schwaͤrmerey, die so mannigfaltig und dem ersten Ansehn nach von einander verschieden sind; aber wie wir nachher bemerken werden, nur zu leicht sich einander erzeugen — wie entstehen sie, wie koͤnnen sie selbst bey großen weltklugen Leuten herrschendes Jdeensystem werden? —

Die menschliche Seele ist durch ihre Organisation faͤhig, aus der fortgehenden Reihe ihrer Jdeen irgendeine abzusondern und auszuheben, und zu dem anfangenden Gliede einer neuen Kette zu ma-

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[29/0029] Betreffen diese zu lebhaft gedachten und mit uͤbertriebener Waͤrme bearbeiteten Jdeen Dinge von Wichtigkeit, z.B. menschenfreundliche Vorschlaͤge, praktische Aussichten, oder Plane zum Wohl der Menschheit; so erheben wir den liebenswuͤrdigen Schwaͤrmer zu einem liebenswuͤrdigen Enthusiasten. Sind es aber Kleinigkeiten, oder uͤberhaupt nur sehr eingeschraͤnkt interessirende Dinge, wofuͤr sich der Kopf eines Menschen erhitzt; so zeichnen wir ihn mit dem Namen eines Fantasten. Geht der Schwaͤrmer (vorzuͤglich in Sachen des theologischen Lehrsystems) so weit, daß er Gott und Religion in sein Jnteresse hineinflicht, und mit Hintansetzung alles dessen, was gerecht, gut und edel unter den Menschen heißt, den irdischen Hindernissen trotzet; dann erhaͤlt er den Namen Fanatiker. Diese Aeußerungen der Schwaͤrmerey, die so mannigfaltig und dem ersten Ansehn nach von einander verschieden sind; aber wie wir nachher bemerken werden, nur zu leicht sich einander erzeugen — wie entstehen sie, wie koͤnnen sie selbst bey großen weltklugen Leuten herrschendes Jdeensystem werden? — Die menschliche Seele ist durch ihre Organisation faͤhig, aus der fortgehenden Reihe ihrer Jdeen irgendeine abzusondern und auszuheben, und zu dem anfangenden Gliede einer neuen Kette zu ma-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/29>, abgerufen am 26.04.2024.