Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Noch ein Beispiel einer schwärmerischen Sehnsucht nach dem Tode, und damit verknüpften Lebensüberdrusses bei einer Frau, die durch ein vielleicht zu hartes Zureden des Predigers im Beichtstuhle, durch verschiedne biblische Sprüche, und ein schwärmerisches Lied, das sie sang, sich in dem Kopf setzte, sie habe einen Beruf zu sterben, und sie wolle und müsse sterben, wobei ihre Blicke wild und ihre Mienen bitter ernsthaft waren -- ein merkwürdiger Umstand, der die nothwendige Stimmung der Seele bei allen denen, die im eigentlichen Verstande sterben wollen, auszudrücken scheint. -- Bei dieser Frau kam aber freilich auch körperliche Krankheit dazu. Sie ist nachher völlig wieder hergestellt worden. -- Hier ist also wiederum ein Beispiel des Lebensüberdrusses aus blosser religiöser Schwärmerei.


Jm dritten Stück des zweiten Bandes pag. 3 finde ich noch ein Beispiel vom Lebensüberdruß, das sich auf die äußre Lage zu gründen schien, worin sich die Person, welche die Bürde des Lebens abwarf, befand.

Es war eine junge Frau von fünfundzwanzig Jahren, bis in ihr 23stes Jahr von einer Schwärmerin erzogen; ihr Mann kam ihr zu gleichgültig vor; sie war denen, die sie umgaben, lästig, weil sie weder Geschicklichkeit noch Aufmunterung


Noch ein Beispiel einer schwaͤrmerischen Sehnsucht nach dem Tode, und damit verknuͤpften Lebensuͤberdrusses bei einer Frau, die durch ein vielleicht zu hartes Zureden des Predigers im Beichtstuhle, durch verschiedne biblische Spruͤche, und ein schwaͤrmerisches Lied, das sie sang, sich in dem Kopf setzte, sie habe einen Beruf zu sterben, und sie wolle und muͤsse sterben, wobei ihre Blicke wild und ihre Mienen bitter ernsthaft waren — ein merkwuͤrdiger Umstand, der die nothwendige Stimmung der Seele bei allen denen, die im eigentlichen Verstande sterben wollen, auszudruͤcken scheint. — Bei dieser Frau kam aber freilich auch koͤrperliche Krankheit dazu. Sie ist nachher voͤllig wieder hergestellt worden. — Hier ist also wiederum ein Beispiel des Lebensuͤberdrusses aus blosser religioͤser Schwaͤrmerei.


Jm dritten Stuͤck des zweiten Bandes pag. 3 finde ich noch ein Beispiel vom Lebensuͤberdruß, das sich auf die aͤußre Lage zu gruͤnden schien, worin sich die Person, welche die Buͤrde des Lebens abwarf, befand.

Es war eine junge Frau von fuͤnfundzwanzig Jahren, bis in ihr 23stes Jahr von einer Schwaͤrmerin erzogen; ihr Mann kam ihr zu gleichguͤltig vor; sie war denen, die sie umgaben, laͤstig, weil sie weder Geschicklichkeit noch Aufmunterung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0032" n="30"/><lb/>
            <p>Noch ein Beispiel einer schwa&#x0364;rmerischen Sehnsucht nach dem Tode,                   und damit verknu&#x0364;pften <hi rendition="#b">Lebensu&#x0364;berdrusses</hi> bei einer <hi rendition="#b">Frau,</hi> die durch ein vielleicht zu <hi rendition="#b">hartes                      Zureden</hi> des Predigers im <hi rendition="#b">Beichtstuhle,</hi> durch <hi rendition="#b">verschiedne biblische Spru&#x0364;che,</hi> und ein <hi rendition="#b">schwa&#x0364;rmerisches Lied,</hi> das sie sang, sich in dem Kopf setzte,                   sie <hi rendition="#b">habe einen Beruf zu sterben,</hi> und sie wolle und mu&#x0364;sse                   sterben, wobei <hi rendition="#b">ihre Blicke wild</hi> und <hi rendition="#b">ihre Mienen bitter ernsthaft waren</hi> &#x2014; ein merkwu&#x0364;rdiger Umstand, der die                   nothwendige Stimmung der Seele bei allen denen, die im eigentlichen Verstande                   sterben <hi rendition="#b">wollen,</hi> auszudru&#x0364;cken scheint. &#x2014; Bei dieser Frau                   kam aber freilich auch ko&#x0364;rperliche Krankheit dazu. Sie ist nachher vo&#x0364;llig wieder                   hergestellt worden. &#x2014; Hier ist also wiederum ein Beispiel des Lebensu&#x0364;berdrusses                   aus blosser <hi rendition="#b">religio&#x0364;ser Schwa&#x0364;rmerei.</hi> </p>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Jm dritten Stu&#x0364;ck des zweiten Bandes pag. 3 finde ich noch ein                   Beispiel vom <hi rendition="#b">Lebensu&#x0364;berdruß,</hi> das sich auf die <hi rendition="#b">a&#x0364;ußre Lage</hi> zu gru&#x0364;nden schien, worin sich die Person, welche                   die Bu&#x0364;rde des Lebens abwarf, befand. </p>
            <p>Es war eine junge Frau von fu&#x0364;nfundzwanzig Jahren, bis in ihr 23stes Jahr von einer                   Schwa&#x0364;rmerin erzogen; ihr <hi rendition="#b">Mann kam ihr zu gleichgu&#x0364;ltig vor; sie                      war denen,</hi> die sie umgaben, la&#x0364;stig, weil sie weder Geschicklichkeit noch                   Aufmunterung<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0032] Noch ein Beispiel einer schwaͤrmerischen Sehnsucht nach dem Tode, und damit verknuͤpften Lebensuͤberdrusses bei einer Frau, die durch ein vielleicht zu hartes Zureden des Predigers im Beichtstuhle, durch verschiedne biblische Spruͤche, und ein schwaͤrmerisches Lied, das sie sang, sich in dem Kopf setzte, sie habe einen Beruf zu sterben, und sie wolle und muͤsse sterben, wobei ihre Blicke wild und ihre Mienen bitter ernsthaft waren — ein merkwuͤrdiger Umstand, der die nothwendige Stimmung der Seele bei allen denen, die im eigentlichen Verstande sterben wollen, auszudruͤcken scheint. — Bei dieser Frau kam aber freilich auch koͤrperliche Krankheit dazu. Sie ist nachher voͤllig wieder hergestellt worden. — Hier ist also wiederum ein Beispiel des Lebensuͤberdrusses aus blosser religioͤser Schwaͤrmerei. Jm dritten Stuͤck des zweiten Bandes pag. 3 finde ich noch ein Beispiel vom Lebensuͤberdruß, das sich auf die aͤußre Lage zu gruͤnden schien, worin sich die Person, welche die Buͤrde des Lebens abwarf, befand. Es war eine junge Frau von fuͤnfundzwanzig Jahren, bis in ihr 23stes Jahr von einer Schwaͤrmerin erzogen; ihr Mann kam ihr zu gleichguͤltig vor; sie war denen, die sie umgaben, laͤstig, weil sie weder Geschicklichkeit noch Aufmunterung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786/32
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786/32>, abgerufen am 26.04.2024.