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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.

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Jst aber auch dieß Entstehen der Handlung noch nicht einmal wirklich, so bezeichne ich diese Ungewißheit durch einen halben, schwankenden Ton, und sage anstatt, ich werde rufen, ich würde rufen, u.s.w. --

Wenn wir nun blos sagen, ich werde rufen, so rufen wir oder handeln wir noch nicht wirklich, sondern so lange die Handlung noch in uns entsteht, verhalten wir uns gleichsam unthätig.

Daher kömmt es nun, daß wir uns durch den Mittelbegriff von werden auch das unthätige Verhältniß denken, worinn wir uns befinden, wenn wir nicht selbst handeln, sondern die Handlung eines andern auf uns übergeht, und daß wir also z.B. sagen, ich werde geliebt, ich werde gerufen.

Daß aber in diesen Falle die übergegangne Handlung durch die Silbe ge bezeichnet wird, erklärt sich sehr natürlich daraus, daß man sich, so wie bei der vergangnen Zeit, die Handlung schon wie vollständig oder gewissermaßen wie vollendet denken kann, sobald sie auf ihren Gegenstand schon wirklich übergegangen ist.

Weil aber das Werden etwas ist, was nicht von mir ausgeht, sondern gleichsam in mir selber bleibt, so kann ich auch nicht sagen, ich habe geworden, sondern, ich bin geworden: allein man sagt demohngeachtet, vielleicht des Wohlklangs wegen, nicht, ich bin geliebt geworden, sondern, ich bin geliebt worden.



Jst aber auch dieß Entstehen der Handlung noch nicht einmal wirklich, so bezeichne ich diese Ungewißheit durch einen halben, schwankenden Ton, und sage anstatt, ich werde rufen, ich wuͤrde rufen, u.s.w. ―

Wenn wir nun blos sagen, ich werde rufen, so rufen wir oder handeln wir noch nicht wirklich, sondern so lange die Handlung noch in uns entsteht, verhalten wir uns gleichsam unthaͤtig.

Daher koͤmmt es nun, daß wir uns durch den Mittelbegriff von werden auch das unthaͤtige Verhaͤltniß denken, worinn wir uns befinden, wenn wir nicht selbst handeln, sondern die Handlung eines andern auf uns uͤbergeht, und daß wir also z.B. sagen, ich werde geliebt, ich werde gerufen.

Daß aber in diesen Falle die uͤbergegangne Handlung durch die Silbe ge bezeichnet wird, erklaͤrt sich sehr natuͤrlich daraus, daß man sich, so wie bei der vergangnen Zeit, die Handlung schon wie vollstaͤndig oder gewissermaßen wie vollendet denken kann, sobald sie auf ihren Gegenstand schon wirklich uͤbergegangen ist.

Weil aber das Werden etwas ist, was nicht von mir ausgeht, sondern gleichsam in mir selber bleibt, so kann ich auch nicht sagen, ich habe geworden, sondern, ich bin geworden: allein man sagt demohngeachtet, vielleicht des Wohlklangs wegen, nicht, ich bin geliebt geworden, sondern, ich bin geliebt worden.


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[112/0112] Jst aber auch dieß Entstehen der Handlung noch nicht einmal wirklich, so bezeichne ich diese Ungewißheit durch einen halben, schwankenden Ton, und sage anstatt, ich werde rufen, ich wuͤrde rufen, u.s.w. ― Wenn wir nun blos sagen, ich werde rufen, so rufen wir oder handeln wir noch nicht wirklich, sondern so lange die Handlung noch in uns entsteht, verhalten wir uns gleichsam unthaͤtig. Daher koͤmmt es nun, daß wir uns durch den Mittelbegriff von werden auch das unthaͤtige Verhaͤltniß denken, worinn wir uns befinden, wenn wir nicht selbst handeln, sondern die Handlung eines andern auf uns uͤbergeht, und daß wir also z.B. sagen, ich werde geliebt, ich werde gerufen. Daß aber in diesen Falle die uͤbergegangne Handlung durch die Silbe ge bezeichnet wird, erklaͤrt sich sehr natuͤrlich daraus, daß man sich, so wie bei der vergangnen Zeit, die Handlung schon wie vollstaͤndig oder gewissermaßen wie vollendet denken kann, sobald sie auf ihren Gegenstand schon wirklich uͤbergegangen ist. Weil aber das Werden etwas ist, was nicht von mir ausgeht, sondern gleichsam in mir selber bleibt, so kann ich auch nicht sagen, ich habe geworden, sondern, ich bin geworden: allein man sagt demohngeachtet, vielleicht des Wohlklangs wegen, nicht, ich bin geliebt geworden, sondern, ich bin geliebt worden.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/112>, abgerufen am 26.04.2024.