Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite
VIII.
Verschiedenheit unserer Empfindungen bei
der Vorstellung vom Tode.

Berlin den 5ten November 1782.

Jch habe mich in den Jahren meiner ersten Jugend
stets einer blühenden Gesundheit zu erfreuen gehabt.
Jch wußte selbst nichts, weder von eigentlichen
Krankheiten, noch andern Unpäßlichkeiten und
Schmerzen des Körpers. Aber ich konnt's auch
nicht begreifen, wenn andre um und neben mir
über etwas klagten, oder gar sich ungebärdig stell-
ten, wovon ich noch bisher nicht das mindeste Ge-
fühl gehabt hatte.

Jch konnte mich nicht enthalten, alsdann
meine große Verwundrung darüber zu erkennen zu
geben, oder wohl gar zuweilen in ein muthwilliges
Gelächter auszubrechen, wenn ich, besonders ält-
liche Personen, über wer weiß was alles für Stiche,
Reissen in Gliedern, Hitze und Frost im Körper,
oder irgend einen andern Schmerz, sich bekla-
gen hörte.

Kurz, ich stand in dem Wahn, das sei nichts
wie Einbildung der Leute. An den Tod und die
verschiedenen Arten desselben unter den Menschen
dacht' ich entweder gar nicht, oder wenn ich ja
von aussen her daran zu denken genöthigt ward, ge-
schah's

schah's
F3
VIII.
Verschiedenheit unserer Empfindungen bei
der Vorstellung vom Tode.

Berlin den 5ten November 1782.

Jch habe mich in den Jahren meiner ersten Jugend
stets einer bluͤhenden Gesundheit zu erfreuen gehabt.
Jch wußte selbst nichts, weder von eigentlichen
Krankheiten, noch andern Unpaͤßlichkeiten und
Schmerzen des Koͤrpers. Aber ich konnt's auch
nicht begreifen, wenn andre um und neben mir
uͤber etwas klagten, oder gar sich ungebaͤrdig stell-
ten, wovon ich noch bisher nicht das mindeste Ge-
fuͤhl gehabt hatte.

Jch konnte mich nicht enthalten, alsdann
meine große Verwundrung daruͤber zu erkennen zu
geben, oder wohl gar zuweilen in ein muthwilliges
Gelaͤchter auszubrechen, wenn ich, besonders aͤlt-
liche Personen, uͤber wer weiß was alles fuͤr Stiche,
Reissen in Gliedern, Hitze und Frost im Koͤrper,
oder irgend einen andern Schmerz, sich bekla-
gen hoͤrte.

Kurz, ich stand in dem Wahn, das sei nichts
wie Einbildung der Leute. An den Tod und die
verschiedenen Arten desselben unter den Menschen
dacht' ich entweder gar nicht, oder wenn ich ja
von aussen her daran zu denken genoͤthigt ward, ge-
schah's

schah's
F3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0089" n="85"/>
        <div n="2">
          <head rendition="#c"> <hi rendition="#b">VIII.<lb/>
Verschiedenheit unserer Empfindungen bei<lb/>
der Vorstellung vom
                      Tode.</hi> </head><lb/>
          <p> <hi rendition="#right">Berlin den 5ten November 1782.</hi> </p><lb/>
          <p><hi rendition="#in">J</hi>ch habe mich in den Jahren meiner ersten
                   Jugend<lb/>
stets einer blu&#x0364;henden Gesundheit zu erfreuen gehabt.<lb/>
Jch
                   wußte selbst nichts, weder von eigentlichen<lb/>
Krankheiten, noch andern
                   Unpa&#x0364;ßlichkeiten und<lb/>
Schmerzen des Ko&#x0364;rpers. Aber ich
                   konnt's auch<lb/>
nicht begreifen, wenn andre um und neben
                   mir<lb/>
u&#x0364;ber etwas klagten, oder gar sich ungeba&#x0364;rdig
                   stell-<lb/>
ten, wovon ich noch bisher nicht das mindeste Ge-<lb/>
fu&#x0364;hl
                   gehabt hatte.</p><lb/>
          <p>Jch konnte mich nicht enthalten, alsdann<lb/>
meine große Verwundrung daru&#x0364;ber zu
                   erkennen zu<lb/>
geben, oder wohl gar zuweilen in ein
                   muthwilliges<lb/>
Gela&#x0364;chter auszubrechen, wenn ich, besonders
                   a&#x0364;lt-<lb/>
liche Personen, u&#x0364;ber wer weiß was alles fu&#x0364;r
                   Stiche,<lb/>
Reissen in Gliedern, Hitze und Frost im Ko&#x0364;rper,<lb/>
oder
                   irgend einen andern Schmerz, sich bekla-<lb/>
gen ho&#x0364;rte.</p><lb/>
          <p>Kurz, ich stand in dem Wahn, das sei nichts<lb/>
wie Einbildung der Leute. An den Tod und
                   die<lb/>
verschiedenen Arten desselben unter den Menschen<lb/>
dacht' ich
                   entweder gar nicht, oder wenn ich ja<lb/>
von aussen her daran zu denken
                   geno&#x0364;thigt ward, ge-<lb/>
schah's<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F3</fw>
                   <fw place="bottom" type="catch">schah's</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0089] VIII. Verschiedenheit unserer Empfindungen bei der Vorstellung vom Tode. Berlin den 5ten November 1782. Jch habe mich in den Jahren meiner ersten Jugend stets einer bluͤhenden Gesundheit zu erfreuen gehabt. Jch wußte selbst nichts, weder von eigentlichen Krankheiten, noch andern Unpaͤßlichkeiten und Schmerzen des Koͤrpers. Aber ich konnt's auch nicht begreifen, wenn andre um und neben mir uͤber etwas klagten, oder gar sich ungebaͤrdig stell- ten, wovon ich noch bisher nicht das mindeste Ge- fuͤhl gehabt hatte. Jch konnte mich nicht enthalten, alsdann meine große Verwundrung daruͤber zu erkennen zu geben, oder wohl gar zuweilen in ein muthwilliges Gelaͤchter auszubrechen, wenn ich, besonders aͤlt- liche Personen, uͤber wer weiß was alles fuͤr Stiche, Reissen in Gliedern, Hitze und Frost im Koͤrper, oder irgend einen andern Schmerz, sich bekla- gen hoͤrte. Kurz, ich stand in dem Wahn, das sei nichts wie Einbildung der Leute. An den Tod und die verschiedenen Arten desselben unter den Menschen dacht' ich entweder gar nicht, oder wenn ich ja von aussen her daran zu denken genoͤthigt ward, ge- schah's schah's F3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning, Marc Kuse, Justus-Liebig-Universität: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2013-06-06T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jurgita Baranauskaite, Justus-Liebig-Universität: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2013-06-06T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-06-06T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/89
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/89>, abgerufen am 21.12.2024.