Der Zweck des Rechtsstaates hat keineswegs eine bestimmte Form der Regierung zur nothwendigen Folge; vielmehr kann jede Gestaltung der Staatsgewalt, welche eine Förderung der sämmtlichen menschlichen Lebenszwecke erlaubt und in Aussicht stellt, rechtlich stattfinden. Nur eine Frage der Zweckmäßigkeit ist es somit, welche von den verschiedenen möglichen Formen den Vorzug verdiene, und es ist auch die Reihe der rechtlich möglichen Arten noch keineswegs als für immer abgeschlossen zu betrachten.
Bis jetzt sind drei verschiedene Hauptarten von Einrich- tungen 1) aufgefunden worden, von welchen zwei wieder in Unterarten zerfallen. Entweder nämlich steht die Staatsgewalt dem Volke, d. h. den sämmtlichen zur Ausübung politischer Rechte nach den Gesetzen des concreten Staates befähigten Staatsbürgern, zu; wobei denn wieder der wichtige Unterschied stattfindet, daß in der reinen Demokratie die Berechtigten in einer großen Versammlung zusammentreten, zu Berathungen und Beschlußnahmen, in der Volksherrschaft mit Vertretung dagegen die Bürger zunächst aus ihrer Mitte eine verhältniß- mäßig kleine Anzahl von Stellvertretern wählen, welchen so- dann die Ausübung der dem Volke zustehenden Rechte über- lassen wird. -- Oder aber steht die höchste Gewalt einer klei- neren Anzahl von ausschließlich berechtigten Geschlechtern zu, welche dieselbe gemeinschaftlich führen. Der Grund dieser Be- rechtigung kann ein verschiedener sein, z. B. Abstammung von bestimmten Vorältern, oder Besitz einer bezeichneten Art und Größe von Vermögen; aber der Gedanke der ausschließlichen Bevorzugung ist immer derselbe 2). -- Oder endlich ist der In- haber der Staatsgewalt ein, sei es durch Wahl sei es durch
§ 45. b. Die einzelnen Arten des Rechtsſtaates.
Der Zweck des Rechtsſtaates hat keineswegs eine beſtimmte Form der Regierung zur nothwendigen Folge; vielmehr kann jede Geſtaltung der Staatsgewalt, welche eine Förderung der ſämmtlichen menſchlichen Lebenszwecke erlaubt und in Ausſicht ſtellt, rechtlich ſtattfinden. Nur eine Frage der Zweckmäßigkeit iſt es ſomit, welche von den verſchiedenen möglichen Formen den Vorzug verdiene, und es iſt auch die Reihe der rechtlich möglichen Arten noch keineswegs als für immer abgeſchloſſen zu betrachten.
Bis jetzt ſind drei verſchiedene Hauptarten von Einrich- tungen 1) aufgefunden worden, von welchen zwei wieder in Unterarten zerfallen. Entweder nämlich ſteht die Staatsgewalt dem Volke, d. h. den ſämmtlichen zur Ausübung politiſcher Rechte nach den Geſetzen des concreten Staates befähigten Staatsbürgern, zu; wobei denn wieder der wichtige Unterſchied ſtattfindet, daß in der reinen Demokratie die Berechtigten in einer großen Verſammlung zuſammentreten, zu Berathungen und Beſchlußnahmen, in der Volksherrſchaft mit Vertretung dagegen die Bürger zunächſt aus ihrer Mitte eine verhältniß- mäßig kleine Anzahl von Stellvertretern wählen, welchen ſo- dann die Ausübung der dem Volke zuſtehenden Rechte über- laſſen wird. — Oder aber ſteht die höchſte Gewalt einer klei- neren Anzahl von ausſchließlich berechtigten Geſchlechtern zu, welche dieſelbe gemeinſchaftlich führen. Der Grund dieſer Be- rechtigung kann ein verſchiedener ſein, z. B. Abſtammung von beſtimmten Vorältern, oder Beſitz einer bezeichneten Art und Größe von Vermögen; aber der Gedanke der ausſchließlichen Bevorzugung iſt immer derſelbe 2). — Oder endlich iſt der In- haber der Staatsgewalt ein, ſei es durch Wahl ſei es durch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><pbfacs="#f0347"n="333"/><divn="7"><head>§ 45.<lb/><hirendition="#b"><hirendition="#aq">b.</hi> Die einzelnen Arten des Rechtsſtaates.</hi></head><lb/><p>Der Zweck des Rechtsſtaates hat keineswegs eine beſtimmte<lb/>
Form der Regierung zur nothwendigen Folge; vielmehr kann<lb/>
jede Geſtaltung der Staatsgewalt, welche eine Förderung der<lb/>ſämmtlichen menſchlichen Lebenszwecke erlaubt und in Ausſicht<lb/>ſtellt, rechtlich ſtattfinden. Nur eine Frage der Zweckmäßigkeit<lb/>
iſt es ſomit, welche von den verſchiedenen möglichen Formen<lb/>
den Vorzug verdiene, und es iſt auch die Reihe der rechtlich<lb/>
möglichen Arten noch keineswegs als für immer abgeſchloſſen<lb/>
zu betrachten.</p><lb/><p>Bis jetzt ſind drei verſchiedene Hauptarten von Einrich-<lb/>
tungen <hirendition="#sup">1</hi>) aufgefunden worden, von welchen zwei wieder in<lb/>
Unterarten zerfallen. Entweder nämlich ſteht die Staatsgewalt<lb/>
dem <hirendition="#g">Volke</hi>, d. h. den ſämmtlichen zur Ausübung politiſcher<lb/>
Rechte nach den Geſetzen des concreten Staates befähigten<lb/>
Staatsbürgern, zu; wobei denn wieder der wichtige Unterſchied<lb/>ſtattfindet, daß in der <hirendition="#g">reinen</hi> Demokratie die Berechtigten in<lb/>
einer großen Verſammlung zuſammentreten, zu Berathungen<lb/>
und Beſchlußnahmen, in der Volksherrſchaft mit <hirendition="#g">Vertretung</hi><lb/>
dagegen die Bürger zunächſt aus ihrer Mitte eine verhältniß-<lb/>
mäßig kleine Anzahl von Stellvertretern wählen, welchen ſo-<lb/>
dann die Ausübung der dem Volke zuſtehenden Rechte über-<lb/>
laſſen wird. — Oder aber ſteht die höchſte Gewalt einer klei-<lb/>
neren Anzahl von ausſchließlich berechtigten Geſchlechtern zu,<lb/>
welche dieſelbe gemeinſchaftlich führen. Der Grund dieſer Be-<lb/>
rechtigung kann ein verſchiedener ſein, z. B. Abſtammung von<lb/>
beſtimmten Vorältern, oder Beſitz einer bezeichneten Art und<lb/>
Größe von Vermögen; aber der Gedanke der ausſchließlichen<lb/>
Bevorzugung iſt immer derſelbe <hirendition="#sup">2</hi>). — Oder endlich iſt der In-<lb/>
haber der Staatsgewalt ein, ſei es durch Wahl ſei es durch<lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[333/0347]
§ 45.
b. Die einzelnen Arten des Rechtsſtaates.
Der Zweck des Rechtsſtaates hat keineswegs eine beſtimmte
Form der Regierung zur nothwendigen Folge; vielmehr kann
jede Geſtaltung der Staatsgewalt, welche eine Förderung der
ſämmtlichen menſchlichen Lebenszwecke erlaubt und in Ausſicht
ſtellt, rechtlich ſtattfinden. Nur eine Frage der Zweckmäßigkeit
iſt es ſomit, welche von den verſchiedenen möglichen Formen
den Vorzug verdiene, und es iſt auch die Reihe der rechtlich
möglichen Arten noch keineswegs als für immer abgeſchloſſen
zu betrachten.
Bis jetzt ſind drei verſchiedene Hauptarten von Einrich-
tungen 1) aufgefunden worden, von welchen zwei wieder in
Unterarten zerfallen. Entweder nämlich ſteht die Staatsgewalt
dem Volke, d. h. den ſämmtlichen zur Ausübung politiſcher
Rechte nach den Geſetzen des concreten Staates befähigten
Staatsbürgern, zu; wobei denn wieder der wichtige Unterſchied
ſtattfindet, daß in der reinen Demokratie die Berechtigten in
einer großen Verſammlung zuſammentreten, zu Berathungen
und Beſchlußnahmen, in der Volksherrſchaft mit Vertretung
dagegen die Bürger zunächſt aus ihrer Mitte eine verhältniß-
mäßig kleine Anzahl von Stellvertretern wählen, welchen ſo-
dann die Ausübung der dem Volke zuſtehenden Rechte über-
laſſen wird. — Oder aber ſteht die höchſte Gewalt einer klei-
neren Anzahl von ausſchließlich berechtigten Geſchlechtern zu,
welche dieſelbe gemeinſchaftlich führen. Der Grund dieſer Be-
rechtigung kann ein verſchiedener ſein, z. B. Abſtammung von
beſtimmten Vorältern, oder Beſitz einer bezeichneten Art und
Größe von Vermögen; aber der Gedanke der ausſchließlichen
Bevorzugung iſt immer derſelbe 2). — Oder endlich iſt der In-
haber der Staatsgewalt ein, ſei es durch Wahl ſei es durch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/347>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.