Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.wegen einer großen persönlichen Thätigkeit in dieser Beziehung gepriesen. So ist es von jeher in den patriarchalischen Staaten gewesen; so hat sich die souveräne Volksversammlung in den classischen Staaten gewisse Fälle zur Entscheidung vorbehalten; so waren die römischen Imperatoren, die deutschen Kaiser, der heilige Ludwig von Frankreich Richter in ihren Reichen; und auch jetzt noch ist das französische Staatsoberhaupt, wenigstens dem Rechte nach, der oberste Richter in Sachen der Verwaltungsjustiz. Die ganze Frage wird gewöhnlich nur von Einer Seite untersucht; offenbar kann aber auch die Unabhängigkeit der Richter zu weit ausgedehnt und Aber- glauben mit ihr getrieben werden. Auch die Gerichte dürfen keinen Staat im Staate bilden. Vgl. einer Seits: Klüber, J. L., Die Selbstständig- keit des Richteramtes, Frankf., 1832; Pfeiffer, B. W., Die Selbststän- digkeit und Unabhängigkeit des Richteramtes. Götting., 1851. Anderer Seits: van Lennep, J. F., De partibus, quas reges habuerint ha- beantque etiam nunc in administranda justitia. Amst., 1849; Zachariä, D. Staats.-R., Bd. II, S. 205 fg.; Bluntschli, Allgem. Staatsr., Bd. II, S. 91 fg. 5) Beispiele verkehrter Einrichtungen sind nicht etwa blos im Lehenstaate das Waffenrecht aller seiner Vasallen, oder das Bestehen von Krongroßfeldherrn und von Haustruppen in Polen; sondern sie kommen auch in unserer Zeit gar nicht selten vor, freilich immer mit der Strafe auf dem Fuße. So z. B. die Bestimmung der französischen verfassunggebenden Versammlung, welche die Verfügung über die National- garde der Regierung ganz entzog; so das Verlangen im J. 1848, die Heere auf die Verfassung zu beeidigen; so die Duldung von berathenden Clubs im französischen Heere. Und schwerlich ist die im Jahre 1858 vorgekommene Hervorrufung von Zuschriften aller einzelnen Abtheilungen des französischen Heeres vereinbar mit staatlichen und völkerrechtlichen Auf- forderungen. § 30. c. Die Unverantwortlichkeit und der höchste Rechtsschutz des Staats- oberhauptes. Unzweifelhaft kann ein Inhaber der Staatsgewalt Fehler Ebenso unzweifelhaft ist, daß solche Handlungen sittlichen wegen einer großen perſönlichen Thätigkeit in dieſer Beziehung geprieſen. So iſt es von jeher in den patriarchaliſchen Staaten geweſen; ſo hat ſich die ſouveräne Volksverſammlung in den claſſiſchen Staaten gewiſſe Fälle zur Entſcheidung vorbehalten; ſo waren die römiſchen Imperatoren, die deutſchen Kaiſer, der heilige Ludwig von Frankreich Richter in ihren Reichen; und auch jetzt noch iſt das franzöſiſche Staatsoberhaupt, wenigſtens dem Rechte nach, der oberſte Richter in Sachen der Verwaltungsjuſtiz. Die ganze Frage wird gewöhnlich nur von Einer Seite unterſucht; offenbar kann aber auch die Unabhängigkeit der Richter zu weit ausgedehnt und Aber- glauben mit ihr getrieben werden. Auch die Gerichte dürfen keinen Staat im Staate bilden. Vgl. einer Seits: Klüber, J. L., Die Selbſtſtändig- keit des Richteramtes, Frankf., 1832; Pfeiffer, B. W., Die Selbſtſtän- digkeit und Unabhängigkeit des Richteramtes. Götting., 1851. Anderer Seits: van Lennep, J. F., De partibus, quas reges habuerint ha- beantque etiam nunc in administranda justitia. Amst., 1849; Zachariä, D. Staats.-R., Bd. II, S. 205 fg.; Bluntſchli, Allgem. Staatsr., Bd. II, S. 91 fg. 5) Beiſpiele verkehrter Einrichtungen ſind nicht etwa blos im Lehenſtaate das Waffenrecht aller ſeiner Vaſallen, oder das Beſtehen von Krongroßfeldherrn und von Haustruppen in Polen; ſondern ſie kommen auch in unſerer Zeit gar nicht ſelten vor, freilich immer mit der Strafe auf dem Fuße. So z. B. die Beſtimmung der franzöſiſchen verfaſſunggebenden Verſammlung, welche die Verfügung über die National- garde der Regierung ganz entzog; ſo das Verlangen im J. 1848, die Heere auf die Verfaſſung zu beeidigen; ſo die Duldung von berathenden Clubs im franzöſiſchen Heere. Und ſchwerlich iſt die im Jahre 1858 vorgekommene Hervorrufung von Zuſchriften aller einzelnen Abtheilungen des franzöſiſchen Heeres vereinbar mit ſtaatlichen und völkerrechtlichen Auf- forderungen. § 30. c. Die Unverantwortlichkeit und der höchſte Rechtsſchutz des Staats- oberhauptes. Unzweifelhaft kann ein Inhaber der Staatsgewalt Fehler Ebenſo unzweifelhaft iſt, daß ſolche Handlungen ſittlichen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <note place="end" n="4)"><pb facs="#f0232" n="218"/> wegen einer großen perſönlichen Thätigkeit in dieſer Beziehung geprieſen.<lb/> So iſt es von jeher in den patriarchaliſchen Staaten geweſen; ſo hat ſich<lb/> die ſouveräne Volksverſammlung in den claſſiſchen Staaten gewiſſe Fälle<lb/> zur Entſcheidung vorbehalten; ſo waren die römiſchen Imperatoren, die<lb/> deutſchen Kaiſer, der heilige Ludwig von Frankreich Richter in ihren Reichen;<lb/> und auch jetzt noch iſt das franzöſiſche Staatsoberhaupt, wenigſtens dem<lb/> Rechte nach, der oberſte Richter in Sachen der Verwaltungsjuſtiz. Die ganze<lb/> Frage wird gewöhnlich nur von Einer Seite unterſucht; offenbar kann<lb/> aber auch die Unabhängigkeit der Richter zu weit ausgedehnt und Aber-<lb/> glauben mit ihr getrieben werden. Auch die Gerichte dürfen keinen Staat<lb/> im Staate bilden. Vgl. einer Seits: <hi rendition="#g">Klüber</hi>, J. L., Die Selbſtſtändig-<lb/> keit des Richteramtes, Frankf., 1832; <hi rendition="#g">Pfeiffer</hi>, B. W., Die Selbſtſtän-<lb/> digkeit und Unabhängigkeit des Richteramtes. Götting., 1851. Anderer<lb/> Seits: <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">van Lennep</hi>, J. F., De partibus, quas reges habuerint ha-<lb/> beantque etiam nunc in administranda justitia. Amst., 1849;</hi> <hi rendition="#g">Zachariä</hi>,<lb/> D. Staats.-R., Bd. <hi rendition="#aq">II,</hi> S. 205 fg.; <hi rendition="#g">Bluntſchli</hi>, Allgem. Staatsr.,<lb/> Bd. <hi rendition="#aq">II,</hi> S. 91 fg.</note><lb/> <note place="end" n="5)">Beiſpiele verkehrter Einrichtungen ſind nicht etwa blos im<lb/> Lehenſtaate das Waffenrecht aller ſeiner Vaſallen, oder das Beſtehen<lb/> von Krongroßfeldherrn und von Haustruppen in Polen; ſondern ſie<lb/> kommen auch in unſerer Zeit gar nicht ſelten vor, freilich immer mit<lb/> der Strafe auf dem Fuße. So z. B. die Beſtimmung der franzöſiſchen<lb/> verfaſſunggebenden Verſammlung, welche die Verfügung über die National-<lb/> garde der Regierung ganz entzog; ſo das Verlangen im J. 1848, die<lb/> Heere auf die Verfaſſung zu beeidigen; ſo die Duldung von berathenden<lb/> Clubs im franzöſiſchen Heere. Und ſchwerlich iſt die im Jahre 1858<lb/> vorgekommene Hervorrufung von Zuſchriften aller einzelnen Abtheilungen<lb/> des franzöſiſchen Heeres vereinbar mit ſtaatlichen und völkerrechtlichen Auf-<lb/> forderungen.</note> </div><lb/> <div n="7"> <head>§ 30.<lb/><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">c.</hi> Die Unverantwortlichkeit und der höchſte Rechtsſchutz des Staats-<lb/> oberhauptes.</hi></head><lb/> <p>Unzweifelhaft kann ein Inhaber der Staatsgewalt Fehler<lb/> begehen in ſeiner Leitung der Staatsgeſchäfte, ja ſelbſt ſchwere<lb/> Rechtsverletzungen.</p><lb/> <p>Ebenſo unzweifelhaft iſt, daß ſolche Handlungen ſittlichen<lb/> Tadel verdienen; und bei unerträglichen Mißbräuchen mag ein<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [218/0232]
⁴⁾ wegen einer großen perſönlichen Thätigkeit in dieſer Beziehung geprieſen.
So iſt es von jeher in den patriarchaliſchen Staaten geweſen; ſo hat ſich
die ſouveräne Volksverſammlung in den claſſiſchen Staaten gewiſſe Fälle
zur Entſcheidung vorbehalten; ſo waren die römiſchen Imperatoren, die
deutſchen Kaiſer, der heilige Ludwig von Frankreich Richter in ihren Reichen;
und auch jetzt noch iſt das franzöſiſche Staatsoberhaupt, wenigſtens dem
Rechte nach, der oberſte Richter in Sachen der Verwaltungsjuſtiz. Die ganze
Frage wird gewöhnlich nur von Einer Seite unterſucht; offenbar kann
aber auch die Unabhängigkeit der Richter zu weit ausgedehnt und Aber-
glauben mit ihr getrieben werden. Auch die Gerichte dürfen keinen Staat
im Staate bilden. Vgl. einer Seits: Klüber, J. L., Die Selbſtſtändig-
keit des Richteramtes, Frankf., 1832; Pfeiffer, B. W., Die Selbſtſtän-
digkeit und Unabhängigkeit des Richteramtes. Götting., 1851. Anderer
Seits: van Lennep, J. F., De partibus, quas reges habuerint ha-
beantque etiam nunc in administranda justitia. Amst., 1849; Zachariä,
D. Staats.-R., Bd. II, S. 205 fg.; Bluntſchli, Allgem. Staatsr.,
Bd. II, S. 91 fg.
⁵⁾ Beiſpiele verkehrter Einrichtungen ſind nicht etwa blos im
Lehenſtaate das Waffenrecht aller ſeiner Vaſallen, oder das Beſtehen
von Krongroßfeldherrn und von Haustruppen in Polen; ſondern ſie
kommen auch in unſerer Zeit gar nicht ſelten vor, freilich immer mit
der Strafe auf dem Fuße. So z. B. die Beſtimmung der franzöſiſchen
verfaſſunggebenden Verſammlung, welche die Verfügung über die National-
garde der Regierung ganz entzog; ſo das Verlangen im J. 1848, die
Heere auf die Verfaſſung zu beeidigen; ſo die Duldung von berathenden
Clubs im franzöſiſchen Heere. Und ſchwerlich iſt die im Jahre 1858
vorgekommene Hervorrufung von Zuſchriften aller einzelnen Abtheilungen
des franzöſiſchen Heeres vereinbar mit ſtaatlichen und völkerrechtlichen Auf-
forderungen.
§ 30.
c. Die Unverantwortlichkeit und der höchſte Rechtsſchutz des Staats-
oberhauptes.
Unzweifelhaft kann ein Inhaber der Staatsgewalt Fehler
begehen in ſeiner Leitung der Staatsgeſchäfte, ja ſelbſt ſchwere
Rechtsverletzungen.
Ebenſo unzweifelhaft iſt, daß ſolche Handlungen ſittlichen
Tadel verdienen; und bei unerträglichen Mißbräuchen mag ein
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |