I. Wie man zu einem guten Vortrage seiner Empfindungen gelange.
Jhre Klage, liebster Freund! daß Sie sich in Aus- druck und Vorstellung selten vollkommen genug thun können, wenn Sie eine wichtige und mächtig em- pfundene Wahrheit andern vortragen wollen, mag leicht gegründet seyn; aber daß dieses eben einen Mangel der Sprache zur Ursache habe, davon bin ich noch nicht über- zeugt. Freylich sind alle Worte, besonders die todten auf dem Papier, welchen es wahrlich sehr an Physiono- mie zum Ausdrucke fehlt, nur sehr unvollkommene Zei- chen unsrer Empfindungen und Vorstellungen, und man fühlet oft bey dem Schweigen eines Mannes mehr, als bey den schönsten niedergeschriebenen Reden. Allein auch jene Zeichen haben ihre Begleitungen für den em- pfindenden und denkenden Leser, und wer die Musik ver- steht, wird die Noten nicht sclavisch vortragen. Auch der Leser, wenn er anders die gehörige Fähigkeit hat, kann an den ihm vorgeschriebenen, Worten sich zu dem Verfasser hinauf empfinden, und aus dessen Seele alles heraushohlen, was darinn zurückblieb.
Eher
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I. Wie man zu einem guten Vortrage ſeiner Empfindungen gelange.
Jhre Klage, liebſter Freund! daß Sie ſich in Aus- druck und Vorſtellung ſelten vollkommen genug thun koͤnnen, wenn Sie eine wichtige und maͤchtig em- pfundene Wahrheit andern vortragen wollen, mag leicht gegruͤndet ſeyn; aber daß dieſes eben einen Mangel der Sprache zur Urſache habe, davon bin ich noch nicht uͤber- zeugt. Freylich ſind alle Worte, beſonders die todten auf dem Papier, welchen es wahrlich ſehr an Phyſiono- mie zum Ausdrucke fehlt, nur ſehr unvollkommene Zei- chen unſrer Empfindungen und Vorſtellungen, und man fuͤhlet oft bey dem Schweigen eines Mannes mehr, als bey den ſchoͤnſten niedergeſchriebenen Reden. Allein auch jene Zeichen haben ihre Begleitungen fuͤr den em- pfindenden und denkenden Leſer, und wer die Muſik ver- ſteht, wird die Noten nicht ſclaviſch vortragen. Auch der Leſer, wenn er anders die gehoͤrige Faͤhigkeit hat, kann an den ihm vorgeſchriebenen, Worten ſich zu dem Verfaſſer hinauf empfinden, und aus deſſen Seele alles heraushohlen, was darinn zuruͤckblieb.
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I.
Wie man zu einem guten Vortrage ſeiner
Empfindungen gelange.
Jhre Klage, liebſter Freund! daß Sie ſich in Aus-
druck und Vorſtellung ſelten vollkommen genug
thun koͤnnen, wenn Sie eine wichtige und maͤchtig em-
pfundene Wahrheit andern vortragen wollen, mag leicht
gegruͤndet ſeyn; aber daß dieſes eben einen Mangel der
Sprache zur Urſache habe, davon bin ich noch nicht uͤber-
zeugt. Freylich ſind alle Worte, beſonders die todten
auf dem Papier, welchen es wahrlich ſehr an Phyſiono-
mie zum Ausdrucke fehlt, nur ſehr unvollkommene Zei-
chen unſrer Empfindungen und Vorſtellungen, und man
fuͤhlet oft bey dem Schweigen eines Mannes mehr, als
bey den ſchoͤnſten niedergeſchriebenen Reden. Allein auch
jene Zeichen haben ihre Begleitungen fuͤr den em-
pfindenden und denkenden Leſer, und wer die Muſik ver-
ſteht, wird die Noten nicht ſclaviſch vortragen. Auch
der Leſer, wenn er anders die gehoͤrige Faͤhigkeit hat,
kann an den ihm vorgeſchriebenen, Worten ſich zu dem
Verfaſſer hinauf empfinden, und aus deſſen Seele alles
heraushohlen, was darinn zuruͤckblieb.
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/15>, abgerufen am 21.11.2024.
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